Von der Caritas im Osten zum starken Verband im Norden
Die Caritas Mecklenburg wurde 1946 gegründet, im Zusammenhang mit den kirchlichen Bemühungen um die Bewältigung der Kriegsfolgen beziehungsweise um die Linderung der Not vor allem der Heimatvertriebenen in Mecklenburg. In den Jahrzehnten der DDR dann waren die Machthaber bemüht, das Christentum verächtlich zu machen, die Kirche als Alibi für Meinungsfreiheit zu instrumentalisieren und sie zugleich ins gesellschaftliche Abseits zu stellen.
In dieser Zeit wurde die Caritas das bedeutendste „soziale Organ“ der katholischen Kirche in der sozialistischen Gesellschaft: in engen Grenzen staatlich toleriert und – eher verstohlen – geschätzt; hilfreich für alte, behinderte und kranke Menschen; segensreich für die Kirche selbst. Die Caritas hat in diesen Jahren manche pastorale Möglichkeit eröffnet und darüber hinaus die Kirche vor einem gänzlichen Rückzug in die „eigenen vier Wände“ bewahrt. Vielen Hilfesuchenden gab sie verlässlich Orientierung und Halt in schwerer Zeit.
Im Zuge der vielfältigen Veränderungen, die 1989/90 Wende und Wiedervereinigung mit sich brachten, wurde die Caritas Mecklenburg als eingetragener Verein weitergeführt. Der Neuaufbau ambulanter Dienste und die damit verbundene Ausweitung des Personalbestands machten rasch eine Untergliederung der Wohlfahrtsorganisation erforderlich. Im Caritas Mecklenburg e. V. gab es rechtlich unselbstständige Kreisverbände, zuerst sechs; am Ende des Prozesses der Neustrukturierung waren es drei Kreisverbände in den Regionen Westmecklenburg, Rostock-Güstrow und Neubrandenburg-Waren. Sie wurden Mitte der 1990er-Jahre gegründet, um vor Ort jeweils zwei Ziele umzusetzen: Die Einheit von Pastoral und Caritas – das Miteinander verbandlicher Caritas mit den Pfarrgemeinden – sollte möglichst erhalten bleiben beziehungsweise ausgebaut werden. Es ging insbesondere um die Förderung freiwilligen Engagements in den Gemeinden und caritativen Diensten und somit auch um die Stärkung des diakonalen Grundvollzugs kirchlichen Lebens.
Die zwar rechtlich nicht selbstständigen Kreisverbände arbeiteten in ihrem Selbstverständnis wie eingetragene Vereine und fühlten sich zugleich als die eine Caritas in Mecklenburg: Es gab eine Satzung, einen Vorstand, an dessen Spitze ein Pfarrer stand, der eng mit dem Geschäftsführer des Kreisverbandes zusammenarbeitete. Die Kreisgeschäftsführer nahmen die Vertretung der Caritas vor Ort in den unterschiedlichen Gebietskörperschaften sowie die Dienst- und Fachaufsicht im ambulanten und stationären Bereich wahr. Insbesondere die Förderung und Unterstützung der ehrenamtlich Tätigen in den Gemeinden war ohne die Caritasarbeit vor Ort nicht denkbar. Es gab regelmäßige Vorstandssitzungen und Mitgliederversammlungen mit Rechenschaftslegung und Abstimmung über soziales Engagement und soziale Dienste in den Kreisverbänden. Regelmäßig fanden zudem Beratungen der Kreisgeschäftsführer mit dem Caritasdirektor statt, ebenso mit den Fachreferaten und der Verwaltung des Verbandes. Abgestimmtes Auftreten und wirtschaftliche Solidität gehörten zum Markenkern der Caritas Mecklenburg.
Für die Kirche und ihre Caritas war die Verwurzelung der Caritas im öffentlichen Gemeinwesen von geradezu existenzieller Bedeutung. War die Kirche unter dem DDR-Regime zwangsweise fast ausschließlich auf eine kirchliche „Binnenperspektive“ festgelegt gewesen – was sich unter anderem im Berufsbild des „Fürsorgers im kirchlichen Dienst“ ausprägte (als Dekanatsfürsorger offiziell nur Ansprechpartner für Gemeinden in sozialen Belangen) –, so konnte die Caritas jetzt ohne Einschränkung am Aufbau sozialer Dienste und Einrichtungen mitwirken. Die zu DDR-Zeiten oft vorhandenen inoffiziellen Beziehungen vor Ort zu Nervenkliniken oder zu Ärzt(inn)en, Psycholog(inn)en und sozialen Einrichtungen spielten eine nicht unerhebliche Rolle bei der Neugestaltung des Sozialwesens im Bereich der ehemaligen DDR.
Hier nebenbei eine Anekdote: Warum durften die „kirchlichen Fürsorger“ in der DDR sich nicht Sozialarbeiter nennen? Die Beseitigung der Klassengegensätze in der sozialistischen Republik, erklärte die Staatspartei SED, habe die soziale Frage ein für alle Mal erledigt. Das heißt, weil es in der „entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ keine soziale Frage mehr gibt, kann es auch keine Sozialarbeiter geben. Ganz einfach.
Die neue Caritas im Norden
In den verschiedenen Diensten sind heute in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg circa 1850 Mitarbeiter(innen) tätig. Am 21. April 2018 stimmten die Vertreterversammlungen der bisher vier Caritasverbände im Erzbistum Hamburg für ihren Zusammenschluss. An diesem Tag wurde der neue – Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg mit allen Einrichtungen und Diensten umfassende – Caritasverband für das Erzbistum Hamburg e. V. gegründet und von Erzbischof Stefan Heße mit einem Sendungsauftrag versehen. Dienstsitz ist Schwerin.
Der Prozess der Umstrukturierung des Verbandes ist auch nach anderthalb Jahren in vollem Gange, seine Leitfragen lauten:
- Wie kann in e i n e m Verband das Subsidiaritätsprinzip so umgesetzt werden, dass Caritas sich im Gemeinwesen vor Ort und in den pastoralen Räumen als verlässlicher Partner einbringt?
- Was macht uns als Caritas aus?
- Wo sind wir als e i n Verband der katholischen Kirche im Norden erkennbar?
Hier kann nur punktuell auf einige Aspekte aufmerksam gemacht werden, an denen auch Möglichkeiten und Grenzen erkennbar und erfahrbar sind:
- Nur vor Ort lässt sich gemeinsam herausfinden, was sinnvoll und auch machbar ist.
- Dabei ist zu beachten, dass Kirche und Caritas im Gemeinwesen verortet sind beziehungsweise bleiben. Das bringt ganz konkrete praktische Folgerungen mit sich, sowohl für die Arbeit als auch für das Selbstverständnis: Vieles, was getan werden muss, muss beispielsweise nicht von der Caritas geleistet werden, wenn andere Träger diese Dienstleistungen in guter Qualität anbieten. Hierin liegt auch eine große „Entlastung“, die einem weitverbreiteten Gefühl der Überforderung, beispielsweise in unseren kirchlichen Gemeinden, entgegenwirken kann. Es lässt sich vielleicht so beschreiben: „Auf immer weniger Menschen kommen immer mehr Aufgaben. Es sind immer dieselben Menschen, die sich zur Verfügung stellen. Und auch die werden immer älter und sind zum Teil schon selber hilfebedürftig.“ Die – oft resignativ – gestellte Frage lautet dann nicht selten: „Wo soll das alles nur noch hinführen?“ Es ist mitunter diese fatalistisch anmutende Mentalität, die Kreativität behindert und Initiativen blockiert.
- Vernetzung heißt, dass kirchlich-caritative Sozialarbeit ganz selbstverständlich, ohne Berührungsängste oder Überheblichkeit, mit allen „Menschen guten Willens“ zusammenarbeitet. Überall, wo Gutes geschieht, geschieht es in der Zuwendung Gottes, dessen Geist „weht, wo er will“. Überall dort, wo die Caritas ihre Hilfen anbietet, sollten Brücken zu anderen – Leistungserbringern wie -empfängern – eröffnet werden, um Teilhabe umfassend zu ermöglichen. Die Arbeit in Trägerverbünden, in Mehrgenerationenhäusern, bei der Migration oder in Schulwerkstätten und Integrationshilfen illustrieren beispielhaft das erforderliche Zu- und Miteinander in sozialen Hilfeprozessen. „Jeder kann etwas einbringen, und niemand vermag alles“ – diese Einsicht ist wichtig im Zusammenwirken sozialer Dienstleister.
- Der Grundsatz vernetzten Tuns zeigt sich insbesondere auch in der Gremienarbeit, in Ausschüssen, in Ligen der Wohlfahrtspflege und in der politischen Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit.
- Wichtig ist Vernetzung auch in Kirche und Caritas selbst – sich regelmäßig zu treffen in sogenannten Caritas-Pastoral-Runden. Bewährt haben sich Gesprächskreise mit den Ortsgeistlichen, den vor Ort verantwortlichen Caritasleiter(inne)n, die Arbeit in den Gremien der pastoralen Räume und ebenso in den Gemeindeteams und dem Pfarrpastoralrat der jeweiligen Pfarreien. Hier sollten die sogenannten „Orte kirchlichen Lebens“ ihren angestammten Platz haben – und ihn auch entsprechend wahrnehmen! Denn Vernetzung hat auch einen institutionellen Aspekt: Je verlässlicher die einzelnen Akteure in Gemeinden und Verband einander regelmäßig und „auf Augenhöhe“ begegnen, desto effektiver, vertrauensvoller und abgestimmter die Zusammenarbeit.
- Die kontinuierliche Mitarbeit am Pastoralkonzept der Pfarreien und pastoralen Räume – und auch an seiner Umsetzung in den Pfarreien – ist dabei ein besonderer Schwerpunkt der Caritaspastoral des Verbandes.
Caritas als Grundvollzug der Kirche – das Profil schärfen
Zusammengefasst geht es bei der Umstrukturierung der Caritas im Erzbistum Hamburg um ein möglichst abgestimmtes, einheitliches Auftreten aus christlich-sozialer Verantwortung heraus.
- Dabei ist die Bündelung von Kompetenzen wichtig – angesichts überall knapper werdender Ressourcen.
- Die Vernetzung der Orte kirchlichen Lebens untereinander in den Sozialräumen ist konstitutiv für eine bedarfs- und qualitätsgerechte Sozialarbeit.
- Stetige Abstimmung der Orte kirchlichen Lebens mit gemeindlichen und caritativen Aktivitäten der Pfarrei ermöglicht nicht nur den Austausch und fördert das Ehrenamt. Sie gewährleistet auch, dass die Grundvollzüge kirchlichen Lebens – Verkündigung, Liturgie und praktische Nächstenliebe – im ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen.
Das II. Vatikanische Konzil hat Wesen und Aufgabe von Kirche und Caritas herausgestellt: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“1 Und der Konzilstheologe Karl Rahner sagt über den „Weltdienst“ der Christ(inn)en: „Ich muss nicht auf der Kanzel predigen, aber – was schwerer ist – durch mein Leben das Evangelium bezeugen. In einer Umgebung, die weder ausdrücklich das Christliche ablehnt, noch es wirklich liebt, sondern alles Religiöse tabuisiert ...“ 2
Anmerkungen
1. Gaudium et spes 1.
2. Rahner, Karl: Gebete des Lebens. Freiburg/Basel/Wien, 1993,
Seite 163-164.
Caritas im Bistum Dresden-Meißen – ein wichtiger Player in der Sozialwirtschaft
Von der Caritas im Osten zum starken Verband im Norden
Fortschritt: mal im Schneckentempo und mal unter Hochdruck
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