Kein Kind darf mehr arm aufwachsen
Kinderarmut ist in Deutschland ein gravierendes Problem mit weitreichenden Folgen für das Leben von Kindern und Jugendlichen. Die Zahlen, wie viele Kinder von familiärer Einkommensarmut betroffen sind, variieren je nach Indikator zur Messung von Armut. Betrachtet man die relative Einkommensarmut, also den Anteil an Kindern, die in Familien leben, deren Einkommen1 unter 60 Prozent des Medianeinkommens liegt, so leben 2,5 Millionen Kinder in Armut. Wird der Bezug von SGB-II-Leistungen betrachtet, leben rund zwei Millionen Kinder in Familien im Grundsicherungsbezug.2 Verbindet man beide Armutsdefinitionen, so zeigt sich, dass im Durchschnitt in Deutschland jedes vierte Kind von Armut betroffen ist, seine Familie also in relativer Einkommensarmut lebt oder SGB-II-Leistungen bezieht.3 Seit Jahren ist erforscht, dass das größte Armutsrisiko Kinder von Alleinerziehenden, langzeitarbeitslosen Eltern und Migrant(inn)en sowie aus Mehrkindfamilien tragen. Armut geht mit einer Unterversorgung in verschiedenen Lebensbereichen von Kindern und Jugendlichen einher. Dieses Erleben von Mangel und Verzicht betrifft die materielle Lage und damit die Ernährung, Kleidung sowie den Wohnraum. Es fehlen Rückzugsorte für das Erledigen von Hausaufgaben oder das Treffen mit Freunden. Einkommensarmut von Familien geht zudem mit erheblichen Einschränkungen der sozialen und kulturellen Teilhabe einher, also den Möglichkeiten, Ausflüge zu unternehmen, in Urlaub zu fahren, ein Instrument zu lernen, im Sportverein aktiv zu sein oder einfach mal mit Freunden ins Kino zu gehen. Auch die gesundheitliche Lage von Kindern, die in Armut groß werden, ist mit höheren Risiken behaftet.4 Insbesondere dauerhafte und wiederkehrende Armutserfahrungen, die für einen überwiegenden Teil dieser Kinder Realität sind, haben weitreichende Folgen für deren Aufwachsen und Teilhabechancen - heute und in der Zukunft - und somit auch für die Gesellschaft als Ganzes.5
Trotz bekannter Faktenlage tut sich die Politik schwer, dem Problem nachhaltig entgegenzutreten. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Kinderarmut geschnürt, das stark auf die fiskalischen Leistungen setzt und so Einkommensarmut verhindern will. Gemeinsam mit verbesserten Leistungen für Bildung und Teilhabe soll es dazu beitragen, dass Kinder unabhängig vom Elternhaus die gleichen Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe erhalten und ihre Fähigkeiten entwickeln können. Zudem sind Reformen im Bereich der Kinderbetreuung sowie in der Qualifizierungs- und Arbeitsmarktpolitik vorgesehen, die die Erwerbsmöglichkeiten von Eltern fördern.6
Kinderarmut ist immer auch Elternarmut. Ein wichtiger Schritt zu Bekämpfung von Einkommensarmut ist deshalb die Reduzierung der Langzeitarbeitslosigkeit von Eltern. Viele Familien sind auf (ergänzende) Leistungen zum Lebensunterhalt angewiesen, weil die Rahmenbedingungen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht hinreichend sind.7 Das Fehlen von Betreuungsplätzen und ganztägiger Betreuung auch in Randzeiten führt dazu, dass vor allem Alleinerziehende nicht oder nur in Teilzeit arbeiten können. Mit dem "Gute-Kita-Gesetz", das ab Januar 2019 in Kraft getreten ist, will die Bundesregierung hier ansetzen und verlässliche Strukturen sichern, Eltern bei den Gebühren entlasten sowie die Qualität der Bildung dauerhaft verbessern.
Noch immer fehlen Betreuungsplätze
Das Gesetz greift aber deutlich zu kurz, da über das Jahr 2022 hinaus keine finanzielle Unterstützung der Länder vorgesehen ist und somit bundesweit verlässliche Strukturen für die Qualität der Kindertageseinrichtungen nicht gesichert sind.8
Einkommensarmut von Familien hat zudem häufig ihre Ursachen darin, dass Eltern gering qualifiziert sind, ein Schul- oder Berufsabschluss fehlt. Mit dem ab Januar in Kraft getretenen neuen "Qualifizierungschancengesetz" werden die Weiterbildungsmöglichkeiten für geringqualifizierte und arbeitslose Personen deutlich verbessert.
Versäumt wird allerdings, dass ein Schwerpunkt auf abschlussbezogene Umschulung gelegt wird und auch Möglichkeiten zu modular aufgebauten Bildungsinstrumenten gegeben werden, die gerade für Alleinerziehende von hoher Bedeutung sind, um Qualifizierung und Familienpflichten vereinbaren zu können.
Die Bundesregierung bleibt somit sowohl im Betreuungsbereich als auch in der Arbeitsmarktpolitik weit hinter den Möglichkeiten zurück, die Rahmenbedingungen zur Bekämpfung der Kinderarmut besser zu setzen.
Positiv ist, dass mit dem Regierungsentwurf des "Starke-Familien-Gesetzes" die Leistungen des Kinderzuschlags und des Bildungs- und Teilhabepakets verbessert werden. Der Kinderzuschlag soll zukünftig so ausgestaltet sein, dass er gemeinsam mit dem Kindergeld das steuerfrei zu stellende sächliche Existenzminimum (ohne Bildungs- und Teilhabeleistungen) erreicht. Dafür notwendig ist jedoch eine bedarfsgerechte Erhöhung der Regelbedarfe für Kinder und Jugendliche auf der Basis eines sachgerechten und transparenten Verfahrens. Die Abbruchkante, bei der der Kinderzuschlag bisher schlagartig entfallen ist, soll aufgehoben werden. Zusätzliches Einkommen der Eltern soll nur bis zu 45 Prozent (bisher 50 Prozent) angerechnet werden.
Dies ist eine Verbesserung, die jedoch nicht weit genug geht. Vorgesehen sind auch Verbesserungen bei der Einkommens- und Vermögensanrechnung des Kindes, jedoch ist das Verfahren sehr kompliziert und deshalb für Leistungsberechtige weiterhin intransparent. Zudem gleicht die neue Regelung nicht hinreichend die Nachteile aus, die sich insbesondere für Alleinerziehende mit älteren Kindern durch die Anrechnung von unterhaltsbezogenen Leistungen ergeben.
Schulbedarfspaket sollte höher ausfallen
Lange gefordert hat der Deutsche Caritasverband (DCV) die Verbesserung der Bildungs- und Teilhabeleistungen. Auch hier geht die Bundesregierung richtige Schritte, wenn im Rahmen des "Starke-Familien-Gesetzes" das Schulbedarfspaket von jetzt 100 Euro auf 150 Euro erhöht werden soll.
Berechnungen der Diakonie zeigen allerdings, dass die Kosten je nach Jahrgang sehr schwanken und insbesondere bei der Einschulung mit circa 300 Euro und beim Schulwechsel in weiterführende Schulen mit rund 350 Euro deutlich höher liegen.9
Positiv zu werten ist, dass die längst überfälligen Eigenanteile für das Mittagessen und die Schulbeförderung gestrichen werden sollen. Bei der Lernförderung stellt der Gesetzentwurf klar, dass sie unabhängig von der Versetzungsgefahr gewährt werden kann.
Auch das Antragsverfahren soll vereinfacht werden, indem zukünftig für die meisten Leistungen kein getrenntes Antragsverfahren mehr erforderlich ist. Allerdings werden weitere notwendige Reformschritte durch den Gesetzentwurf nicht berücksichtigt: Bezieher(innen) von Wohngeld- und Kinderzuschlagleistungen müssen auch zukünftig einen gesonderten Antrag auf die Leistungen des Schulbedarfspakets stellen. Es ist zudem keine Anhebung der Teilhabeleistungen geplant und auch die gesetzliche Verankerung der Fahrtkosten zu den Teilhabeleistungen wurde versäumt.
Der vorgelegte Entwurf des "Starke-Familie-Gesetzes" bringt somit erste Verbesserungen zur Linderung von Kinderarmut. Langfristig müssen jedoch umfassendere Lösungen zur Bekämpfung von Kinderarmut gefunden werden. Dabei müssen auch die Wohnkosten berücksichtigt werden, die insbesondere für Familien mit niedrigem und mittlerem Einkommen in Ballungszentren ein großes Problem darstellen. Der DCV hat deshalb mit seiner Kampagne "Jeder Mensch braucht ein Zuhause"10 im Jahr 2018 auch für die Situation von einkommensarmen Familie sensibilisiert.11 So wurde die Höhe des Wohngeldes viel zu selten und unregelmäßig angepasst, um eine adäquate Unterstützung zu gewährleisten.12 Im Grundsicherungsbezug haben die Leistungsbezieher(innen) keine Sicherheit, dass die tatsächliche Miete vom Leistungsträger übernommen wird und das Existenzminimum in allen Fällen gesichert ist.13
Um Kinderarmut umfassend und nachhaltig zu bekämpfen, ist zukünftig eine Leistung für Kinder notwendig, die sich an einem bedarfsgerechten und teilhabesichernden kindlichen Existenzminimum orientiert und die bestehenden Transferleistungssysteme für Kinder und Familien zusammenführt und ersetzt. Damit soll eine bessere Transparenz und Niedrigschwelligkeit von Sozialtransfers für Familien erreicht werden, die deren Inanspruchnahme verbessert, verdeckte Armut reduziert und vermeidet, dass Familien in den Leistungsbezug rutschen, nur weil sie Kinder haben. Der Deutsche Caritasverband erarbeitet dafür ein Reformkonzept, das in den nächsten Monaten vorgelegt werden soll.
Anmerkungen
1. Diese Angabe bezieht sich auf das Nettoäquivalenzeinkommen: Diese fiktive Größe berücksichtigt sich sowohl das verfügbare Einkommen als auch die Zusammensetzung des Haushalts.
2. Wissenschaftlicher Dienst Bundestag: Kinderarmut in Deutschland, Überblick über aktuelle Zahlen und Studien, Berlin, 2017.
3. Bertelsmann Stiftung: Armutsmuster in Kindheit und Jugend. Gütersloh, 2017, S. 6.
4. Bertelsmann Stiftung: Armutsfolgen für Kinder und Jugendliche. Gütersloh, 2016, S. 12 ff.
5. Ebenda, S. 10 ff.
6. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD 2018 für die 19. Legislaturperiode.
7. Bähr, H. u.?a.: Grundsicherung und Arbeitsmarkt in Deutschland. IAB Bibliothek 370 (2018), S. 35.
8. Verband katholischer Tageseinrichtungen für Kinder, KTK-Bundesverband, Kurzlink:
https://bit.ly/2Fgxh6v
9. Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannover, Kurzlink: https://bit.ly/2sg27V6
10. www.caritas.de/magazin/kampagne/zuhause-fuer-jeden/startseite/startseite
11. www.caritas.de/magazin/kampagne/zuhause-fuer-jeden/material/material
12. DCV zur geplanten Wohngeldreform, Kurzlink: https://bit.ly/2ABoQPV
13. DCV zu den Kosten für Unterkunft, Kurzlink: https://bit.ly/2CTur5R
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