Ein Test für die Augenhöhe
Auch in Caritas-Einrichtungen schreitet die Digitalisierung mit großen Schritten voran. Nicht selten zeigt sich, dass Dienstgeber und MAVen darauf nicht gut vorbereitet sind. Die technische und finanzielle Umsetzung scheint dabei kein größeres Problem zu sein. Die arbeitsrechtliche Realisierung schon.
Bei der Digitalisierung sind verschiedene Rechte aus der Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO) zu beachten.
Informationsrecht für Mitarbeitervertretungen
In der MAVO finden sich dazu Informationsrechte in § 27 a. In dem dort beispielhaft aufgeführten Katalog werden
◆ Rationalisierungsvorhaben,
◆ Änderung von Arbeitsmethoden und
◆ sonstige Vorgänge und Vorhaben genannt, die die Interessen der Mitarbeiter:innen wesentlich berühren können. Nach § 27 b muss der Wirtschaftsausschuss regelmäßig über die wirtschaftlichen Angelegenheiten der Einrichtung informiert werden. Wirtschaftsausschüsse sind nach der MAVO-Novelle im Jahr 2018 vermehrt entstanden und ein gutes Hilfsmittel, um die wirtschaftlichen Aspekte der Digitalisierung in den Einrichtungen zu begleiten. Dazu ist es wichtig, den Wirtschaftsausschuss frühzeitig in die Planungen mit einzubeziehen, so wie es die MAVO im Übrigen vorschreibt.1
Zustimmungsrecht bei Einführung digitaler Mittel
Im § 36 Abs. 1 MAVO werden unter Nr. 9 die "Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu überwachen", genannt. Mit "bestimmt sind" ist nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts2 gemeint, dass die technischen Einrichtungen lediglich "geeignet" sein müssen, das Verhalten oder die Leistung der Mitarbeitenden zu überwachen. Mit "Überwachung" ist das Sammeln und Auswerten von Informationen gemeint.3 Sinn der Vorschrift ist, die Mitarbeitenden in ihrem Persönlichkeitsrecht vor den besonderen Gefahren beim Einsatz technischer Einrichtungen zu schützen.4
Bevor der Dienstgeber digitale Arbeitsmittel und Einrichtungen einführt, muss er daher die Zustimmung der MAV einholen. Wenn die MAV ihre Zustimmung verweigert, kann nur ein Urteil des zuständigen kirchlichen Arbeitsgerichts deren Zustimmung ersetzen. Hinweis: Wurden technische Einrichtungen ohne Einverständnis der MAV eingeführt, können diese unter Umständen durch eine einstweilige Verfügung beim kirchlichen Arbeitsgericht gestoppt werden. Die dadurch entstehenden Kosten und die damit verbunden organisatorischen Störungen des Betriebsablaufs können Dienstgeber vermeiden, indem sie die MAV frühzeitig beteiligen.
Auch für eine Erprobung sind Beteiligungsrechte zu beachten. Denn eine "probeweise" Einführung und Anwendung ist entsprechend der Vorschrift ebenfalls eine Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen im Sinne des Gesetzes.5
Antragsrecht hat Gewicht
Das stärkste Recht in der MAVO ist das Antragsrecht.
"Die weitestgehende Mitbestimmung gewährt das Antragsrecht des § 37 MAVO: In den dort abschließend genannten Angelegenheiten, die denen des Zustimmungsrechts nach § 36 Abs. 1 MAVO entsprechen, hat die MAV ein erzwingbares Initiativrecht wie der Betriebsrat nach dem Vorbild des § 87 Abs. 1 BetrVG in sozialen Angelegenheiten. Die MAV kann also an den Dienstgeber herantreten und die Regelung der mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit verlangen. Kommt eine Einigung - auch nach gemeinsamer Beratung - nicht zustande, so kann die MAV die Einigungsstelle anrufen (§ 37 Abs. 3 Satz 3 MAVO), die verbindlich entscheidet." 6
In § 37 Abs. 1 Nr. 9 MAVO wird die Formulierung aus § 36 MAVO: "Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu überwachen", ebenfalls genannt. Die MAV kann also auch auf dem Wege des Antragsrechts die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen gestalten. Dabei ist zu beachten:
◆ Das Antragsrecht ist erzwingbares Initiativrecht, "die Entscheidung der Einigungsstelle hat für die Beteiligten bindende Wirkung"7.
◆ Die MAV hat im Verfahren nach § 37 einen Rechtsanspruch auf Beratung.
◆ Für die Antragstellung sind die Schriftform und eine ausführliche Begründung zu empfehlen.
◆ Es gibt keine Frist für die Zurückweisung des Antrags der MAV, es ist aber von einem Monat auszugehen.8
◆ Eine Sachentscheidung der Einigungsstelle erfordert eine ordnungsgemäße Durchführung des Antragsverfahrens nach § 37 MAVO.9
◆ Für den ordnungsgemäßen Ablauf des Antragsverfahrens sind Beschlüsse der MAV notwendig. Beschlüsse können nur nach ordnungsgemäßer Einladung und Mitteilung der Tagesordnung gefasst werden.10
◆ Der Katalog des § 37 MAVO ist abschließend.
Wichtig: Hier können also Regelungen durch Beschluss der Einigungsstelle auch gegen den Willen des Dienstgebers in der Einrichtung implementiert werden.
Ein Test für die Augenhöhe: das gemeinsame Verhandeln
In vielen Bereichen ist die Augenhöhe zwischen Dienstgebern und MAV noch nicht erreicht. Im Bewusstsein der Caritas spielen Mitarbeitervertretungen oft nicht die Rolle, die ihnen vom Gesetz her zugeschrieben wird. So werden aktuell zum Beispiel in den "Zehn Zusagen für Mitarbeitende in der Caritas" Mitarbeitervertretungen nicht einmal erwähnt.11
Dennoch gibt es Möglichkeiten im Rahmen der Dienstgemeinschaft, auf Augenhöhe zu agieren. Effektiver als die vorhergehenden Beteiligungstatbestände ist das Aushandeln von Rechten und Pflichten im Rahmen einer Dienstvereinbarung gemäß § 38 Abs. 1 Nr. 12 MAVO. Heutzutage sind die einzuführenden technischen Einrichtungen oft so kompliziert, dass es verschiedener Phasen der Verhandlung bedarf.
◆ Der Dienstgeber stellt die geplante Maßnahme zusammen mit dem Fachpersonal des Anbieters vor. Hier kann die MAV alle Fragen technischer Art erörtern.
◆ Sicherheits- und Datenschutzfragen werden mit dem betrieblichen IT-Sicherheits- und dem Datenschutzbeauftragten geklärt.12
◆ Der Dienstgeber legt einen Entwurf einer Dienstvereinbarung vor.
◆ Die MAV berät den Entwurf, gegebenenfalls, indem sie Rechtsberatung und Sachverständige hinzuzieht.
◆ MAV und Dienstgeber verhandeln die Dienstvereinbarung.
Praxistipp: Besteht Unsicherheit über die konkreten praktischen Auswirkungen der Dienstvereinbarung, kann eine Probephase von einem Jahr darin aufgenommen werden. Nach dieser Phase treffen sich die Vertragsparteien, um gemeinsam die praktischen Erfahrungen auszuwerten und in der Dienstvereinbarung nachzusteuern (gegebenenfalls unter fachlicher Begleitung).13
Muster für Dienstvereinbarungen
Muster für Dienstvereinbarungen zu diesem Thema
sind folgende:
◆ Dienstvereinbarung über die Softwareanwendung KitaPlus;14
◆ Dienstvereinbarung zum E-Learning;15
◆ Dienstvereinbarung zur Telearbeit;16
◆ Rahmen-Dienstvereinbarung IT-Einsatz und kirchlicher Datenschutz;17
◆ Dienstvereinbarung zur Nutzung aller informationstechnischer Einrichtungen.18
Nur eine Idee...
Um es Rechtsträgern, Einrichtungsleitungen und Mitarbeitervertretungen einfacher zu machen, könnte die Caritas darüber nachdenken, eine "Dienstvereinbarungsdatenbank" aufzubauen, in der Dienstvereinbarungen zur Digitalisierung, aber auch zu anderen Themen nachgeschlagen werden können. Bisher gibt es eine solche Möglichkeit nicht. Einige Diözesane Arbeitsgemeinschaften der MAVen (DiAG-MAV) bieten vereinzelte Muster an, aber eine bundesweite, systematische Erfassung und Verbreitung scheint es weder auf Dienstgeber- noch auf Dienstnehmerseite zu geben. Dies ist eine wichtige Aufgabe für die Dienstgemeinschaft.
Anmerkungen
1. Weiterführend Richartz, U.: Bildung und Arbeitsweise des Wirtschaftsausschusses - erste Praxiserfahrungen. In: Eichstätter Schriften zum Arbeitsrecht, Band 5, 2019,S. 97.
2. BAG, 23. April 1985, 1 ABR 2/82.
3. BAG, 14. November 2006, 1 ABR 4/06.
4. BAG, 30. August 1995, 1 ABR 4/95.
5. Schmitz, T.: Eichstätter Kommentar, § 36, Rn. 96, 2018.
6. Kalb, H. : Standortbestimmung des kirchlichen Arbeitsrechts - Konsequenzen aus politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. In: Eichstätter Schriften zum Arbeitsrecht, Band 2, 2016; weiterführend: Richartz, U.: Unbekanntes Wesen - ungenutzte Chancen? Das Antragsrecht der Mitarbeitervertretung nach § 37 MAVO. In: ZMV 1/2014.
7. Freiburger Kommentar zur MAVO, Mathy, § 37, Rn. 6,
EL 1/22.
8. Jüngst in MAVO-Kommentar, § 37, Rn. 14, 2019.
9. Schmitz, T.: Eichstätter Kommentar, § 37, Rn. 55, 2018.
10. Richartz, U.: Eichstätter Kommentar, § 14, Rn. 62.
11. Delegiertenversammlung des Deutschen Caritasverbandes: Zehn Zusagen für Mitarbeitende. In: neue caritas Heft 8/22, S. 22 f.
12. Weiterführend: Ullrich, M.: Beschäftigtendatenschutz der Katholischen Kirche. Rn. 657, 2022.
13. Weiterführend: Richartz, U.: Mitgestalten ist besser als abwarten! - Beteiligung der MAV bei der Digitalisierung.
In: ZMV 3/2022, S. 129.
14. Siehe www.diag-muenster.de; Kurzlink: https://bit.ly/3BzHJmw
15. Siehe www.diag-muenster.de; Kurzlink: https://bit.ly/3vwTdDy
16. Siehe www.diag-muenster.de; Kurzlink: https://bit.ly/3zQuxsg
17. www.diag-mav-freiburg.de/a-z
18. Siehe https://diagmav.drs.de ; Kurzlink: https://bit.ly/3Jme6XM
Entlastung schmälert humanitäre Hilfe
Brauchen wir wirklich jetzt eine neue Grundordnung?
Nachhaltigkeit wird zum Grundsatz
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}