Zuhören, ernst nehmen und handeln
Eine Grundschülerin in meinem Umfeld wurde für das Abschlussjahrbuch ihrer Klasse unter anderem gefragt, was ihr im vergangenen Jahr während der Pandemie geholfen habe. "Das Ausschlafen und meine Mutter!" Was hier im spontanen Ausruf auch als positives Erleben erfahrbar wird - kein Stress morgens mit dem Aufstehen und eine Person, die für das Mädchen da war -, umreißt zugleich auch zwei der besonders für junge Menschen zentralen Problemfelder während der Pandemie: das Aufbrechen beziehungsweise Fehlen der üblichen Tageszeitstruktur und die Frage nach den Unterstützungsmöglichkeiten durch das soziale Umfeld. Als Drittes wäre der große Mangel an sozialen Kontakten mit Gleichaltrigen zu nennen, der das Leben und Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen mit kurzen Unterbrechungen 15 Monate lang massiv beeinflusste. So fehlte es in allen Altersstufen an Gelegenheiten zum Gestalten und Erleben von gemeinsamer Zeit mit Freundinnen und Freunden: Spielen und Toben, Partynächte, Sportfeste, Freibadnachmittage waren gar nicht oder nur in sehr eingeschränkter und in der Regel wenig kind- und jugendgerechter Form möglich. Das traf auch für persönlich wichtige Wegmarken wie Geburtstagsfeiern, Einschulungen, Schulabschlüsse oder den Praktikumsbeginn zu. Aus Erwachsenensicht und in der Retrospektive mögen die knapp anderthalb Jahre ein überschaubarer Zeitraum sein. Im Zeiterleben von Kindern und mit Blick auf die Entwicklungsphasen von jungen Menschen gleicht dies eher einer ganzen Epoche.
Belange von Kindern zu wenig im Fokus
Zu lang standen die Belange von Kindern und Jugendlichen während der Bekämpfung der Pandemie wenig im Fokus der politisch Verantwortlichen. Es schien, als ob die Belastungen für Kinder und Jugendliche und damit auch unmittelbar für deren Familien durch den Lockdown gar nicht wahrgenommen wurden. Es wurde davon ausgegangen, dass Familien das einfach stemmen. Kinder und Jugendliche in belasteten Familiensituationen oder in stationären Einrichtungen wurden gar nicht gesehen. Zwar geschah dies auch immer aus dem nachvollziehbaren und guten Grund des Schutzes älterer und/ oder vorerkrankter Menschen. Insbesondere während des sogenannten zweiten Lockdowns verstärkte sich aber der Eindruck, dass andere Interessen als die Belange und Rechte von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien handlungsleitend bei politischen Entscheidungen zur Pandemiebekämpfung waren.
Es muss sich zeigen, ob der politische Wille anhält
Es ist der unermüdlichen fachpolitischen Lobbyarbeit von Verbänden und Institutionen der Kinder- und Jugendarbeit, der Bildungs- und Entwicklungsforschung sowie den Akteurinnen und Akteuren aus Erziehungsfachverbänden und der Kinder- und Jugendhilfe zu verdanken, dass sie die Systemrelevanz von Kitas, Schulen und Orten der non-formalen und informellen Bildung für junge Menschen betont und deren Weiterbetrieb gefordert haben. Sie haben auf die Verschärfung von sozioökonomischen Ungleichheiten hingewiesen, etwa hinsichtlich der Ausstattung mit Endgeräten für das Homeschooling, und sich mit vehementem Appell für die Sicherstellung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen in stark belasteten Familienstrukturen eingesetzt.
Mittlerweile liegt das Corona-Aufholpaket der Bundesregierung vor, das Kinder und Jugendliche insbesondere in außerschulischen Bereichen fördern und unterstützen will (zum Beispiel durch den Ausbau der Frühen Hilfen und mit Förderungen für Freizeiten und Praktika). Es wird sich allerdings noch zeigen müssen, inwieweit und welche Kinder und Jugendliche von diesem Programm profitieren. Zurzeit ist auch bei allen Parteien der politische Wille vernehmbar, die Kitas und Schulen im Herbst während einer etwaigen sogenannten vierten Welle offen zu halten. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Vorhaben nicht nur dem Wahlkampf im Vorfeld der Bundestagswahl geschuldet war.
"Forderungen von Schüler(inne)n ernst nehmen"
Wie junge Menschen selbst die Zeit der Hochphase der Pandemie erlebt haben und welche Perspektiven sie für sich sehen, ist in ersten vorliegenden Studien und Umfragen hinterlegt worden (S. auch den Beitrag von Karin Böllert auf S. 9). Die Ergebnisse sind durchaus differenziert. So werden auf der einen Seite sehr starke Herausforderungen, Überlastungen und Krisensituationen deutlich, aber es konnten auch positive Entwicklungen und Erfahrungen gemacht werden.
Die gesetzlichen Möglichkeiten nutzen
Wie können weiter die Stimmen und Perspektiven von Kindern und Jugendlichen zu ihren Vorstellungen, Wünschen und Bedarfen im Nachgang der Pandemie eingeholt und vor allem berücksichtigt werden? An erster Stelle steht, dass die Erwachsenen geeignete Räume anbieten, in denen junge Menschen untereinander und von Erwachsenen lernen (können), in denen sie sich zu Wort melden, sich beteiligen, sich selbst für ihre Anliegen einsetzen. Das sind neben den Lebensräumen Kita, Schule und Nachmittagsbetreuung allen voran die Kinder- und Jugendverbände, Vereine sowie Plätze und Orte im Stadtviertel oder im ländlichen Raum, die junge Menschen dazu einladen, sich gemeinsam dort aufzuhalten und Zeit miteinander zu verbringen.
Zweitens gilt es, alle Kinder und Jugendlichen in den Blick zu nehmen, damit auch junge Menschen aus stark belasteten Familien, Kinder in Pflegefamilien oder junge Erwachsene in Wohngruppen erfahren, dass ihnen zugehört wird und ihre Stimme Gewicht und Bedeutung hat. Das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (SGB-VIII-Refom) bietet im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe hier einen neuen Rahmen durch gesetzlich verankerte Ombudsstellen und eine bessere Beteiligung und Einbeziehung von jungen Menschen.
Nicht zuletzt hat der Umgang der politisch Verantwortlichen mit den Bedürfnissen und Wünschen junger Menschen während der Pandemie einmal mehr gezeigt, dass wir insgesamt eine deutlich stärker auf die Interessen und Rechte von Kindern und Jugendlichen ausgerichtete Politik brauchen. Das beginnt beim Ernstnehmen von klimapolitischen Forderungen von Schüler(inne)n, berührt die Frage nach der Absenkung des Wahlalters und führt zum skandalös langsamen Abbau von Kinder- und Jugendarmut in unserem reichen Land. Das bedeutet auch, dass Maßnahmen und Angebote, die jungen Menschen Raum und Gelegenheit zur Artikulation ihrer Interessen geben, systematisch gefördert werden: Jugendverbände, offene Jugendarbeit, aber auch Schulsozialarbeit und weitere Jugendhilfemaßnahmen.
"Was brauchst Du für ein besseres Leben?" fragen Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) und SKM beim Internationalen Tag zur Bekämpfung von Armut am 17. Oktober. Alle sollten sehr genau zuhören, was vor allem junge Menschen zu sagen haben.
Enorme Auswirkungen
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