Prävention von Polizei und Sozialarbeit verhindert Internsivtäterkarrieren
Sie sind beschäftigt bei Fachverbänden der Caritas, gehen aber zur Arbeit in Polizeistellen am Mittleren Niederrhein: Sozialarbeiter:innen und Sozialpädagog:innen der SKM-Vereine in Rheydt, Neuss und im Kreis Viersen arbeiten täglich eng mit Polizeibeamt:innen zusammen, um in der Landesinitiative "Kurve kriegen" des Innenministeriums von NRW Intensivtäterkarrieren von Kindern und Jugendlichen zu verhindern.
Unter Berufung auf wissenschaftliche Untersuchungen sagt das Ministerium, dass etwa sechs bis zehn Prozent aller tatverdächtigen Kinder und Jugendlichen für bis zu 50 Prozent der Delikte dieser Altersgruppe verantwortlich sind. Aus ihnen könnten sich bei ungünstigen Rahmenbedingungen und ohne wirkungsvolle Intervention sogenannte Intensivtäter:innen entwickeln. Diese, so das Ministerium, haben bis zu ihrem 25. Lebensjahr durchschnittlich bereits 100 Menschen zu Opfern von Diebstahl, Raub, Körperverletzung oder anderen Delikten gemacht.
Dirk Lenzen ist Kriminalkommissar im Polizeipräsidium in Mönchengladbach. Der Jugendsachbearbeiter arbeitet mit in der Landesinitiative "Kurve kriegen". Deren Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche im Alter von acht bis 15 Jahren (betreut werden sie bis zu einem Alter von 18 Jahren), die entweder drei Eigentumsdelikte oder ein Körperverletzungsdelikt auf dem Kerbholz haben und deren Lebensumstände weitere Risikofaktoren wie ein kriminalitätsbelastetes Wohnumfeld oder psychische Erkrankung von Elternteilen aufweisen. "Wir als Polizei machen die Sachbearbeitung der Straftaten und ermitteln potenzielle Teilnehmer für die Initiative. Wenn die Kinder und Jugendlichen in ,Kurve kriegen‘ aufgenommen worden sind, liegt die Hauptarbeit bei den pädagogischen Fachkräften", berichtet der Polizist. Dann beginnt die individuelle pädagogische Arbeit mit den bislang zu etwa 85 Prozent männlichen Kindern und Jugendlichen, ihren Familien und ihrem Umfeld, alles auf freiwilliger Basis. "Weil wir als pädagogische Fachkräfte und die Polizei unsere jeweiligen Rollen in der Initiative klar haben, klappt die Zusammenarbeit prima. Wir sind trotz unterschiedlicher Professionen ein Team", sagt Madeleine Geraths, pädagogische Fachkraft der Initiative in Mönchengladbach.
Kaputtgesparte Strukturen werden neu aufgebaut
Dass das Zusammenwirken von Polizei und Pädagog:innen gerade bei Kindern und Jugendlichen hilfreich sein kann, weiß auch Harald Lamers. Der Kriminalkommissar aus Viersen erinnert sich an die Zeit, als er vor Jahren in einem kleinen Ort Jugendsachbearbeiter war. Kooperation mit Jugendamt, Jugendheimen und Schule war üblich - bis in vielen Systemen gespart wurde. Die Zusammenarbeit war so nicht mehr möglich. "Durch ,Kurve kriegen‘ haben wir wieder pädagogische Profis an die Hand bekommen mit sehr viel Erfahrung. Gemeinsam können wir den Jugendlichen ganz anders helfen. Wir machen unsere Arbeit, die Pädagogen machen den jungen Leuten Angebote. Unter normalen Umständen hätten viele straffällig gewordene Jugendliche keine Chance", sagt Lamers.
Michael Radloff, Kriminalhauptkommissar bei der Kreispolizeibehörde Viersen, erläutert, dass der Erstkontakt zu möglichen Kandidat:innen für die Initiative "Kurve kriegen" immer durch die Polizei erfolgt. Jugendliche Täter:innen, die ein Gewalt- oder drei Eigentumsdelikte haben, unterzieht die Polizei einem Screening, um unter anderem herauszufinden, ob es weitere Risikofaktoren wie Verhaltensauffälligkeiten oder Probleme im Umfeld gibt. "Wenn wir der Meinung sind, da könnte ,Kurve kriegen‘ etwas bringen, spielen wir den Ball in das Feld der pädagogischen Fachkräfte, aber nur, wenn der Jugendliche und seine Eltern das wollen", erzählt Radloff.
"Wir als pädagogische Fachkräfte besuchen dann die Familien und stellen uns und unsere Arbeit vor", sagt Madeleine Geraths. Nach einem weiteren Screening aus pädagogischer Sicht setzen sich Polizei und Pädagog:innen zusammen. "Wir beraten und entscheiden dann, ob nicht nur wegen der Delikte, sondern auch wegen der Lebensumstände der Jugendlichen eine Aufnahme in die Initiative sinnvoll ist."
Fachkräfte konfrontieren Jugendliche nach neuen Delikten
Nun besteht die Chance, dass "Kurve kriegen" seine Stärken entfalten kann. Die Polizei bleibt den straffälligen Jugendlichen auf den Fersen. Kommen weitere Delikte hinzu, informieren sie nicht nur das Jugendamt, sondern auch die pädagogischen Fachkräfte in den Polizeistellen. "So erfahren wir zeitnah und in der Regel tagesaktuell, was vorgefallen ist, und können die Jugendlichen damit konfrontieren", sagt Sara Glanz vom SKM Neuss, eine der beiden pädagogischen Fachkräfte von "Kurve kriegen" in der Kreispolizeibehörde in Neuss. "Ein entscheidender Faktor von ,Kurve kriegen‘ ist die Reaktionskette. Die ist extrem beschleunigt, und das ist ein großer Teil des Erfolgs der Initiative", sagt Andre Reitzer, pädagogische Fachkraft vom SKM Kreis Viersen in der Polizeibehörde des Kreises. Zugleich betont er: "Die Initiative ist kein Ersatz für die Jugendhilfe, sondern eine Ergänzung."
Von der Stange ist bei "Kurve kriegen" nichts. Hilfen passen die pädagogischen Fachkräfte an die individuelle Situation jedes Jugendlichen an. Unter Berücksichtigung familiärer Unterstützungsbedarfe besteht ein wesentlicher Teil dieser Aufgabe auch in der Vernetzung beteiligter und notwendiger Hilfesysteme (wie Jugendamt, Schule etc.). Aber auch die Gestaltung einer alternativen Freizeitbeschäftigung, wie zum Beispiel Sport im Verein oder Musikunterricht, kann dabei eine wesentliche Rolle spielen. Solche Maßnahmen werden dann aus Landesmitteln finanziert. Diese bekommen die beteiligten Polizeibehörden einmal im Jahr zugewiesen. Sollten Mittel erschöpft sein, können sie nachgefordert werden.
"Die pädagogische Unterstützung erleichtert auch unsere Arbeit sehr", sagt Hauptkommissarin Ira Klug von der Kreispolizeibehörde Neuss. Als Beispiel nennt sie Vernehmungen. Wenn Jugendliche nicht zum Termin gehen wollen und auch die Eltern nicht die Notwendigkeit sehen, motivieren die Pädagog:innen. "Wir besprechen auch im Vorfeld des Termins, wie man sich am besten benimmt und warum es sinnvoll ist, sich dort vernünftig zu verhalten und sich auch zu den Dingen zu äußern", sagt Sara Glanz vom SKM in Neuss. Bei Vernehmungen dürfen die pädagogischen Fachkräfte dabei sein, wenn die Jugendlichen es möchten, sich jedoch nicht einmischen oder Partei ergreifen.
Polizist:innen und pädagogische Fachkräfte sind sich einig: "Kurve kriegen" hat sich bewährt. Norbert Schoeller, Geschäftsführer des SKM Rheydt, der als erster Träger am Mittleren Niederrhein Ende 2016 einstieg, freut sich, dass das Programm im Laufe der Jahre eine Verstetigung erfahren hat und nun eine Initiative des Landes ist. Benachbarte caritative Fachverbände haben sich nach und nach bei der Initiative engagiert, unterstützt und motiviert durch den SKM Rheydt. Das jüngste Beispiel ist der SKFM Heinsberg, der Ende 2021 bei "Kurve kriegen" einstieg.
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