Weiterentwicklung mit Augenmaß
Von den Kirchen wurde eine eigene kirchengemäße Ausgestaltung der betrieblichen Interessenvertretung geschaffen, um Mitarbeiter:innen die Teilhabe an betrieblichen Entscheidungen zu ermöglichen. Die Kritik an diesem Sonderweg verstummt jedoch nicht.
So wird immer wieder die Gleichbehandlung im Arbeitsrecht für die Beschäftigten der Kirchen mit allen anderen Arbeitnehmer:innen, die Abschaffung der Ausnahmeregelungen im Betriebsverfassungsgesetz und im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz gefordert. Dabei ist die aktuelle Mitarbeitervertretungsordnung besser als ihr Ruf.
1. Die kirchlichen Mitarbeitervertretungsregelungen stellen sich als autonome Regelungen dar, die entsprechend dem Selbstverständnis der Kirchen ausgestaltet sind.
Das Mitarbeitervertretungsrecht der Kirchen geht nicht vom Begriff des Arbeitnehmers, sondern von dem zum Teil weitreichenderen Begriff des Mitarbeiters aus. Regelungen wie § 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zur Beteiligung der Gewerkschaften kennt die MAVO nicht. Aber es gibt Diözesane Arbeitsgemeinschaften der Mitarbeitervertretung zur Beratung, Information und Koordinierung des Austausches der Mitarbeitervertretungen vor Ort, eine Institution, die das BetrVG nicht kennt.
Die jeweiligen Beteiligungstatbestände sind in den §§ 29 bis 37 MAVO geregelt. Trotz einer anderen Struktur und Terminologie kennt die MAVO fast die gleichen Beteiligungsrechte wie das BetrVG.
MAVO ist ein Äquivalent zum Betriebsverfassungsgesetz
2. Mit Blick auf die Beteiligungsrechte der Mitarbeitervertretung lässt sich feststellen, dass die kirchlichen Bestimmungen Abweichungen zum staatlichen Betriebsverfassungsrecht aufweisen, die jedoch nicht einheitlich als vorteilhaft oder nachteilig anzusehen sind.
Die Informationsrechte der Mitarbeitervertretung entsprechen weitestgehend dem allgemeinen Informationsrecht des Betriebsrats. Auch im Bereich Anhörung und Mitberatung sind die Rechte von Mitarbeitervertretung und Betriebsrat vergleichbar. Bei Maßnahmen, die den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Arbeitsgestaltung offensichtlich widersprechen, kommt dem Betriebsrat unter Umständen ein weiterreichendes Mitbestimmungsrecht zu. Dafür führt die MAVO darüber hinaus als weitere Mitberatungstatbestände die Einführung oder Einstellung sozialer Zuwendungen, die Fassung von Musterdienst- und Arbeitsverträgen sowie Mitwirkung bei der Bestellung zum Mitarbeiter in leitender Stellung und bei der Zurückweisung schwerbehinderter Bewerber:innen um einen freien Arbeitsplatz an. Der Betriebsrat hat im Fall der beabsichtigten Einstellung oder personellen Veränderung eines leitenden Angestellten nur ein bloßes Informationsrecht.
Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Entsprechende Regelungen finden sich in der MAVO. Da das Anhörungsrecht aber mit einem Beratungsrecht verknüpft ist, reicht die Beteiligung der Mitarbeitervertretung bei der MAVO über die Möglichkeit der bloßen Stellungnahme des Betriebsrates hinaus.
Im Gegensatz zum BetrVG, wonach es bei der außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds der Zustimmung des Betriebsrates bedarf, gilt bei Kündigung eines Mitglieds der Mitarbeitervertretung nach MAVO allerdings nur die allgemeine Beteiligungsregel bei der Kündigung. Die ordentliche Kündigung ist bei MAV-Mitgliedern ebenso ausgeschlossen wie bei Betriebsratsmitgliedern.
Bei Einstellung und Anstellung von Mitarbeitern hat die Mitarbeitervertretung ein Zustimmungsrecht. Das BetrVG sieht bei personellen Einzelmaßnahmen ebenfalls ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates vor. Voraussetzung ist jedoch, dass im Betrieb in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer:innen beschäftigt sind. Eine derartige Einschränkung gilt für die MAVO nicht.
Die Fragen der betrieblichen Lohngestaltung sind im Gegensatz zum BetrVG kein Mitbestimmungstatbestand. Durch Kommissionen im Dritten Weg werden die Fragen der Lohngestaltung grundsätzlich abschließend geregelt - es sei denn, tarifliche Regelungen enthalten Öffnungsklauseln für Dienstvereinbarungen auf betrieblicher Ebene.
Die Mitarbeitervertretung kennt ein Zustimmungsrecht bei Maßnahmen zum Ausgleich und zur Milderung von wesentlichen wirtschaftlichen Nachteilen wegen Betriebsänderungen. Damit hat die MAVO den Rechten des Betriebsrats beim Interessenausgleich und bei der Aufstellung eines Sozialplans vergleichbare Bestimmungen.
Im Unterschied zur MAVO stehen dem Betriebsrat die Beteiligungsrechte jedoch nicht in jeder mitarbeitervertretungsfähigen Einrichtung zu, sondern nur in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmer:innen.
Kirchlicher Dienst: hohe Dichte an Mitarbeitervertretungen
3. Abdeckung und Wirkung in der Fläche: Die Daten des IAB-Betriebspanels zeigen, dass die Verbreitung von Betriebsräten gering ist. Der Anteil der Betriebe mit Betriebsrat betrug im Jahr 2000 im Westen wie im Osten noch zwölf Prozent und sank bis circa 2015 auf neun Prozent. Seitdem verharrt der Anteil auf etwa diesem Niveau.
Ganz anders bei den Mitarbeitervertretungen im katholischen Bereich. Nach der MAVO ist in jeder Einrichtung sicherzustellen, dass eine Mitarbeitervertretung gebildet wird, soweit die formellen Mindestvoraussetzungen vorliegen. Im Gegensatz zur Situation in vielen weltlichen Betrieben weist der kirchliche Dienst eine hohe Dichte von circa 80 Prozent an Mitarbeitervertretungen auf. Von den 20 Prozent der Einrichtungen, die über keine MAV verfügen, haben 14 Prozent weniger als zehn Beschäftigte.
4. In der Gesamtschau stellen die kirchlichen Mitarbeitervertretungsordnungen äquivalente Regelungen zum BetrVG dar. Die festgestellten Unterschiede haben keine Auswirkung auf die effiziente Beteiligung der Mitarbeiter an betrieblichen Entscheidungen.
Die MAVO stellt bei allen Unterschieden, die vorhanden sind, eine äquivalente Regelung zum BetrVG dar. Anders heißt nämlich nicht automatisch schlechter! Die betrieblichen Mitbestimmungsordnungen enthalten im Kern gleichwertige, oftmals wortlautidentische Beteiligungsrechte wie die vergleichbaren Mitbestimmungsgesetze im weltlichen Bereich. In bestimmten Bereichen gewährt das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht sogar ein höheres Mitbestimmungsniveau als das weltliche Pendant.
Entbürokratisierung ist nötig
5. Der Reformbedarf aus Dienstgebersicht: Die kirchliche Eigenständigkeit und Besonderheiten sollten bei allen Reformen immer im Blick behalten werden. In einer pluralen Gesellschaft können sich unterschiedliche Systeme gegenseitig befruchten und Entwicklungen fördern. Insgesamt bedarf es unter anderem einer Entbürokratisierung. In diesem Zusammenhang ist die Forderung der Dienstgeber zur Einführung der Textform statt der Schriftform zu sehen. Dies ist eine Erleichterung - sie ist zeitgemäß und kann verfahrensbeschleunigend wirken.
Die Option von Onlineformaten für Sitzungen sollte regelhaft eingeführt werden. Dann wären bei Bedarf auch kurzfristig Sitzungen der Mitarbeitervertretung (MAV), Mitarbeiterversammlungen oder gemeinsame Sitzungen online möglich.
Das Verhältnis Gesamt-MAV und erweiterte Gesamt-MAV muss klargestellt werden. Eine Dreistufigkeit (MAV, Gesamt-MAV, erweiterte Gesamt-MAV) war nie gewollt und führt zu einer entbehrlichen Doppelung von Beteiligungsverfahren. Es bedarf einer klaren Trennung der Funktion der örtlichen MAV und der Diözesanen Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen (DiAG). Die DiAG sollte ihre Kernaufgaben wie Vernetzung der MAVen, gegenseitige Information und Erfahrungsaustausch, Angebote von Schulungen etc. wahrnehmen.
Veränderungen hinsichtlich der Mitarbeiter:innen, auf die das Freistellungskontingent oder ein Teil des Freistellungskontingents entfällt, sollten dem Dienstgeber mit einer ausreichenden Frist angezeigt werden. Es sollte klargestellt werden, dass der Dienstgeber auch die Möglichkeit hat, unterschiedliche leitende Mitarbeiter:innen für unterschiedliche Sachgebiete mit seiner Vertretung zu beauftragen, wenn dies aufgrund der anstehenden Themen sinnvoll erscheint.
Bei der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu überwachen, sollte die Mitwirkung der MAV auf die Fälle begrenzt werden, in denen es sich nicht lediglich um die Aktualisierungen bestehender technischer Einrichtungen handelt, die keine Veränderungen hinsichtlich der Überwachung bringen und denen von der MAV bereits in der Vergangenheit zugestimmt wurde.
Es soll die Möglichkeit geschaffen werden, in bestimmten Konstellationen Dienstvereinbarungen einigungsstellenfähig zu machen bei entsprechender Öffnung durch Rechtsnorm. Dies würde neue Gestaltungsräume für die Kommissionen und die betriebliche Ebene eröffnen.
Auch aus Sicht der Dienstgeberseite besteht Reformbedarf. Vor dem Hintergrund einer sich rasant entwickelnden Arbeitswelt mit zunehmenden Digitalisierungsprozessen muss auch die MAVO weiterentwickelt werden. Alle Veränderungen sollten aber den betrieblichen Abläufen dienen und auch unter veränderten Rahmenbedingungen eine zielgerichtete Zusammenarbeit mit sich bringen.
Abschied vom Asylkompromiss
Der Synodale Weg – ein Zeichen der Hoffnung?!
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