Präventionsketten sollen die Folgen von Armut verringern
Zu den wichtigsten Aufgaben von Kommunen gehört es, gelingendes Aufwachsen von Kindern zu unterstützen. Kommunen werden dabei nicht nur mit der ungleichen Verteilung von Entwicklungschancen konfrontiert, also mit ungleichen Chancen auf Gesundheit, Bildung und soziokultureller Teilhabe. Sie müssen sich auch mit dem Phänomen auseinandersetzen, dass Menschen mit besonders hohem Belastungsgrad durch präventive Angebote häufig weniger gut erreicht werden als andere (Präventionsdilemma). Kindliche Entwicklungschancen müssen in diesem Kontext gesehen werden, damit wirkungsvoll reagiert werden kann. Es ist eine Herausforderung für Kommunen, den Folgen sozialer Ungleichheit aktiv zu begegnen und umfassende Teilhabe bedarfs- und bedürfnisgerecht zu realisieren.
Eine Vielzahl von Akteuren beschäftigt sich mit dem gelingenden Aufwachsen von Kindern: die Kinder- und Jugendhilfe, der öffentliche Gesundheitsdienst und andere Fachbereiche wie der soziale und der Bildungsbereich. Sport und Kultur, aber auch die Stadtentwicklung sind ebenfalls eingebunden. Diese Vielfalt führt zahlreiche verwaltungsfremde Akteure wie freie Träger und eine große Zahl an Fachkräften zusammen. Hier treffen nicht nur unterschiedlichste professionelle Sichtweisen aufeinander, sondern es variieren auch Zielsetzungen, Arbeitsweisen und Strukturen. Hinzu kommen verschiedene gesetzliche Vorgaben.
Abstimmungen über Ziele und Strukturen sind daher sehr aufwendig. Umfassende Information über die Aufgabenfelder und Angebote diverser Fachdienste und Institutionen zu erarbeiten und diese Angebote bei den Familien bekanntzumachen, fordert Kommunen und alle anderen Akteure ebenfalls heraus. Selbst für Fachkräfte ist es oft schwer, den Überblick zu bewahren und Transparenz herzustellen. Noch anspruchsvoller ist es, angesichts der komplexen Probleme von Familien in schwierigen Lebenslagen eine angemessene, passgenaue Unterstützung zu entwickeln, die Bedarfe und Bedürfnisse wirklich trifft.
Präventionsketten als Lösungsansatz
Integrierte kommunale Handlungsstrategien zu Gesundheitsförderung und Prävention, auch kurz "Präventionsketten" genannt, bieten hier einen Lösungsansatz. Ziel und Kern der Arbeit ist es, eine übergeordnete, ressort- und disziplinübergreifende Strategie zu entwickeln. Mit deren Hilfe sollen nachhaltige Strukturen etabliert werden, die Wahlperioden überdauern und unabhängig von temporären Projektfinanzierungen bestehen können. Präventionsketten sind also mehr als eine Aneinanderreihung vieler guter, aber temporär angelegter Angebote.
Landkreise, Städte und Gemeinden erarbeiten sich damit ein Handlungskonzept zur Gesundheitsförderung und Prävention, das zur kommunalen Situation und zur Bedarfs- und Bedürfnislage ihrer Kinder und Familien passt und sich langfristig und übergreifend über die verschiedenen Phasen von Kindheit und Jugend erstreckt. Je nach Lebensalter werden Lücken im Unterstützungssystem für Kinder und ihre Familien identifiziert, Übergänge gesichert sowie dazu passende Maßnahmen zur ressourcenorientierten Förderung entwickelt. Dazu wird kontinuierlich über Ressortgrenzen hinweg reflektiert, was und wer zur Realisierung gebraucht wird und welches Vorgehen sinnvoll ist. Übergeordnetes Ziel ist, gelingendes Aufwachsen im Wohlergehen für alle Kinder zu fördern, insbesondere aber für diejenigen in prekären Lebenslagen.1
Ein weiteres Ziel ist es, gemeinsam die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Kinder und Familien problemlos Zugang zu unterstützenden Angeboten finden und diese auch gerne annehmen. Diese Prioritätensetzung erfordert eine intensive Zusammenarbeit - innerhalb der kommunalen Verwaltung sowie mit externen Akteuren, zwischen Einzelnen, Organisationen und Netzwerken - sowie die verlässliche Unterstützung von den verschiedensten kommunalen Organisationsebenen und der Politik.
Unterstützung, Beratung und Begleitung
Präventionsketten sind als Strukturansatz zu verstehen, ausgerichtet auf die Entwicklung eines langfristig angelegten, umfassenden und tragfähigen Netzes von Unterstützung, Beratung und Begleitung, das beteiligungsorientiert agiert. Die Arbeit in sowie die Gestaltung von Netzwerken nimmt hier einen zentralen Stellenwert ein. Mit Blick auf ein abgestimmtes Handeln im Rahmen einer integrierten kommunalen Gesamtstrategie werden bereits bestehende und neue Strukturelemente sowie Akteure in einem fortwährenden, strategisch ausgerichteten Prozess der Vernetzung zusammengeführt.2
Am Anfang steht die Analyse
Zu den ersten Schritten gehört es, sich einen aktuellen Überblick über bestehende Gremien und Netzwerke zu verschaffen. Darauf aufbauend werden Strukturen zur Steuerung, Planung und zur Koordination des Prozesses im kommunalen System entwickelt oder auch gestärkt, welche die inhaltliche Abstimmung innerhalb der Verwaltung begünstigen. Ergänzend werden externe Institutionen und Akteure in beratende Gremien eingebunden, als wichtige Vertretung der Interessen von Kindern und Familien.
Ebenso wird die bestehende Angebotslandschaft analysiert. Dazu sollten die Angebote auch unter Lebenslagenperspektive betrachtet werden; das heißt, die Lebenslage wird je nach Altersstufe hinsichtlich der materiellen, gesundheitlichen, kulturellen und sozialen Lage der Kinder angeschaut. Anhand dieser Bestandserhebung und -analyse werden Ressourcen ("Perlen") und Defizite ("Lücken") identifiziert und entlang festgelegter Handlungsprinzipien passende neue Angebote entwickelt, unter anderem aufbauend auf den Regelleistungen (wie Bildung, Betreuung und Erziehung in Krippe/Kita, Familienbildung, Kinderschutz …). Das Unterstützungssystem selbst sowie die Kenntnis der spezifischen Entwicklungsaufgaben3, die in den jeweiligen Altersphasen anstehen, bieten bei dieser Aufgabe Orientierung.4
Gesund aufwachsen in Niedersachsen
Unter dem Motto "Gesund aufwachsen für alle Kinder!" werden bis Ende 2022 ausgewählte niedersächsische Kommunen beim Auf- und Ausbau von Präventionsketten für Kinder bis zu zehn Jahren fachlich begleitet und finanziell unterstützt. Durch Prävention sollen die Folgen von Kinderarmut verringert werden. Das Programm wird finanziert durch die Stiftung Auridis gGmbh und begleitet durch die Landeskoordinierungsstelle Präventionsketten Niedersachsen, die bei der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen (LVG & AFS) angesiedelt ist.
Die beteiligten kreisfreien Städte und Landkreise erhalten über einen Zeitraum von drei Jahren eine Anteilsfinanzierung der Personalkosten für die kommunale Koordination der Präventionskette sowie ein umfassendes Beratungs- und Fortbildungsangebot. Zu den elementaren konzeptionellen Bestandteilen des Programms gehört die praxisbezogene Unterstützung beim wirkungsorientierten Monitoring der Prozesse vor Ort.
Voraussetzung für die Beteiligung am niedersächsischen Programm ist eine vertragliche Vereinbarung, die einen politischen Auftrag zur Entwicklung einer langfristig angelegten, integrierten kommunalen Strategie zur Gesundheitsförderung und Prävention beinhaltet. Am Programm, das ab Mitte 2017 mit acht Kommunen startete, beteiligen sich derzeit 16 Kommunen mit 18 Präventionsketten.5
Was passiert genau?
Präventionsketten entstehen zwar nicht innerhalb von drei Jahren, doch es können in dieser Zeit zentrale Grundlagen für eine langfristige Zusammenarbeit gelegt werden. In dieser Phase befinden sich die meisten beteiligten Kommunen zum jetzigen Zeitpunkt. Sie entwickeln die Organisations- und Planungsstruktur passend zur Situation ihrer Kommune, führen lebensphasen- und lebenslagenspezifische Bestandsaufnahmen durch und analysieren die kommunale Angebotslandschaft unter Beteiligung vieler verschiedener Fachkräfte. Davon ausgehend wird gemeinschaftlich bestimmt, wo genau sie ansetzen wollen, um mit dem Auf- oder Ausbau der Präventionskette zu starten. Außerdem erarbeiten sie ihr Konzept für das wirkungsorientierte Monitoring.
Die Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung von Kindern im Kitaalter in einem Gebiet mit besonders hohem Anteil zugewanderter Menschen im Niedriglohnbereich gehört ebenso zu den aktuellen Aktivitäten wie die Einrichtung von Anlaufstellen für Familien in besonders belastetem Wohnumfeld. Gearbeitet wird auch am Abbau von Zugangsschwellen, zum Beispiel durch die Entwicklung niedrigschwelliger Online-Angebotsübersichten oder durch die kontinuierliche Fortbildung aller Fachkräfte von Kindertagesstätten zur Umsetzung von Partizipation in den Einrichtungen.
Mehrere Kommunen konzentrieren sich auf die Sicherung von Übergängen im Lebensverlauf. Manche wollen bisherige Erfolge, zum Beispiel aus Netzwerken "Früher Hilfen", auf die nächsthöhere Altersgruppe ausweiten. Alle Aktivitäten sind das Ergebnis genauester Recherchen und intensiver fachübergreifender Diskussionen. Sie spiegeln den durch Präventionsketten initiierten, interdisziplinären Blick auf die Situation von Kindern und Familien in ihrem Lebensumfeld.
Anmerkungen
1. www.praeventionsketten-nds.de
2. Richter-Kornweitz, A.; Holz, G.; Kilian, H.: Präventionskette/Integrierte kommunale Gesundheitsstrategie, 2016. www.leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/praeventionskette-integrierte-kommunale-gesundheitsstrategie [10.11.2018].
3. BMFSFJ - Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): 13. Kinder- und Jugendbericht. Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen - Gesundheitsbezogene Prävention und Gesundheitsförderung in der Kinder- und Jugendhilfe. Berlin, 2009.
4. Richter-Kornweitz, A.; Utermark, K.: Werkbuch Präventionskette. Herausforderungen und Chancen beim Aufbau von Präventionsketten in Kommunen. Hannover: Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V., 2013.
5. Die Differenz zwischen den beteiligten 16 Kommunen und den 18 Vorhaben ergibt sich aus zusätzlichen Aktivitäten in einer kreisangehörigen Gemeinde bzw. einem besonders belastetem Stadtteil zwecks Vertiefung bzw. als Modell.
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