Fortschritt: mal im Schneckentempo und mal unter Hochdruck
Zum Einstieg ins Thema „Pflegeversicherung“ gab es erst einmal Streicheleinheiten bei der 19. Delegiertenversammlung des Deutschen Caritasverbandes, die vom 15. bis 17. Oktober in Bamberg tagte: die bayerische Staatsministerin Melanie Huml dankte der Caritas als einer „der tragenden Säulen im Sozialstaat“. „Die Menschen haben Angst, sich Pflege nicht mehr leisten zu können“, brachte sie auf den Punkt, was auch die Caritas mit Sorge beobachtet. 1995 wurde die Pflegeversicherung als Teilleistungs-System geschaffen, um den Menschen angesichts der demografischen Entwicklung die Angst zu nehmen, auf Pflege angewiesen zu sein. Die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die teilweise nicht zu stemmenden Anteile an Eigenleistung durch die zu Pflegenden selbst erfordern eine Neujustierung der Pflegeversicherung. Dazu hatte der DCV für die Delegierten ein Positionspapier erstellt samt Forderungen an die Politik mit der Grundaussage, die Eigenbeteiligung der Betroffenen zu deckeln.
Papier und Forderungen fanden auch großen
Anklang unter den Delegierten. Doch
wollte man an einzelnen Stellen noch Ergänzungen,
etwa bei der Kurzzeitpflege, der
Behandlungspflege, der Anerkennung ausländischer
Bildungsabschlüsse, dem Einsatz von
Flüchtlingen und beim Blick auf Pflegebedürftige,
die eine Behinderung haben. Mit der Auflage
an den Vorstand, die entsprechenden
Ergänzungen vorzunehmen, wurden Papier
und Forderungen einstimmig verabschiedet.
Plattformisierung setzt die Caritas unter Druck
Die Caritas dürfe die digitale Transformation
der Gesellschaft nicht erleiden, sondern müsse sie mitgestalten, war das Credo, mit dem
DCV-Vorstand Eva M. Welskop-Deffaa zum
Thema „Digitale Agenda“ überleitete. Seit der
letztjährigen Delegiertenversammlung hatten
sämtliche Kommissionen der Delegiertenversammlung
sich die Digitalisierung
unter anderen wieder zum Arbeitsthema
gemacht. In entsprechenden fachlichen
Workshops wurde nun in Bamberg
nochmals diskutiert, was die Fakten, Bedürfnisse
und Entwicklungsmöglichkeiten
sind. Klar wurde in der Diskussion, dass
auf allen Ebenen der Druck auf die Caritas
groß ist, hier mit den gesamtgesellschaftlichen
Entwicklungen Schritt halten zu können.
Dass die Caritas ihre Angebote und digitalen
Instrumente selbst erst plattformfähig
machen muss, gilt als vorausgesetzt (siehe
neue caritas 17/2019, Seiten 9–19). Insbesondere
das Onlinezugangs-Gesetz bedeutet eine große
Herausforderung. Schon schwieriger gestaltet
sich die Frage, ob die Antworten auf die
Herausforderungen zentral oder dezentral
angegangen werden müssen: in einer gemeinsamen
strategischen Entwicklung mit möglichst
gemeinsamer IT-Infrastruktur, also
„einer Organisationsstruktur, auf die alle aufspringen
können“, so die Vorstellung eines
Delegierten, oder ob die Ressourcen vor Ort
liegen und dort die Entwicklung stattfindet.
Dabei wäre das Ziel, mittels Schnittstellen
eine möglichst breite Anbindung zu erreichen.
Nur kurz angesprochen wurde, dass
dies alles hohe finanzielle Ressourcen benötigen
würde. Vizepräsidentin Irme Stetter-Karp fühlte sich an die Debatte um eine Caritas
1 und 2 erinnert, die vor zwei Jahrzehnten
die Diskrepanz von unternehmerischen und
anwaltschaftlichen Interessen aufgezeigt
hatte. Neue Herausforderungen bräuchten
auch neue Rechtsformen für Zusammenschlüsse,
taten einige Delegierte ihre Sichtweise
kund. Caritaspräsident Peter Neher
stellte klar, dass die Koordination eine zentrale
Aufgabe sei, nicht aber, konzernähnliche
Strukturen aufzubauen.
Schließlich kam es zum Beschluss zur Weiterarbeit
an der digitalen Agenda. Doch über
die konkrete praktische Ausgestaltung und die
Umsetzung – auf welcher Ebene und durch wen –
wird noch weiter zu diskutieren sein. Die neue
caritas wird dazu weiter berichten.
Aufarbeitung bei und Prävention von sexueller Gewalt
Jeder für sich oder gemeinsam war auch die Frage hinsichtlich dessen, wie Prävention, Intervention und Aufarbeitung von potenzieller oder erlebter sexueller Gewalt bei Kirche und ihrer Caritas stattfinden sollen. Die Deutsche Bischofskonferenz überarbeitet gerade ihre Leitlinien, und Generalvikar Wolfgang Rösch aus dem Bistum Limburg, der diese Redaktionsgruppe leitet, stand in Bamberg Rede und Antwort. Laut Rösch sind die bischöflichen Leitlinien weit gefasst und müssten für die Caritas adaptiert werden. Beschlossen wurde in Bamberg, dass der Deutsche Caritasverband auf dieser Basis seine eigenen Leitlinien überarbeiten wird. Sie sollen vom Caritasrat 2020 in Kraft gesetzt und den Gliederungen und Mitgliedern als Selbstverpflichtung zur Umsetzung empfohlen werden. Präsident Peter Neher stellte klar, dass die Caritas-Empfehlungen als Ergänzung gedacht und eventuelle Vorgaben durch den Ortsbischof vorrangig seien.
Eine leichtere Übung war es für die rund 160 stimmberechtigten Delegierten, diverse Ordnungen für die Delegiertenversammlung und den Caritasrat zu verabschieden. Ihre Anpassung war durch die veränderte, an Geschlechtergerechtigkeit orientierte Satzung notwendig geworden.
Geänderte Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission
Keine Diskussion gab es auch bei den Änderungen in der AK-Ordnung. In der Vergangenheit hatten solche Änderungen via Delegiertenversammlung zum Teil zu heftigen Diskussionen mit den Dienstnehmervertretern geführt. Sie sahen darin einen Eingriff in die Tarifgestaltung, die einzig der Arbeitsrechtlichen Kommission zustehe. Aus Erfahrung klug geworden, hatte die Delegiertenversammlung nun eine aus Delegierten, AK-Dienstnehmervertretern und AK-Dienstgebervertretern zusammengesetzte Gruppe mit den Änderungsvorschlägen beauftragt. Dort habe man durchaus heftig diskutiert. Insbesondere die Erhöhung des Freistellungsumfangs auf AK-Mitarbeiterseite habe dazu Anlass geboten. Doch es kam in der Gruppe zum Konsens, und sie empfahl den Delegierten, ihren Vorschlägen zu folgen. Und dies geschah – man staune – einstimmig.
Klimapaket und Soziales sowie das Schneckentempo
Nachdem Caritaspräsident Peter Neher in seiner aktuellen Stunde den Zusammenhang von Klimawandel und Armut einmal mehr deutlich gemacht hatte, fand sein Vorschlag, das Thema Klimagerechtigkeit auf einer der nächsten Delegiertenversammlungen zu thematisieren, große Zustimmung.
Letztmalig lag den Delegierten der Bericht der Genderbeauftragten Irme Stetter-Karp vor. Künftig soll eine eigene Kommission des Caritasrates Gender- und Diversitätsfragen bearbeiten. Der Fortschritt sei eine Schnecke, war das Fazit der Beauftragten, als sie den Frauenanteil in der Führungsebene ansprach. Finanz- und Personalvorstand Hans Jörg Millies dankte der Genderbeauftragten für ihre Pionierarbeit.
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