Damit die Kommunikation gut klappt
Mit der Signmap und der Signbox haben die Vielfalter (www.teilhabe-experten.de) zwei aufeinander abgestimmte Kommunikationsinstrumente erarbeitet. Das Besondere: Die Materialien entstanden in gemeinsamer Arbeit von Gehörlosen und Hörenden.1 Sie basieren auf der Deutschen Gebärdensprache (DGS), sind aber primär für den Bereich Unterstützte Kommunikation (UK) konzipiert.
Die Gebärdentafel Signmap überträgt die große Kölner Kommunikationstafel2 mit 140 Feldern in Gebärden. Die Mitte der Tafel bietet Platz für 30 weitere Gebärden, die je nach individuellem Bedarf manuell fixiert werden können. Analog der Kölner Tafel werden die Wortarten der Signmap farblich klar gekennzeichnet: zum Beispiel rot für Verben, blau für Adjektive. Die Signmap verfügt über 113 zusätzliche Gebärdenkarten. Dieser Satz umfasst weitere wichtige Begriffe (Kern- und Randvokabular), die je nach Person oder Standort individuell in der Mitte der Tafel "angeklettet" werden können.
Die Signbox umfasst eine Sammlung von 224 großen Spielkarten mit Gebärden. Sie greift das Vokabular der Signmap auf: alle 111 Gebärden auf der Tafel sowie die 113 Gebärden der Bonuskarten. Um multimodales Lernen und Kommunizieren zu ermöglichen, befinden sich auf jeder Karte unterhalb der Gebärde das entsprechende Metacom-Symbol3 und Schriftbild.
Gebärdensprache ist eine vollwertige Sprache
Gebärden bieten vielfältige kommunikative Möglichkeiten. Einerseits gehören sie zum Sprachsystem der Gehörlosen. So ist die Deutsche Gebärdensprache eine vollwertige Sprache mit einem umfassenden Vokabular und einer eigenen Grammatik.
Gebärden haben aber auch eine wichtige Bedeutung in der "Unterstützten Kommunikation", also in der Erweiterung der kommunikativen Möglichkeiten von Menschen, die keine Lautsprache sprechen. Hier zählen sie zu den sogenannten körpereigenen Formen. Menschen, die nicht oder nur teilweise über Lautsprache kommunizieren, können immens von Gebärden profitieren. Gebärden können zu einer alternativen Kommunikationsform werden, aber auch die Lautsprache ergänzen beziehungsweise die Lautsprachentwicklung fördern.
So bieten Gebärden umfangreiche Verständigungsmöglichkeiten. Dennoch werden sie im Alltag (zum Beispiel in Werkstätten) offensichtlich nur zögerlich genutzt. Warum ist das so? Es lassen sich verschiedene Thesen aufstellen:
- Die Vielfalt der DGS überfordert Mitarbeitende. Oft folgen Beschwerden, dass derselbe Begriff viele unterschiedliche Gebärden hat. So gibt es in der DGS Dialekte. Gehörlose selbst können sich darauf problemlos einstellen. Hörende Mitarbeiter(innen) wünschen sich aber eher Orientierung und Klarheit.
- Es halten sich nach wie vor Mythen, dass sich eine Gebärdennutzung kontraproduktiv auf den Lautspracherwerb auswirkt. Diese Behauptung konnte mittlerweile eindeutig widerlegt werden. Das Gegenteil ist der Fall: Die Nutzung von Gebärden kann einen positiven Einfluss auf die Entwicklung und das Verständnis von Lautsprache haben.4
- Gebärdenmaterialien sind oft qualitativ nicht ausreichend gestaltet (unklare Fotos, falsch eingesetzte Bewegungspfeile).
- Die Nutzung von Gebärden erfordert eine klare Strategie. Es mangelt an didaktischem Wissen: Mit welchen Gebärden fange ich an, um eine effektive Kommunikation aufzubauen?
- Die Nutzung von Gebärden erfordert ein hohes Maß an Geduld, da sich Erfolge unter Umständen erst nach Monaten zeigen.
Wichtige Kriterien für die Produkte Signmap und -box
Die Signbox und die Signmap wurden 2016/2017 über einen Zeitraum von etwa anderthalb Jahren entwickelt. Für die Realisierung der Produkte waren mehrere Faktoren von besonderer Bedeutung:
- Die in der Region erarbeiteten Kommunikationsstandards (Projekt "Gelingende Kommunikation", siehe unten) werden berücksichtigt;
- Gebärdenzeichnungen müssen verständlich gestaltet sein;
- Gehörlose sollten in die Produktentwicklung eingebunden werden;
- Begriffe müssen sinnvoll ausgewählt werden: die Idee des Kern- und Randvokabulars.
Das Projekt "Gelingende Kommunikation" als Verbundprojekt von Sozialunternehmen der Behindertenhilfe in Süd-West Niedersachsen (Vielfalter) wurde in der Zeit vom 1. Dezember 2014 bis 30. November 2017 durch das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung gefördert. Ziel des Projektes war es, in allen teilnehmenden Einrichtungen der acht Komplexträger Standards für gelingende Kommunikation einzuführen und diese dauerhaft zu implementieren, damit Menschen mit einer Behinderung, egal wo sie leben und arbeiten oder Beratung in Anspruch nehmen, barrierefrei kommunizieren können.
So verständigten sich die Projektbeteiligten beispielsweise darauf, die DGS (beziehungsweise Gebärden auf Grundlage der DGS) anzuwenden. Weil die DGS komplex ist, wird zur Orientierung die Gebärdensammlung "Das große Wörterbuch der Deutschen Gebärdensprache" von Karin Kestner5 eingesetzt. Daher basieren die für die Sign-Materialien gezeichneten Gebärden auf der DGS und orientieren sich an der Gebärdensammlung von Karin Kestner. Auch Symbole sollen einheitlich genutzt werden. Die Projektbeteiligten haben sich dabei auf die Symbolsammlung Metacom verständigt. Folglich besteht die Signbox aus Gebärdenkarten mit einer gezeichneten Gebärde und dem passenden Metacom-Symbol.
Verständliche Gestaltung der Gebärdenzeichnungen
Speziell entwickelte Zeichnungen sollen helfen, Gebärden schnell zu erfassen. So wurden vielfach "Doppel-Gebärden" gezeichnet, um die schwarz geränderte Start- und grau geränderte Endposition der Bewegung zu verdeutlichen.
Die unterschiedlich farbigen T-Shirts der abgebildeten Person weisen auf die jeweilige Wortart (wie Verb, Adjektiv, Pronomen) hin und führen so zu einer schnellen Zuordnung der Gebärde (entsprechend der Farbgebung auf der Kölner Kommunikationstafel). In der Regel wird in einer Gebärde eine bestimmte Handbewegung ausgeführt. Um dies zu visualisieren, werden entsprechende Pfeile eingesetzt.
Einbindung von Gehörlosen in die Produktentwicklung
Zwar orientieren sich die Gebärden der Sign-Materialien am "Das große Wörterbuch der Deutschen Gebärdensprache" von Karin Kestner. Die Gebärden werden dort aber als Video angeboten. Eine Gebärdenzeichnung ist ein Standbild. So musste genau beurteilt werden, welche Handform, welche Handbewegung und welches Mundbild dargestellt werden sollen. Ebenfalls musste gut überlegt sein, wie Hilfspfeile eingefügt werden, damit die Nutzer(innen) die entsprechende Bewegung schnell verstehen. Gehörlose sind visuelle Menschen. Sie wissen, wie eine Gebärde auszuführen ist, welche Mimik oder Handform passt. Daher wurde die Skizzierung nach Zeichnungen von Gehörlosen übernommen. Nachdem eine professionelle Grafikerin die Zeichnung erstellt hatte, wurde diese erneut von gehörlosen Menschen überprüft.
Sinnvolle Auswahl der Begriffe: das Kern- und Randvokabular
Kommunikationshilfsmittel wie eine Gebärdentafel (Signmap) verfügen über eine begrenzte Anzahl von Feldern. Bei der Konzeption ist zu entscheiden: Welche Begriffe sind sinnvoll und sollten platziert werden?
In der Sprachförderung und in der Gestaltung von Hilfsmitteln kann in den letzten zehn Jahren von einem Paradigmenwechsel gesprochen werden. Dieser wurde maßgeblich durch die Forschungen am Lehrstuhl Pädagogik für Menschen mit Beeinträchtigungen der körperlichen und motorischen Entwicklung der Universität zu Köln von Professor Jens Boenisch und Stefanie Sachse eingeleitet. So bezeichnet "Kernvokabular" die "am häufigsten verwendeten Wörter einer Sprache. Das Kernvokabular macht 80? Prozent des Gesprochen aus und wird unabhängig von der individuellen Lebenssituation und vom Thema flexibel eingesetzt. Es sind vor allem situationsunspezifische Funktionswörter (Pronomen, Hilfsverben, Adverbien, Präpositionen, Artikel, Konjunktionen), die durch einzelne Inhaltswörter (Nomen, Verben, Adjektive) ergänzt werden. In der Regel umfasst das Kernvokabular die 200 bis 300 am häufigsten verwendeten Wörter in der lautsprachlichen Kommunikation."6
Folglich müssen Wörter wie "ich, noch mal, auch, fertig, möchte, können" auf einer Kommunikationshilfe zu finden sein, damit sie Kommunikation effektiv unterstützen können. Hinzu muss es aber auch Platz für Wörter/Gebärden geben, die für die jeweilige Person individuell bedeutsam sind (wie zum Beispiel der geliebte Fußballverein).
Die Sign-Materialien wurden im fachlichen Austausch mit der Universität zu Köln entwickelt. So konnten Erkenntnisse zum "Kern- und Randvokabular" gezielt in die Gestaltung der Materialien einfließen.
Wer nutzt das Sign-Material?
Die Materialien können in Tagesförderstätten, Werkstätten, Wohnbereichen, in Kindergärten und Schulen genutzt werden. Aber auch im engeren Sozialraum (Eltern, Freunde, Angehörige) und im weiteren Sozialraum (zum Beispiel in Krankenhäusern, Apotheken, Ämtern, Restaurants) ist der Einsatz der Hilfsmittel sehr gut vorstellbar. Denn auch hier ist Kommunikation mit Menschen, die sich nicht oder nur teilweise über Lautsprache verständigen können, zu gestalten.
Die Materialien können folgendermaßen angewendet werden. Zum Beispiel
- zum Erlernen und Üben zentralerer Begriffe/Gebärden. Bedeutsam ist hier das multimodale Lernen: das Zusammenspiel von Gebärde, Piktogramm und Schriftbild. Die Materialien werden in Einzel- und Gruppensituationen (zum Beispiel Bildungskursen in der Werkstatt) verwendet. Förderlich ist dabei eine spielerische und kreative Nutzung (in Kombination mit Gesellschaftsspielen oder einfachen Vorlesebüchern). Zum freien Download wurden ein Gebärdenlotto und ein Gebärdendomino entwickelt (siehe www.teilhabe-experten.de).
- als Bestandteil einer Strategie zur Anbahnung von Kommunikation, zum Beispiel mit Hilfe von Fokusgebärden7. Hier rücken nach und nach bestimmte Gebärden in den Vordergrund. Das bedeutet, sie werden vom gesamten Umfeld konsequent genutzt. Dabei handelt es sich um Gebärden mit einer unmittelbar kommunikativen Funktion. Beispielsweise umfasst die erste Fokusreihe die Gebärden: "fertig, nicht, sehen, nochmal, möchten/wollen". Die Nutzer(innen) können durch das alltägliche Gebärden aller Beteiligten lernen, erste Symbole zur Beeinflussung ihres Umfeldes einzusetzen: Gebärde: "noch mal" - "Ich möchte das noch mal machen!"
- als Orientierungshilfe und Kommunikationshilfe können die Gebärdenkarten an verschiedenen Stellen platziert werden: auf dem Wochenplan, im Speisesaal oder in der Küche, im Spielbereich, in der Arbeitsgruppe der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM), an Türen (zum Beispiel Tür nach draußen, Toilette) oder Gegenständen (Telefon, Obstschale) im häuslichen Umfeld.
- zur Förderung der Schriftsprachkompetenz können beispielsweise einfache Sätze mit den Gebärdenkarten gelegt werden. Dies eignet sich auch in der Arbeit mit hörgeschädigten Menschen, die bedingt durch die abweichende DGS-Grammatik oft Schwierigkeiten mit dem Satzbau der Schriftsprache haben.
Teilhabe wird verbessert
Die Sign-Materialien berücksichtigen verschiedene aktuelle Strömungen zur Verbesserung der Kommunikations- und somit Teilhabechancen von Menschen mit Behinderung. Sie orientieren sich an den Erkenntnissen zum "Kern- und Randvokabular" der Kölner Wissenschaftler, basieren auf der DGS und integrieren Symbole aus der zurzeit gängigsten Symbolsammlung in Deutschland (Metacom). In Kombination mit eindeutigen und von Gehörlosen überprüften Zeichnungen entstanden so zwei innovative Produkte mit vielfältigen Einsatzmöglichkeiten.8 Die Produktentwicklung war im Jahr 2017 durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen für den exzellent-Preis nominiert.
Anmerkungen
1. Die Tools wurden vom Autor Hendrik Dangschat und Kathi Ender, Heilpädagogische Hilfe Osnabrück (HHO), Bereich "Gelingende Kommunikation", entwickelt. Die HHO gehört zum Netzwerk der "Vielfalter". Kathi Ender ist gehörlos und Beauftragte für Gebärdensprache und Gehörlosenkultur.
2. Professor Jens Boenisch und Stefanie Sachse, Lehrstuhl für Pädagogik für Menschen mit Beeinträchtigungen der körperlichen und motorischen Entwicklung an der Universität zu Köln, haben die Kölner Kommunikationstafel entwickelt.
3. Die Grafikerin Annette Kitzinger hat die sogenannten Metacom-Symbole konzipiert, zunächst für ihre eigene Tochter Meta.
4. Z. B. Rudolph, A.: Der Einfluss von lautsprachunterstützenden Gebärden auf das Sprachverständnis von Kindern mit Intelligenzminderung: In: Gesellschaft für UK (Hrsg.). UK & Forschung 8, Karlsruhe, 2018, S. 13-22.
5. Kestner, K.: Das große Wörterbuch der Deutschen Gebärdensprache. Schauenburg: Karin Kestner Verlag, 3. Version, 2017.
6. Vgl. Boenisch, J.; Sachse, S.: Sprachförderung von Anfang an. In: Unterstützte Kommunikation 3/2007, S. 12-20.
7. Sachse, S.; Willke, M.: Fokuswörter in der Unterstützten Kommunikation. Ein Konzept zum sukzessiven Wortschatzaufbau. In: Bollmeyer, H. et al. (Hrsg.): UK inklusive - Teilhabe durch Unterstützte Kommunikation. Karlsruhe, 2011.
8. Bezug und weitere Informationen unter: www.teilhabe-experten.de
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