Konsens hat Potenzial – und warum der Dritte Weg nur ohne Streik funktioniert
Der Dritte Weg hat als eigenständiges, gleichwertiges und insbesondere auch verfassungsgemäßes Regelungsmodell zwar das gleiche Ziel wie der Zweite Weg, nämlich den typischen Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch kollektives Handeln zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen, das Konzept, dieses Ziel zu erreichen, ist aber ein gänzlich anderes.
Um von Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz geschützt zu sein, müssen Arbeitskampfmittel darauf gerichtet sein, ein Kräftegleichgewicht zu schaffen, das eine sachgerechte Lösung des Interessenkonflikts durch das Zustandekommen einer Regelung ermöglicht. Der Streik als Arbeitskampfmittel wurde für die im Zweiten Weg gegebene Ausgangssituation geschaffen, dass der verhandlungsunwillige Sozialpartner an den Verhandlungstisch gezwungen werden muss. Die Sinnhaftigkeit von Streiks in diesem System für die Gewährleistung der Tarifautonomie liegt auf der Hand.
Im Dritten Weg ist die Ausgangssituation eine andere. Die aus dem Gedanken der Dienstgemeinschaft gewachsene Kommissionslösung führt zu paritätisch besetzten Kommissionen, die mit ausreichend großen Mehrheiten die Arbeitsbedingungen beschließen. Bei fehlender Mehrheit sieht sie ein Vermittlungsverfahren vor, das verbindliche Entscheidungen trifft. Ein zwischen Dienstgeber- und Dienstnehmerseite bestehendes strukturelles Ungleichgewicht wird hier schon dadurch angeglichen, dass in regelmäßig stattfindenden und kräftemäßig ausgeglichenen Sitzungen über Arbeitsbedingungen verhandelt wird.
Dass eine der Seiten die Verhandlungen blockiert und damit das System aushebelt, wird durch das verbindliche Vermittlungsverfahren unterbunden. Der dadurch erzeugte Druck ist erheblich: Scheitert die gemeinsame Lösungsfindung, geben beide Seiten ihre Verantwortung über das Verhandlungsergebnis an Dritte ab, an deren Entscheidung sie dann gebunden sind. Die Gefahr, diese Einflussmöglichkeit zu verlieren, führt in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle zu jener Kompromissbereitschaft, die zur Findung einer sachgerechten Lösung erforderlich ist. Damit tritt genau der Zustand ein, der im Zweiten Weg durch rechtmäßige Streiks geschaffen werden soll. Anders als im Zweiten Weg würde ein einseitiges Streikrecht im Dritten Weg kein Kräftegleichgewicht schaffen, sondern ein bereits vorhandenes Gleichgewicht stören.
Der Dritte Weg hat sich bewährt und führt auch ohne Arbeitskampf zu Abschlüssen, die deutlich im oberen Bereich der Arbeitsbedingungen der jeweiligen Vergleichsgruppen liegen. Dennoch sollte der Dritte Weg stets an gesellschaftliche Entwicklungen angepasstwerden, um bei allen Akteur:innen akzeptiert zu bleiben.
Das Potenzial des Dritten Wegs, seine Glaubwürdigkeit aufrechtzuerhalten und ihn zukunftsfähig zu gestalten, könnte insbesondere in der Beteiligung der Gewerkschaften liegen. Die Beteiligungsmöglichkeit in ihrer aktuellen Form wird von den Gewerkschaften vehement abgelehnt. Ein konstruktives Miteinander zu fördern - auch mit den Gewerkschaften - entspricht jedoch dem Grundverständnis des Dritten Wegs. Denkbar wäre daher, eine neue und attraktivere Einbindung der Gewerkschaften zu kreieren. Auf Beschlussebene könnte dies gelingen, indem Gewerkschaftslisten eingeführt werden. Gewerkschaftsmitglieder könnten sich so direkt in die Kommission wählen lassen und wären von Beginn an am demokratischen Bildungsprozess der Kommissionen beteiligt.
Darüber hinaus wäre es denkbar, die Gewerkschaften im Vermittlungsverfahren durch gewerkschaftliche Beisitzer:innen einzubinden. So wären Gewerkschaften unmittelbar an verbindlichen Entscheidungen zu streitigen Themen beteiligt. Sie würden an dem Element des Dritten Wegs mitwirken, das durch den von ihm ausgehenden Druck auf die Verhandlungspartner den Arbeitskampf als Druckmittel verzichtbar macht.
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