Wie die Reform der Mitarbeitervertretungsordnung gelingen kann
Steht eine Reform der Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO) bevor, ist schnell die Grundfrage zum kirchlichen Mitbestimmungsrecht selbst gestellt. Der Streit um die Frage, ob die Kirchen ein eigenes Mitarbeitervertretungsrecht benötigen, ist dabei so alt wie das Grundgesetz. Und immer dann, wenn dieses Recht reformiert werden soll - so wie jetzt die katholische MAVO -, werden Stimmen laut, die eine Abschaffung fordern. Manche wollen eine solche Forderung sogar aus dem Koalitionsvertrag der Ampel herauslesen, auch wenn dort davon gar nicht die Rede ist.1 Da neben einer Reform der MAVO derzeit in gleicher Weise eine solche des evangelischen Pendants, des Mitarbeitervertretungsgesetzes (MVG-EKD), ansteht und auf der im November anstehenden Tagung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland beschlossen werden soll, lohnt es sich, noch einmal grundsätzlich zu fragen, welche Art der Mitbestimmung im Sinne eines modernen Betriebs und im Hinblick auf eine ausreichende Compliance und Transparenz wünschenswert ist. Dazu lassen sich vier grundlegende Gedanken formulieren:
Mitbestimmung ist gesetzt
Erstens: Dass beide großen Kirchen ein eigenes betriebliches Mitbestimmungsrecht anwenden, ist eine Konsequenz daraus, dass sie der staatliche Gesetzgeber aus dem Anwendungsbereich des weltlichen Betriebsverfassungsrechts ausgeschlossen hat. Diese Herausnahme wurde von den Kirchen erfolgreich betrieben, war jedoch nach hier vertretener Einschätzung verfassungsrechtlich von Anfang an nicht zwingend. Umgekehrt ist aber jedenfalls davon auszugehen, dass die Kirchen nicht frei von jeder betrieblichen Mitbestimmung sein dürfen. Daher kann es eigene Rechtssysteme geben, sie müssen jedoch den Standards genügen, die aus den verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen der Beschäftigten folgen. Ebenso wie der Staat selbst für seine Bereiche ein eigenes Personalvertretungsrecht zur Anwendung bringt, um besser auf die Besonderheiten im öffentlichen Sektor eingehen zu können, ist es durchaus berechtigt, dass die Kirchen ein eigenes Mitarbeitervertretungsrecht anwenden, um so den Besonderheiten in kirchlichen Einrichtungen Rechnung zu tragen.
Beschäftigte sollen partizipieren
Wie im weltlichen Betriebsverfassungsrecht ist aber zweitens auch im kirchlichen Mitarbeitervertretungsrecht der Schlüsselbegriff für die Mitbestimmung derjenige der "Teilhabe". Darunter wird allgemein ein sozialpolitisches Konzept für Selbstbestimmung und Eigenverantwortung verstanden. Die Teilhabe ist mit Fragen nach dem Zugang zu Lebensbereichen, der Daseinsentfaltung, dem selbstbestimmten Leben und der Chancengerechtigkeit sowie der Lebenszufriedenheit verknüpft. Beschäftigte sollen nicht bloß Entscheidungen unterworfen sein, die sie unmittelbar betreffen, sie sollen vielmehr an ihnen partizipieren und je nach Bereich auch die Entscheidungsinhalte mitbestimmen.
Das aber gilt in Kirchen in gleicher Weise. Die Kirchen sind insofern nicht nur allgemein an das Sozialstaatsprinzip und den aus diesem folgenden Teilhabegedanken gebunden, sondern auch konkret an den Mitbestimmungsgedanken als elementarem Grundsatz staatlicher Ordnung. Denn schon aus grundlegenden Erwägungen kirchlicher Sozialethik folgt, dass die Erwartung der staatlichen Rechtsordnung daran, dass auch in der Kirche der Mitbestimmungsgedanke relevant werden muss, nicht enttäuscht werden darf: Eine völlige Aussparung von Mitwirkungsrechten der Arbeitnehmer:innen im kirchlichen Raum wäre "mit den Grundlagen einer Arbeitsrechtsordnung im Sozialstaat nicht vereinbar"2 - und eben auch nicht mit den eigenen kirchlichen Vorstellungen einer Dienstgemeinschaft. Ein rechtsfreier Raum kann daher weder juristisch noch theologisch gerechtfertigt sein. Teilhabe muss sich deshalb auch in kirchlichen Mitbestimmungsgesetzen wiederfinden.
Abweichung muss begründbar sein
Was drittens die Frage betrifft, wie umfangreich ein bestimmtes kirchliches Mitbestimmungsrecht sein sollte, so kann es nicht schlicht und undifferenziert darum gehen, dass die Mitbestimmung bei den Kirchen immer größer sein muss als nach weltlichen Regelungen. Entscheidend ist, dass das Mitbestimmungsrecht konsistent ist und den Grundvorstellungen kirchlichen Handelns entspricht. Daraus folgt, dass es durchaus vorstellbar ist, von einem im weltlichen Bereich erreichten Teilhabeniveau abzuweichen. Doch das müsste mit den eigenen, kirchlichen Besonderheiten begründbar sein. Wie das aber möglich sein soll, scheint kaum denkbar. Wenn etwa im weltlichen Bereich der Betriebsrat bei der außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds zustimmen muss, zeigt das ein bestimmtes Schutzniveau zugunsten derjenigen an, die sich für die Kolleg:innen engagieren. Dieses Schutzniveau weist auch das evangelische Mitarbeitervertretungsgesetz MVG-EKD auf. Wenn die katholische MAVO hier zurückbleibt, ist das unverständlich und nicht erklärbar, sie muss angepasst werden. Welche kirchliche Besonderheit sollte denn hier ein schwächeres Schutzniveau erklären können?
Für Unternehmensmitbestimmung
Man kann zahlreiche derartige Beispiele finden. Aufgabe und Kennzeichen einer gelingenden Reform der MAVO wird es daher viertens sein, Abweichungen von an anderen Stellen erreichten Schutzniveaus und Teilhabezusagen zu identifizieren und auszugleichen. Ein besonders prägnantes Beispiel steht immer wieder im Fokus der Diskussion: die Unternehmensmitbestimmung. An ihr lässt sich vieles von dem zuvor Gesagten deutlich machen.
Die Unternehmensmitbestimmung stellt einen wesentlichen Baustein der vom Sozialstaatsprinzip verlangten Partizipation der Beschäftigten dar. Sie ist Ausdruck gelebter Demokratie und macht deutlich, dass der Beitrag der Mitarbeitenden für den Erfolg eines Unternehmens zentral ist. Ihre Fremdbestimmung zu reduzieren ist in kirchlichen Einrichtungen in mindestens gleichem Maße geboten wie in weltlichen, kommt dort doch zu den allgemeinen Erwägungen für eine durchgeführte Unternehmensmitbestimmung ergänzend der immer wieder vorgetragene Leitgedanke der Dienstgemeinschaft hinzu. Die Beteiligung der Beschäftigten gerade auch in den Aufsichtsorganen von kirchlichen Unternehmen dürfte infolgedessen ein gewichtiger, wohl auch zwingender Baustein zur Verwirklichung dieses Konzepts eines gemeinschaftlich erbrachten Dienstes am Nächsten sein. Wenn die staatlichen Mitbestimmungsgesetze die Kirchen also aus ihrem Anwendungsbereich herausnehmen, heißt das nicht, dass Kirchen diese Form der Mitbestimmung nicht praktizieren dürften. Sie dürfen es. Und sie sollten es, aus den genannten Gründen.
Dabei wird es im Einzelnen verschiedene Wege der Umsetzung geben können. Nicht ausreichend ist es, lediglich die Rechte des Wirtschaftsausschusses zu stärken, denn das ist nicht das, was die Unternehmensmitbestimmung als Teilhabeform bewirkt. Die Mitarbeitervertretung vor Ort hat insofern eine andere Funktion als die Mitglieder und Vertreter:innen der Beschäftigten in den Aufsichtsgremien. Sie eröffnet den Dienstnehmer:innen die Möglichkeit, über ihre Vertreter:innen auf die sozialen oder personellen Entscheidungen Einfluss zu nehmen, während die Unternehmensmitbestimmung den Einfluss auf unternehmerische oder wirtschaftliche Entscheidungen erlaubt.
Die unterschiedlichen Regelungsgegenstände sind es daher, die eine organisatorische Trennung zwischen betrieblicher Mitbestimmung und Unternehmensmitbestimmung notwendig machen. Denn eine Partizipation an Unternehmensentscheidungen kann nur dort erfolgen, wo diese Entscheidungen getroffen werden. Das wiederum ist von der Kompetenzaufteilung abhängig, die sich innerhalb des Unternehmens aus dessen rechtlicher Verfassung und der in diesem Rahmen erfolgenden autonomen Organisation ergibt.
Welche gesetzgeberische Form dann im Einzelnen gewählt wird, ist letztlich näher zu prüfen. Eine schlichte Verbandsempfehlung, wie sie das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung vorgegeben hat, ist zu wenig und kann allenfalls ein (wenn auch wichtiger) erster Schritt hin zu einer verbindlichen Normierung sein.
Bei der Diskussion um eine Unternehmensmitbestimmung im kirchlichen Recht darf das Argument, auch im weltlichen Bereich gebe es nicht überall eine Unternehmensmitbestimmung, nicht zählen. Denn das weltliche Recht sieht sich schon vom Grundansatz her nicht den gleichen Maßstäben wie das kirchliche verpflichtet. Im weltlichen Recht beruht (auch) die Unternehmensmitbestimmung allein auf dem Teilhabe- sowie dem Sozialstaatsgedanken, im kirchlichen darüber hinaus auf der Vorstellung, dass Beschäftigte und Arbeitgeber gemeinschaftlich den Dienst am Nächsten ausüben. Die Beteiligung der Beschäftigten in den kirchlichen Aufsichtsorganen ist nach alledem eine konsequente Vervollständigung ihrer Teilhabe und ihres Schutzes in der Dienstgemeinschaft.
Zahlreiche Ansatzpunkte für mehr Teilhabe, Schutz und Einfluss
Im Ergebnis bieten sich für eine gelingende Reform der MAVO zahlreiche Ansatzpunkte an. Eine moderne Betriebsführung setzt zum einen voraus, dass die ausreichende Teilhabe der von Entscheidungen Betroffenen verlangt, dass die Einflussmöglichkeit nicht zu gering ausfällt. Ein Maßstab kann hierbei die Orientierung an den in der Gesellschaft bereits erreichten Schutzstandards sein. Zum anderen bietet die anstehende Reform die Möglichkeit, dem katholischen System der Mitbestimmung einen wichtigen Baustein hinzuzufügen, nämlich den der Unternehmensmitbestimmung. Ob diese dann in der MAVO oder in einem eigenen Gesetz geregelt wird, ist unerheblich. Nicht ausreichend ist es aber, erneut lediglich die Rechte des Wirtschaftsausschusses zu verändern.
Anmerkungen
1. Darin heißt es: "Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann."
2. Rüthers, B.: Dienstgemeinschaft oder Leistungsaustausch? In: Caritas-Verband Dortmund e.V. (Hrsg.): Caritas-Verband Dortmund 75 Jahre. Festschrift, 1981, S. 20 u. 26.
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