Caritas im Bistum Dresden-Meißen – ein wichtiger Player in der Sozialwirtschaft
"Heute sind wir das glücklichste Volk der Welt." Mit diesen Worten beschrieb der damalige Regierende Bürgermeister von West-Berlin, Walter Momper, am 9. November 1989 vor dem Brandenburger Tor das Gefühl der Deutschen, als die Mauer fiel. Knapp ein Jahr später wurde an derselben Stelle die Deutsche Einheit offiziell vollzogen. Vor allem für die Ostdeutschen begann im Anschluss ein Prozess tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen. Das betraf auch die Kirche und ihre Caritas. 30 Jahre nach dem Mauerfall kann die Caritas im Bistum Dresden-Meißen auf eine Erfolgsgeschichte zurückblicken.
In der Zeit der DDR konnte die Caritas nur unter dem Schutz der Kirche existieren. Eine Ausübung ihrer Tätigkeit in Form eines eingetragenen Vereins als sichtbares Zeichen der Nächstenliebe durch aktive Christ(inn)en und die Übernahme von Verantwortung dafür waren unmöglich. Vorhandene oder nach Kriegsende entstandene kirchliche Angebote wurden mit viel Mühe, aber erfolgreich bis 1989 betrieben. Ab den späten 1970er-Jahren konnten sogar Krankenhäuser und Altenheime erweitert beziehungsweise neu gebaut werden. Grundlage dafür war die jährliche Unterstützung der sozialen Arbeit der Kirche in der DDR durch die Bundesrepublik. Zusätzlich konnten die Altenpflegeheime, Krankenhäuser und Einrichtungen der Behindertenhilfe mit eigenen kirchlichen Baubrigaden – unter zumeist abenteuerlicher Materialbeschaffung – saniert und modernisiert werden.
Anstelle eines Caritasverbandes für das Bistum gab es eine Extra-Abteilung im Bischöflichen Ordinariat, die Diözesancaritas. Sie verwaltete ihre Arbeit eigenständig mit einem gesonderten Finanzhaushalt. Ihre Aufgabe war es, die caritative Arbeit im Bistum Dresden-Meißen zu koordinieren, für die Qualität der Arbeit und für ihre Weiterentwicklung zu sorgen und Fortbildungen für Mitarbeiter(innen) zu organisieren. Ebenfalls wurden zentrale Dienstleistungen wie Personalverwaltung, Lohnabrechnung, Finanzbuchhaltung und Kostenverhandlungen mit den zuständigen staatlichen Stellen angeboten. Der Zusammenhalt der Ehrenamtlichen in den Pfarrgemeinden wurde durch eine intensive Betreuung der Helfergruppen unterstützt.
Bei der Arbeit mit Menschen mit Behinderung war die Caritas Vorreiterin
Die Einrichtungen der Caritas in der DDR waren sehr nachgefragt und galten oft als Maßstab der sozialen Arbeit. Dies traf besonders für die baulichen Gegebenheiten zu. Vor allem im Bereich der Arbeit mit Menschen - speziell mit Kindern - mit Behinderung war die Caritas Vorreiterin. Dafür sah die staatliche sozialistische Fürsorge wenig eigene Angebote vor, weil sie Kinder mit Behinderung als nicht schul- und förderwürdig einstufte.
Schwerpunkt in der Personalarbeit war die Gewinnung von katholischen beziehungsweise evangelischen Mitarbeitenden. Für die Ausbildung junger Menschen unterhielt die Caritas eigene Einrichtungen, teilweise im Verbund mit anderen Diözesen in der DDR. So konnten sich junge Menschen in einjährigen Vorkursen, sogenannten Praktikanturen und Aspiranturen, auf die Ausbildung zum/zur Krankenpfleger(in) beziehungsweise zum/zur Erzieher(in) vorbereiten. Im Gegensatz zur Krankenpflege-Ausbildung wurde die Ausbildung zum/zur kirchlichen Erzieher(in) und Fürsorger(in) nicht staatlich anerkannt. Die gesamte Ausbildung wurde allein mit kirchlichen Mitteln unterhalten.
Im ländlichen Raum war es zusätzlich notwendig, für die Mitarbeitenden Wohnraum bereitzustellen. Dies trug dazu bei, dass mehrere Personalhäuser von den kirchlichen Baubrigaden errichtet wurden. Ab dem Jahr 1980 belastete die steigende Zahl an ausreisewilligen DDR-Bürger(inne)n zunehmend auch die Arbeit der Caritas im Bistum. Wer einen Ausreiseantrag stellte, war auf dem sozialistischen Arbeitsmarkt nicht mehr gefragt. Für viele war daher die Arbeit in einer kirchlichen Einrichtung ein Schutzschild vor weiterer Bedrängnis. Allerdings war die Dauer der Anstellung ungewiss, denn der Termin der Ausreise wurde nur kurzfristig mitgeteilt. So musste erneut eine Nachbesetzung gefunden werden. Zunehmend stellten ab Mitte der 1980er-Jahre auch Leitungsmitarbeitende der Caritas einen Ausreiseantrag in die Bundesrepublik. Die Ungewissheit, wann dieser bewilligt und vollzogen würde, lähmte spürbar die Entwicklungen der Arbeit in den Einrichtungen. Gesucht wurden neue Mitarbeiter(innen) überwiegend durch Meldung in den Pfarrgemeinden oder durch persönliche Ansprache von geeigneten Katholik(inn)en.
Mit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 musste das vorhandene Gesundheits- und Sozialsystem der DDR völlig umgestellt werden. Die Einrichtungen waren überwiegend abgewirtschaftet und ineffizient, in einem maroden baulichen Zustand und entsprachen in keiner Weise den neuen gesetzlichen Anforderungen.
Für die Caritas begann ein spannender Neubeginn. Ein eingetragener Verein wurde gegründet und die Organisation als Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege für den Freistaat Sachsen aufgebaut. In einem ersten Schritt wurden sämtliche Standorte der Caritas analysiert und Überlegungen angestellt, welche Möglichkeiten der Entwicklung vorhanden sind. Konnte man das Gebäude erweitern, war auf dem Grundstück Platz für einen Neubau, gab es andere kirchliche Standorte in der Nähe?
Dieser Prozess wurde durch Koordinierungsausschüsse für die Bereiche Altenhilfe und Behindertenhilfe begleitet, die durch das Sozialministerium eingesetzt waren. Für den Erneuerungsprozess war ein Zeitraum von zehn bis 20 Jahren vorgesehen. Bis dahin sollten die Einrichtungen dem normalen Standard der Bundesrepublik entsprechen.
In den Jahren 1999 bis 2009 entstanden auch tatsächlich die meisten neuen Einrichtungen. Die Gesundheits- und Sozialwirtschaft verzeichnete einen Bauboom. Mit der Erneuerung ging auch ein Kapazitätsausbau einher, da die vorhandenen Einrichtungen überwiegend nur wenige Plätze anboten. Zusätzlich zu den Kapazitätserweiterungen wurde die deutliche Verbesserung der Stellenschlüssel spürbar, die sich im Vergleich zu 1989 im Schnitt verdoppelten. Damit war die Suche nach neuen geeigneten Mitarbeiter(inne)n dringend erforderlich und erneut ein Schwerpunkt.
Kinderkrippen wurden überflüssig
Im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe stellte sich die Situation zunächst anders dar. Durch den dramatischen Bevölkerungsverlust in den neuen Bundesländern in den Anfangsjahren war der Bereich der Kinderbetreuung (Kinderkrippen und Kindergärten) bald überdimensioniert. Zusätzlich sank die Geburtenrate dramatisch. In der Folge wurden überflüssige Einrichtungen (vorwiegend Kinderkrippen) geschlossen und die vorhandenen Krippenerzieher(innen) auf die staatlichen stationären Kinderheime und Kindergärten umgesetzt. Plötzlich standen die wenigen bisher nicht staatlich anerkannten Einrichtungen der Caritas, Kindergärten und Kinderheime in direkter Konkurrenz zu den staatlichen Einrichtungen, die vom Freistaat Sachsen schnell in kommunale Trägerschaft überführt wurden. Warum sollte die Kommune die Caritas-Einrichtungen mitfinanzieren beziehungsweise durch Neubauten ersetzen, wo doch ohnehin zu viele Einrichtungen vorhanden waren?
Insgesamt haben sich die Platzzahlen in den Einrichtungen in manchen Bereichen mehr als verdoppelt, in der Behindertenhilfe sogar verzehnfacht (siehe Tabelle 1).
Begünstigt wurde die Suche nach Mitarbeiter(inne)n in den 1990er-Jahren dadurch, dass in anderen Bereichen der Wirtschaft die Arbeitsplätze drastisch wegbrachen und die Arbeitslosenzahlen nach oben schnellten. Für berufsfremde Mitarbeitende gab es gesonderte Fortbildungsangebote, um sie an die benötigte Qualifikation heranzuführen. Insbesondere junge Menschen gingen in die alten Bundesländer, weil dort Arbeitsplätze vorhanden waren, die darüber hinaus auch deutlich besser bezahlt wurden. Das betraf leider auch viele frisch ausgebildete Menschen in den Gesundheits- und Sozialberufen (siehe Tabelle 2).
Die Mitarbeiterzahlen im Caritasverband sind auf das Vierfache angewachsen. Insbesondere die Anzahl der Teilzeitbeschäftigten stieg kontinuierlich an. Eine Teilbeschäftigung (meist im Umfang von 30 bis 35 Wochenstunden) war allemal besser als gar keine Arbeit. Mit der steigenden Anzahl der Mitarbeitenden einhergehend, sank allerdings auch der Anteil konfessionsgebundener Mitarbeiter(innen) kontinuierlich – in den letzten zehn Jahren um circa ein Prozent pro Jahr. Knapp die Hälfte aller Mitarbeitenden gehört heute noch einer christlichen Konfession an (siehe Tabelle 3).
Die Zahl der Katholik(inn)en im Bistum nahm seit 1989 um mehr als 20 Prozent von 181.000 auf 141.717 ab. Die Anzahl der katholischen Mitarbeitenden ist seit 1999 mit etwa 1800 konstant geblieben (siehe Tabelle 4).
Mehr Werbung für Berufe im Sozialwesen nötig
Waren in der DDR Berufe im Gesundheits- und Sozialbereich gefragte Berufsbilder für Christ(inn)en als Nischen, in denen man vor ideologischer Beeinflussung geschützt war, hat sich dies nach 1989 deutlich gewandelt. Heute stehen alle Berufsbilder zur Verfügung. Der Trend geht zu Berufen mit Hochschabschluss, zum Beispiel in den Bereichen Informationstechnologie, Jura, Betriebswirtschaft oder Medizin. Die Werbung für Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen wie Erzieher(innen), Krankenpfleger(innen), Altenpfleger(innen) und Sozialarbeiter(innen) müsste in den katholischen Gemeinden intensiviert werden, will man in Zukunft mehr katholische Mitarbeitende gewinnen. Die Ausbildungskapazitäten im Bereich der Caritas sind dazu vorhanden.
Etwa 80 Jugendliche nehmen jährlich an Maßnahmen der Freiwilligendienste (Freiwilliges Soziales Jahr und Bundesfreiwilligendienst) teil, zusätzlich können 25 Sozialassistent(inn)en, 30 Erzieher(innen), 50 Krankenpfleger(innen) und 20 Altenpfleger(innen) jährlich eine Ausbildung bei der Caritas beginnen.
Die Entwicklung der Caritas im Bistum Dresden-Meißen kann man als sehr positiv bezeichnen. Die Caritas ist zwar ein kleiner, aber wichtiger Bestandteil im Gesamtkonzept der Gesundheits- und Sozialwirtschaft des Freistaates Sachsen.
Anmerkungen
Die statistischen Angaben sind den Jahresberichten des Caritasverbandes für das Bistum Dresden-Meißen beziehungsweise der Zentralstatistik des Deutschen Caritasverbandes entnommen.
Bis zur friedlichen Revolution im Jahr 1989 waren im Bereich der Diözesancaritas des Bistums Dresden-Meißen 1827 Mitarbeiter(innen) tätig. Sie arbeiteten unter anderem in 13 Kindergärten, vier Kinderheimen, zwei Heimen der katholischen Fürsorge, vier Erholungsheimen, 22 Altenheimen, sechs Krankenhäusern und sieben Einrichtungen für behinderte Menschen. In jedem der 13 Dekanate gab es ein Caritas-Sekretariat und ein gesondertes religionspädagogisches Angebot für Vorschulkinder in den Pfarrgemeinden, die sogenannte „Frohe Herrgottstunde“.
Caritas im Bistum Dresden-Meißen – ein wichtiger Player in der Sozialwirtschaft
Von der Caritas im Osten zum starken Verband im Norden
Fortschritt: mal im Schneckentempo und mal unter Hochdruck
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