Jugendarbeit: Statt Betontristesse Wege ins selbstbestimmte Leben
Frau Kießig, was fanden Sie nach der Wende in Brandenburg vor?
Im Stadtteil Hohenstücken gab es viel
Beton und Grau, aber es war nichts los für die Kinder und Jugendlichen.
Die Plattenbausiedlung mit 30.000 Einwohnern wurde
auch Ghetto genannt. Brandenburg an der Havel war eine
Arbeiterstadt, und es herrschte hohe Arbeitslosigkeit.
Wie sind Sie gestartet?
1991 sind vier Redemptoristenpater zu uns mitten in den sozialen
Brennpunkt gezogen. Sie kümmerten sich um Randbereiche wie
Gefängnisseelsorge und Asylbewerber. Der jüngste, Pater Pauli,
engagierte sich in der Jugendarbeit. Er ging direkt auf die Jugendlichen
zu, wollte wissen, was sie brauchen, organisierte Freizeitaktivitäten
und nahm sie ernst. Als er 1992 erfuhr, dass die Zukunft
des ehemaligen FDJ-Jugendclubs am Turm unsicher war, holte er
die Caritas mit ins Boot, um gemeinsam einen neuen Jugendclub
aufzubauen. 1993 gab es den Zuschlag der Stadt. Für die Caritas
hat er dann die offene Jugendarbeit im Stadtteil etabliert, und ich
war damals als Streetworkerin unterwegs.
Was waren die Herausforderungen?
Caritas und ihre Arbeit waren hier kaum bekannt. Es schlug uns einiges Misstrauen entgegen. Die Menschen vor Ort, gerade die Jugendlichen, wollten nach dem Ende der DDR mehr Selbstbestimmung und nicht wieder von einer Gesinnungsgruppe vereinnahmt werden. Auch gab es Konflikte zwischen rechts und links geprägten Jugendlichen. Es brauchte lange, um Beziehungen aufzubauen und bis die Eltern verstanden, dass wir es ehrlich meinen und echtes Interesse haben – unabhängig von der Religion.
Zunächst machten wir sehr niedrigschwellige Angebote und waren auf die offensichtlichen Defizite fokussiert. Große Themen waren Drogen, Alkohol und Gewalt.
Und wie gingen Sie mit den problematischen Jugendlichen um?
Wir haben die linken und rechten Jugendlichen miteinander konfrontiert und ins Gespräch gebracht. Dabei gab es auch auf die Nase. Aber Pater Winfried war mutig, blieb beharrlich und hat nie aufgegeben. Ein ziemlicher Kampf war es mit den Jugendlichen aus dem ehemaligen FDJ-Jugendclub. Sie waren zunächst sehr abwehrend. Mit vielen Gesprächen erreichten wir, dass "Caritas am Trauerberg" ein Ort für alle wurde.
Hat sich der Club in den Jahrzehnten dann weiterentwickelt?
Beibehalten wurde, dass wir klare Regeln gemeinsam mit den
Jugendlichen aufstellen und dass sie selbst Verantwortung übernehmen
und Ideen einbringen. Aber Beziehungsarbeit ist dabei
immer noch genauso wichtig wie 1993. Wir haben anfangs ein
eigenes Profil erarbeitet, uns auf schwierige Personen konzentriert
und bei der Jobsuche geholfen. 2008 kam Schulsozialarbeit
dazu, später ein Hort. 2012 sind wir umgezogen, da es im Stadtteil
nur noch ein Jugendzentrum geben durfte. Am neuen Standort
können wir projektbezogener arbeiten. Wir kooperieren mit
Schulen, die auch vormittags zu uns kommen, bieten Streitschlichter-Projekte an und sind auch Jugendinformations- und
Medienzentrum. Neu ist der Kindermittagstisch, weil auch Straßenkinder
zu uns kommen und andere zu Hause nicht wirklich
auskömmlich versorgt werden.
Was ist bei "Caritas am Trauerberg" heute anders?
Unsere Arbeit ist in der Stadt bekannt und selbstverständlich, sie
wird qualitativ auch nicht mehr hinterfragt. "Caritas am Trauerberg" ist mit den
Einrichtungen der Jugendarbeit, vielen Schulen, Ämtern und
anderen Caritas-Einrichtungen sehr gut vernetzt, so dass auch
immer eine schnelle Unterstützung möglich ist. Gerade mit dem
hortähnlichen Angebot und angebundenen Schulsozialarbeitern
ist "Caritas am Trauerberg" auch räumlich optimal ausgelastet. Es ist immer was
los. So nutzen viele Klassen den Treffpunkt für ganz verschiedene Aktivitäten
schon im Vormittagsbereich. Das Team aus Sozialpädagogen,
Erziehern und Schulsozialarbeitern ist inzwischen auf elf
Mitarbeitende angewachsen. Und wir haben passendere Instrumente,
um die Leute einzubinden und zu fördern. Der Club ist
inzwischen ein Ort, um sich auszuprobieren. Wo können Jugendliche
das heutzutage noch?
Caritas im Bistum Dresden-Meißen – ein wichtiger Player in der Sozialwirtschaft
Von der Caritas im Osten zum starken Verband im Norden
Fortschritt: mal im Schneckentempo und mal unter Hochdruck
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