Wohin geht die Langzeitpflege?
Der einst aufrüttelnde Begriff "Pflegenotstand" scheint abgenutzt zu sein. Dass eine immer älter werdende Gesellschaft mit einem wachsenden Pflegebedarf auf eine Branche mit immensem Fachkräftemangel trifft, ist jedem bekannt. An Statistiken und Prognosen dazu mangelt es nicht. Und doch ändert sich erstaunlich wenig an der Situation.
Die Coronapandemie lenkte die Aufmerksamkeit vorübergehend auf die Pflegebranche. Nach einer Phase der Betroffenheit war hier jedoch schnell wieder alles beim Alten. Für die Langzeitpflege stellen sich diese "alten" Probleme wie folgt dar: Anfragen zur Versorgung pflegebedürftiger Menschen bei den ambulanten Diensten werden immer häufiger mit einem eingeschränkten Angebot beantwortet, teilweise sogar abgesagt. Entlastende Tages- oder nachtbetreuende Angebote sind nicht als flächendeckendes Netz ausgebaut, da die Bedingungen für Betreiber wenig attraktiv sind. In der stationären Pflege kommt es vereinzelt zu leerstehenden Betten, da es keine Fachkräfte gibt, die pflegen könnten. Mit diesen und ähnlichen Problemanzeigen, die der Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD) von seinen Mitgliedern erhält, haben alle Träger zu kämpfen, ob kommunal, privat oder freigemeinnützig.
Überregulierung statt Vertrauen in die Träger
Das System Pflege ist seit langem auf Kante genäht. Es sind die Rahmenbedingungen, die den Trägern zu schaffen machen, etwa zunehmende Bürokratie und überbordende Nachweise, die von Kranken- und Pflegekassen gefordert werden. Eine regelrechte Misstrauenskultur wurde etabliert, die sich durch detaillierte und teilweise doppelte Überprüfungen ausdrückt.
Eine Verschlankung des bürokratischen Aufwands wirkt sich positiv auf die Arbeitszeit in der Pflege aus. Pflegefachkräfte haben ihren Beruf ergriffen, weil sie Menschen in herausfordernden Situationen emphatisch begleiten wollen. Fraglich bleibt, wie sich gute Pflege feststellen lässt: sicherlich nicht durch handschriftliche Dokumentationen, übertriebene Kontrollen bei der Medikamentenverwaltung beziehungsweise -lagerung und mehrfach vorgelegte Konzepte. Es ist richtig und wichtig, eine gute Pflege zu verlangen. Es ist auch richtig, diese Dienstleistung Qualitätskriterien und somit auch einer Qualitätskontrolle zu unterwerfen. An vielen Stellen wäre jedoch ein Gespräch in guter Atmosphäre mit den pflegebedürftigen Menschen selbst oder den An- und Zugehörigen aufschlussreicher als die Abarbeitung eines Kriterienkatalogs.
Es braucht ein neues Vergütungssystem für die Langzeitpflege
In Pflegesatzverhandlungen werden die Berechnungen der Träger der Langzeitpflege in aller Regelmäßigkeit heruntergehandelt, selbst in der derzeitigen Inflation. Bei einer durchschnittlichen Inflation von acht Prozent kann eine Anpassung der Kosten um drei Prozent nicht auskömmlich sein.
Endlich hat die Politik zumindest in Teilen erkannt, dass unterschiedliche Wege zu einer Sicherung der Versorgung führen können: Die Refinanzierung trägereigener Springerpools ist in dem derzeit sich in Abstimmung befindenden Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) vorgesehen.
Die berechtigt hohen Ansprüche an die Pflegequalität führen zu linearen Kostensteigerungen. Dabei spielen die steigenden Personalkosten durch Tariferhöhungen oder etwa durch die Personalbemessung nach § 113 c SGB XI eine erhebliche Rolle. Diese Kosten können nicht in Gänze allein von den Pflegebedürftigen in Form von steigenden Eigenanteilen getragen werden. Das aktuelle Vergütungssystem in der Langzeitpflege muss daher auf komplett neue Füße gestellt werden. Das bedeutet entweder neue Quellen zur Finanzierung aufzutun - ein schwieriges Unterfangen - oder bestehende Finanzmittel umzuverteilen.
Dies kann nur durch mutige parteiübergreifende Entscheidungen eingeleitet werden. Der Konsens über die gesamtgesellschaftliche Relevanz der Pflegeberufe muss stärker verankert sein. Warum nicht ein "Sondervermögen" für die Pflege, analog dem Vermögen für die Bundeswehr? Oder ein teilweise steuerfinanziertes Gesundheits- und Pflegewesen? Um bei großen Visionen zu bleiben: Was spricht dagegen, die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer umzuverteilen? Klar und deutlich ist die Diagnose für unser Gesundheits- und Pflegewesen schon lange. Allein, es fehlen mutige politische Entscheidungen.
Auf kreative Ideen der Träger hören
Die Pflegebranche selbst bringt viele kreative Ideen zur Verbesserung der Situation mit: trägereigene Konzepte zum Ausfallmanagement und Springerpools, neue Dienstplanmodelle, alternativen Wohnformen oder die Umsetzung fairer Pflege in der Häuslichkeit, um nur einige zu nennen.
Den Trägern, also den Leistungserbringern, muss aufgrund ihres professionellen Selbstverständnisses das Vertrauen und Zutrauen entgegengebracht werden, Strategien und Lösungen zu entwickeln. Einrichtungen und Dienste sind lernende Organisationen, die gut vernetzt sind und einen regen Austausch untereinander unterhalten. Das haben die rasanten Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in der Pflege bewiesen. Um gute Ideen sichtbar zu machen, wird der VKAD auf seiner 23. Bundestagung am 14. Juni 2023 die besten Vorschläge aus seiner Mitgliederschaft mit einem Innovationspreis würdigen.
Von der Care-Krise zur Vision für die Pflege
Den Trägern der Langzeitpflege selbst obliegt es, im Rahmen des Möglichen für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen, etwa durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Bemühungen, die es vielerorts dazu gibt, dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Care-Berufe und auch andere Dienstleistungsbranchen insgesamt in einer Krise stecken. Der Fachkräftemangel in der Pflege darf nicht abgekoppelt von anderen Branchen betrachtet werden. Wer kann beruflich pflegen, wenn etwa die Kinderbetreuung nicht gewährleistet ist? Wer kann seinem Beruf nachgehen, wenn er die pflegebedürftigen Eltern zu Hause betreuen muss, die keinen Platz in einer Einrichtung bekommen? Wirtschaftlich gesprochen: Nur wer nicht rund um die Uhr in Betreuung und Pflege seiner An- und Zugehörigen eingebunden ist, kann zum Bruttosozialprodukt beitragen.
Ganz egal, wie alt ein Mensch ist, er kann jederzeit in die Situation der Pflegebedürftigkeit geraten. Sicher ist jedoch, dass viele Menschen im Alter einen gewissen Grad an Pflegebedürftigkeit erreichen, der Unterstützung notwendig macht. Allein diese Gewissheit sollte Antrieb genug sein, die Langzeitpflege weiterzuentwickeln und ins Zentrum gesellschaftlicher Betrachtung zu stellen.
Dann sollte die Vision einer idealen Pflege real werden können: Kreative Konzepte und flexible Versorgungsformen sind existenzieller Bestandteil eines Gesundheits- und Pflegewesens, das nicht mehr in Sektoren zergliedert ist. Multiprofessionelle Teams haben ausreichend Freiräume, um eine individuelle Versorgung von Menschen mit Betreuungspflegebedürftigkeit sicherzustellen. Gemeinwohlorientierung und Transparenz sind Grundlagen einer nachhaltigen und zukunftsorientierten Langzeitpflege. Die von Vertrauen geprägte Pflegelandschaft orientiert sich an den Qualitätsansprüchen, die sich aus den Lebenswirklichkeiten der Menschen ergeben.
Ersatzfreiheitsstrafen streichen
Wohin geht die Langzeitpflege?
Sechs Jahrzehnte im Dienst der Pflege
Den Heimalltag aktiv mitgestalten
Berichtspflicht als Chance begreifen
100 Jahre im Dienst der Sozialwirtschaft
Vom gelben Buch bis zu den AVR-Online
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}