Geflüchtete Menschen geraten leicht in Schulden
Immer mehr Geflüchtete suchen Rat in der Schuldnerberatungsstelle der Caritas: Eine statistische Auswertung von Schuldnerberatungsstellen der Orts-Caritasverbände in der Erzdiözese Freiburg für das Jahr 2020 ergab, dass 26 Prozent der Ratsuchenden keinen deutschen Pass besitzen. Dies entspricht einer Zunahme von mehr als vier Prozent gegenüber dem Vorjahr. 38 Prozent der Klient(inn)en haben einen Migrationshintergrund, was einen weiter zunehmenden Trend gegenüber den Vorjahren bedeutet.
Was zu Überschuldung führt
Bei den Überschuldungsauslösern sind neben den durch die Bundesstatistik hinlänglich bekannten Faktoren wie Arbeitslosigkeit, Scheidung, Krankheit und Ähnliches einige speziell auf die Migrationssituation zurückzuführende Punkte auszumachen. Viele Migrant(inn)en sind mit dem deutschen Vertragswesen überfordert, entweder weil dies in ihrem Herkunftsland nicht üblich ist oder weil sprachliche Barrieren zu hoch sind. Rein rechtlich sind sie jedoch voll geschäftsfähig und damit auch in der Lage, Verträge abzuschließen und bestenfalls zu erfüllen. Das Institut für Finanzdienstleistungen in Hamburg veranschaulicht dazu in seinem Überschuldungsradar gesetzliche Rahmenbedingen für Geflüchtete in der Schuldnerberatung.2
Obendrein ist das deutsche Finanzsystem mit seinen Möglichkeiten ("kaufe heute - zahle morgen") einerseits vielen Migrant(inn)en unbekannt, andererseits eine Möglichkeit, Produkte oder Dienstleistungen zu erwerben und so an der Konsumgesellschaft zu partizipieren. Die dabei anfallenden Kosten, die sich teilweise über eine Laufzeit von mehreren Jahren erstrecken, können sie aber aufgrund der oft mangelnden Aufklärung der Anbieter nicht abschätzen und in vielen Fällen nicht bezahlen. Auch scheinbar abgeschlossene Verträge im Internet treiben die Kosten (überwiegend Beträge für eine angebliche Kreditkartenbestellung, eingefordert von unseriösen Inkassounternehmen) in die Höhe, obwohl alle Ratsuchenden versicherten, solch eine Karte wissentlich nie bestellt zu haben. Hier gilt es für die Schuldnerberater(innen), diese Verträge sofort zu widerrufen oder anzufechten.3
Vereinzelt ist es den Geflüchteten auch sehr wichtig, ihre Familie im Herkunftsland finanziell zu unterstützen. Obwohl ihnen hier nur geringe Mittel zur Verfügung stehen, haben sie doch weit mehr, als ihre Verwandten im Ursprungsland besitzen. Damit existiert ein gewisser moralischer Druck, Gelder in die Heimat zu schicken, auch wenn eine Überschuldung die Folge ist.
Der Aufenthaltsstatus spielt bei Überschuldung ebenfalls eine große Rolle. Geflüchtete haben ein Beschäftigungsverbot innerhalb der Wartefrist von drei Monaten ab Ausstellung des Ankunftsnachweises. Auch wenn ein Flüchtling eine Duldung oder Aufenthaltsgestattung besitzt, muss die zuständige Ausländerbehörde sowie die Bundesagentur für Arbeit einer Beschäftigung zustimmen.4 Mit diesen Hürden und den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, falls keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, können hohe Zahlungsverpflichtungen nur schwer bedient werden.
Prävention, um neue Überschuldung zu vermeiden
Die genannten Überschuldungsfaktoren haben keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit. Individuelle Ver- und Überschuldungsstrukturen sind bisweilen sehr komplex. Doch kann das Risiko einer Neuverschuldung minimiert werden: Prävention und Aufklärung sollten in die Beratung miteinfließen. Deshalb organisierte der Caritasverband für den Landkreis Emmendingen von Juni 2018 bis Mai 2021 das Projekt "Schuldenprävention für geflüchtete Menschen".5 Nach 18 Monaten Projektverlauf mit Workshops und Beratungen für Betroffene, zog die Projektmitarbeiterin folgendes Zwischenfazit: "Es gibt viele Unternehmen, die geflüchtete Menschen gezielt ausnehmen. Sie sind leichte Opfer, weil sie ohnehin in einer schwierigen Situation sind und unsere Sprache und Vertragssysteme nicht kennen." Gerade im Mobilfunkbereich würden Flüchtlinge häufig gezielt getäuscht.6
Dolmetscher(innen) sind unabdingbar
Mit Hilfe der sozialen Schuldnerberatung kann mit Gläubiger(inne)n verhandelt, ein Schuldenbereinigungsplan erstellt oder gar eine Insolvenz beantragt werden. Dies hat glücklicherweise keine unmittelbaren negativen Auswirkungen auf den Aufenthaltsstatus der geflüchteten Menschen, wie der bereits erwähnte Überschuldungsradar7 verdeutlicht. Wesentlich unterstützen können dabei Dolmetscher(innen), ob professionell oder aus dem Bekannten- oder Verwandtenkreis (eigene minderjährige Kinder sollten nur in absoluten Not- und Ausnahmefällen aushelfen).
Die Erfahrung zeigt: Eine Entschuldung steht und fällt mit der Zusammenarbeit von Klient(in), Dolmetscher(in) und Berater(in). Beratungen wurden zum Beispiel abgebrochen, weil der/die Übersetzer(in) nicht mehr zur Verfügung stand. Positiv wäre, wenn die Dolmetscher(innen) auch Insolvenzverfahren begleiten könnten, um die meist komplizierten Briefe des Gerichts zu besprechen. Die Schuldnerberater(innen) müssen deutlich machen, dass eine Übersetzung während des kompletten Entschuldungsprozesses unabdingbar ist.
Auch mit den ortsansässigen Integrationsmanager(inne)n sollten die Beratungsstellen zusammenarbeiten. Diese können die Ratsuchenden auf Ämter begleiten, bei alltäglichen Fragen helfen oder auf Dolmetscher-Pools beziehungsweise -Adressen verweisen.8
Anmerkungen
1. Der Beitrag wurde ursprünglich veröffentlicht im Infodienst Schuldnerberatung des Caritasverbandes für die Erzdiözese Freiburg (Verlinkung im Rundbrief Schuldnerberatung 5/2021 vom 6. August 21); Kurzlink: https://bit.ly/3CbT6zn
2. Überschuldungsradar, siehe www.infodienst-schuldnerberatung.de; direkter Kurzlink: https://bit.ly/3Kc3ZnB
3. Musterbrief Verbraucherzentrale: Abwehr einer unberechtigten Forderung gegenüber einer Internet-Service-Leistung, siehe www.infodienst-schuldnerberatung.de; direkter Kurzlink:
4. Bundesagentur für Arbeit: Aufenthaltsstatus und Arbeitsmarktzulassung. Geflüchtete beschäftigen; Kurzlink: https://bit.ly/3IFnQvb
5. Die Beratungs- und Präventionsstelle wurde über einen Zeitraum von drei Jahren von der Deutschen Fernsehlotterie finanziert.
6. Pressebericht der Badischen Zeitung vom 9. November 2019: Schuldnerberatung für Geflüchtete des Caritasverbandes Emmendingen, www.infodienst-schuldnerberatung.de; direkter Kurzlink: https://bit.ly/3pvuAnW
7. Überschuldungsradar, siehe Anm. 1.
8. Eine empfehlenswerte Arbeitshilfe für Geflüchtete in einfacher Sprache veröffentlichte der AWO Bundesverband, in der auch die Möglichkeiten der Schuldnerberatung aufgezeigt werden, siehe www.infodienst-schuldnerberatung.de; Kurzlink: https://bit.ly/36OjJ1G
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