Gemeinwohl als Kompass
Die Caritas ist als gemeinnützige Wohlfahrtsorganisation und ideell getragener Verband prinzipiell und konstitutionell auf das Gemeinwohl ausgerichtet. Doch die Gemeinnützigkeit ist ein primär steuerlicher Begriff und somit wird dieses Wort offenbar mit vielfältigen Projektionen gefüllt. Die Ausrichtung auf das Gemeinwohl wird implizit mit der Gemeinnützigkeit gleichgesetzt, was aber weniger als die halbe Wahrheit ist. Insofern stehen Caritas und auch andere Wohlfahrtsorganisationen vor der Herausforderung, ihre Werte, Zielsetzung und Ausrichtung auf das Gemeinwohl zu managen und über zusätzliche Kanäle zu kommunizieren. Dazu kann die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) als gesellschaftliche Bewegung zur Stärkung des Gemeinwohl-Gedankens - oder besser der Gemeinwohl-Verpflichtung aller - die Anliegen der Caritas unterstützen.
Die Themenkomplexe Klimaschutz, Nachhaltigkeit und auch das Gemeinwohl sind derzeit in aller Munde: Papst Franziskus greift in seiner Enzyklika "Laudato si’" im Jahr 2015 das Thema für die Kirche auf, der Europäische Rat beschließt den "Green Deal", die neue Bundesregierung ein klimapolitisches Regierungsprogramm.
Unternehmen und Organisationen stellen sich die Frage, wie sie welche Schwerpunkte aus diesem Themenkanon herausgreifen und wirksam im Unternehmen implementieren können, teils, weil ihre Dach- oder Aufsichtsorganisationen entsprechende Ziele setzen, teils, weil sie gesetzliche Vorgaben und Normen erfüllen müssen.
Die EU berät zurzeit den Richtlinienvorschlag "Corporate Sustainability Reporting Directive", kurz CSRD, für eine verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung für Unternehmen und Organisationen zu den Bereichen Umwelt, Mitarbeitende, Soziales, Korruption/Bestechung und Menschenrechte. Sie könnte erstmals im Geschäftsjahr 2023 greifen.
Für die Caritas wird es also Zeit, sich mit der Thematik zu befassen. Die Caritas und ihre Träger müssen planen, wie sie einer Nachhaltigkeitsberichterstattung entsprechen und wie sie Themenkomplexe wie Klima- und Umweltschutz, Nachhaltigkeit oder gerechte Lieferketten in der Organisation managen wollen.
Schon seit einigen Jahren sind mit EMAS und der DIN ISO 14001 und 26000 Qualitätsmessinstrumente auf dem Markt, die Teile aus dem Themenkanon abbilden können. Keines dieser Instrumente betrifft aber alle Bereiche und keines ist darauf angelegt, das Gemeinwohl als umfassende Beschreibung der Werteorientierung abzubilden. Dies belegt übrigens eine Studie des Potsdamer Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS): Hier wird festgestellt, dass die Gemeinwohlbilanz im Vergleich zu allen gängigen Berichts- und Zertifikatssystemen die beste Qualität, Rechtssicherheit und Wirksamkeit hat.
Es geht um ein Instrument, das die Identität von Caritas abbildet
Ein klares Nein ist zu geben auf die Frage, ob es nur um gesetzliche oder steuerliche Vorgaben geht. Es geht um mehr: Die Caritas will und braucht ein Instrument, das ihre Identität abbildet. Wie oft haben sich Caritasverbände darüber beklagt, dass die Caritas der gleichen betriebswirtschaftlichen Systematik und Berichterstattung unterliegt wie profitorientierte Unternehmen, dass der Jahresabschluss nach Handelsgesetzbuch (HGB) oft das einzige Instrument ist, das den Aufsichtsgremien über den Erfolg der (Caritas-)Arbeit berichtet. Die Caritas ist mehr als ein Unternehmen und Dienstleisterin: Sie arbeitet für sozial benachteiligte Menschen, will mehr soziale Gerechtigkeit herstellen und Anwältin für Schwache und Bedürftige sein. Diese Aufgaben werden in der eigenen Berichterstattung oft sträflich vernachlässigt oder versumpfen in Tonnen von Jahresberichten, die nur wenig Aufmerksamkeit beim Adressatenkreis finden.
Die Gemeinwohl-Ökonomie meint nicht nur Bilanz und Bericht. Sie ist ein Managementsystem für Werte und Vision einer besseren Gesellschaft, eines reformierten Wirtschaftssystems und einer staatlichen Steuerung nach neuen Kriterien. Eine Caritas innerhalb der Gemeinwohl-Ökonomie bleibt also nicht nur Reparaturbetrieb in staatlichen Sicherungssystemen. Als Teil einer gesellschaftlichen Bewegung kann die Caritas an den Grundlagen des Gemeinwesens in neuer Form mitwirken - nicht allein auf der Lobby-Ebene in Berlin: jeder Träger, jeder Verband da, wo er gerade steht und aktiv ist; gegenüber seinen Mitarbeitenden, gegenüber Wettbewerbern, in seiner Kommune.
Caritas macht Gemeinwohl-Ökonomie mehr und mehr zum Thema
Die Vision der Gemeinwohl-Ökonomie als Zukunftsmodell und die Erstellung einer GWÖ-Bilanz auf dem Weg dorthin stößt bei Caritas und Diakonie auf großes Interesse. Seit etwa fünf Jahren machen sich erste Akteur(inn)e(n) aus Caritas und Diakonie mit der GWÖ auf den Weg.Die Bundeskonferenz der Orts-Caritasverbände hat im Jahr 2021 Christian Felber, den Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie, zum Vortrag nach Berlin eingeladen, mit ihm diskutiert und in einem Workshop gearbeitet. Auf diesen Impuls folgte eine überwiegend positive Bilanz: Rund 60 Prozent der Teilnehmenden haben weiterhin Interesse an GWÖ und werden eine Implementierung im eigenen Verband prüfen.
Im Bistum Paderborn arbeiten rund zehn Caritasverbände in einer Arbeitsgruppe GWÖ regelmäßig zusammen und erschließen gemeinsam Themen aus der Gemeinwohlbilanz, die sie in ihren Verbänden umsetzen wollen.
Erste Träger aus Caritas und Diakonie haben eine Gemeinwohlbilanz und einen entsprechenden Bericht erstellt und sind auditiert. Andere stehen unmittelbar vor oder in diesem Prozess. So hat sich der Caritasverband für die Stadt Köln dazu entschlossen, seinen Kita-Träger "CariKids" als Pilotprojekt nach GWÖ zu bilanzieren und anschließend mit dem Verband in den Prozess zu gehen. Im Frühjahr 2022 starten die Workshops und im ersten Quartal 2023 sollen GWÖ-Bilanz und -Bericht auditiert sein.
Mit der GWÖ-Bilanz will der Caritasverband Köln ganz konkret seine ermittelten Kennzahlen zu Menschenwürde, Solidarität und ökologischer Nachhaltigkeit in Relation zu seinen Finanzzahlen und Berichten stellen. Damit will er seinen "Unternehmenserfolg" in einer neuen Dimension messen und die Erfolge Mitarbeitenden und Stakeholdern kommunizieren.
Das Modell der Gemeinwohl-Ökonomie - GWÖ
Wirtschaftlich und nachhaltig handeln
Das bestehende Wirtschaftsmodell von Gewinnmaximierung ist ein Auslaufmodell. Es verschärft die Probleme unserer Zeit wie Klimakrise und gesellschaftliche Spaltung. Gemeinwohl-Ökonomie (als bürgerschaftliche Bewegung im Jahr 2010 in Österreich entstanden) ist ein nachhaltiges, ethisches Zukunftsmodell für Unternehmen, das zeigt, wie das reine Streben nach Gewinn auf Orientierung am Gemeinwohl umgepolt werden kann.
Am Anfang steht eine Bestandsaufnahme im Unternehmen zur Ausrichtung auf das Gemeinwohl. In einem Prozess mit unterschiedlichen Beteiligten, darunter Mitarbeitende, Kund(inn)en, Lieferanten, Finanzpartner, werden unternehmerische Aktivitäten nach den Kriterien Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung untersucht. Darauf folgt eine externe, unabhängige Auditierung aller sozialen und ökologischen Leistungen. Am Ende wird die Gemeinwohl-Bilanz des Unternehmens veröffentlicht. Sie ist ein Gütesiegel des Engagements eines Unternehmens für Gemeinwohl, an dem es sich messen lassen kann. Die Vision: In einer Gesellschaft, die durch Gemeinwohl-Ökonomie geprägt ist, sind Unternehmen, die nachhaltig und sozial wirtschaften, im Vorteil.
Weitere Infos zur GWÖ gibt es hier: https://web.ecogood.org/de
Marianne Jürgens
Leitung Öffentlichkeitsarbeit im Caritasverband Köln
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