Abschied vom Asylkompromiss
Weitreichende Einschränkungen des Asylrechts wurden mit dem sogenannten Asylkompromiss am 26. Mai 1993 im Bundestag beschlossen. Ist es notwendig, dass sich die Caritas anlässlich des dreißigsten Jahrestages damit befasst, oder kann sie dies den Historiker:innen überlassen?
Wir befinden uns Anfang der 1990er-Jahre. Die frisch vereinigte Bundesrepublik erlebt angesichts der deutlich gestiegenen Zahl von Asylsuchenden eine mit heftiger Schärfe geführte Debatte, von der eine längst in der Bedeutungslosigkeit verschwundene Partei ("Die Republikaner") profitiert. Zeitgleich erschüttern rechtsextreme Anschläge gegen Zugewanderte das Land. Auf Druck der Union werden Forderungen von Rechtsaußen aufgegriffen (SPD und FDP stimmen einem "Kompromiss" zu) und das Recht auf politisches Asyl im Grundgesetz eingeschränkt.
Zahlenmäßig spielt das deutsche Grundrecht auf Asyl seither kaum noch eine Rolle. Heute bilden die Genfer Flüchtlingskonvention und das damals noch nicht bestehende europäische Flüchtlingsrecht die Grundlage der meisten Schutzanerkennungen. Wer aber folgert, das Thematisieren des Asylkompromisses sei ein ritualisierter Aufschrei der Zivilgesellschaft ohne praktische Relevanz, verkennt dessen bis heute reichende Wirkmacht.
1993 gab es noch eine weitere Veränderung: Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) wurde ein eigenes Leistungsrecht nicht nur für Asylsuchende geschaffen. Zur Abschreckung wurden unzureichende (Sach-)Leistungen und eine eingeschränkte Gesundheitsversorgung gesetzlich festgeschrieben. Daneben hat sich mit dem Asylkompromiss ein Denken durchgesetzt, das bis heute prägend ist: Wenn Flüchtlingszahlen steigen, wird reflexhaft Politik zulasten von Schutzsuchenden gemacht. Zuverlässig ertönt bei dieser Gelegenheit der Ruf nach Begrenzung und (noch) weniger Sozialleistungen, wobei verkannt wird, dass es nicht die Rahmenbedingungen in Deutschland, sondern Kriege und Konflikte sind, die Menschen zur Flucht zwingen.
Ich sehe es als Aufgabe der Caritas, das traurige Jubiläum zum Anlass zu nehmen, dafür zu werben, dieses politisch bis heute etablierte 90er-Jahre-Denken zu überwinden. Das heißt auch, sich von erwiesenermaßen sinnlosen Instrumenten wie dem AsylbLG zu trennen und stattdessen Teilhabe und Integration zu fördern. Dann könnten sich im Jahr 2033 wirklich nur noch Historiker:innen mit diesem unrühmlichen Kapitel deutscher Geschichte beschäftigen.