Ehrenamt braucht Strukturen
Ehrenamtliches Engagement ist Kern und wesentlicher Bestandteil caritativen Wirkens auf allen Ebenen. Bereits seit Gründung der Caritas ist die Zusammenarbeit von Ehrenamtlichen und beruflich Tätigen prägend für ihr Erscheinungsbild. Um einen Überblick über das aktuell bestehende Engagement und die institutionellen Rahmenbedingungen zu erhalten, haben im Herbst 2016 die fünf Diözesan-Caritasverbände in Nordrhein-Westfalen (NRW) gemeinsam mit der Katholischen Hochschule (KatHO) NRW, Aachen, eine Online-Befragung zum Ehrenamt durchgeführt. An dieser haben insgesamt 1020 Einrichtungen und Dienste teilgenommen.1 Fokussiert wurden im Rahmen dieser Befragung neben allgemeinen Informationen zu Art und Umfang des Ehrenamts die Bereiche Koordination, Qualifizierung, Einarbeitung und Begleitung ehrenamtlich Tätiger. Bei den im Folgenden vorgestellten Ergebnissen werden die Kindertagesstätten beziehungsweise Familienzentren nicht berücksichtigt. Aufgrund der Besonderheiten dieser Einrichtungsformen und der hohen Beteiligung (42 Prozent) wurde eine separate Auswertung vorgenommen, die auf die Charakteristika und die Struktur des Ehrenamts in diesen Einrichtungen verweist. In einer weiteren Sekundärauswertung wurde ein besonderes Augenmerk auf sehr große Einrichtungen und Dienste mit mehr als 250 hauptamtlich Mitarbeitenden gelegt. Diese machen circa 7,5 Prozent der Gesamtstichprobe aus. Auf diese Sonderauswertung wird bei einzelnen Ergebnissen vergleichend Bezug genommen.
Angaben zu den befragten Einrichtungen und Diensten
Neben 431 Kindertagesstätten beziehungsweise Familienzentren nahmen 589 Institutionen caritativer Träger in NRW an der Onlinebefragung teil. Dass das Thema Ehrenamt auf der Leitungsebene angekommen ist, zeigt sich daran, dass der Online-Fragebogen zu 59,3 Prozent von Personen in Leitungs- oder Führungspositionen ausgefüllt wurde. Am häufigsten repräsentiert in der Befragung sind Altenheime und Wohnheime für Menschen mit Behinderungen. Seltener sind es Migrationsfachdienste, Pflegedienste oder andere Einrichtungsformen.
Angaben zu den ehrenamtlich Tätigen
In 462 der erfassten Institutionen (insgesamt 589) sind circa 25.000 Ehrenamtliche (insgesamt 26.857) zum Zeitpunkt der Befragung tätig. In der Regel, konkret in 74,2 Prozent der Fälle, sind dabei weniger als 50 Ehrenamtliche pro Einrichtung engagiert. Jugendliche sind in einrichtungsbezogenen Diensten eher unterrepräsentiert. Die Engagierten sind meist in einem Altersbereich über 50 Jahren (s. Abb. 1).
Dass das soziale Ehrenamt weiblich ist, spiegelt sich auch in den Ergebnissen dieser Studie wider: 76,2 Prozent der Engagierten sind Frauen.
Fragt man nach den Arbeitsfeldern, in denen Ehrenamtliche tätig sind, so zeigt sich, dass mit Abstand am häufigsten der Bereich "Alter und Pflege" (31,4 Prozent) genannt wird, gefolgt von den Bereichen "Kinder, Jugend und Familie" (14,5 Prozent) sowie "Behindertenhilfe (11,9 Prozent). Die Ehrenamtlichen übernehmen in den Einrichtungen und Diensten dabei insbesondere die Ausgestaltung von Freizeitangeboten oder Begleit- und Besuchsdienste. Bei den großen Institutionen spielt auch die Gremienarbeit (40 Prozent) eine wichtige Rolle.
Die zahlenmäßig größten Bereiche betreffen personalintensive Tätigkeiten. Das heißt, dass die zeitintensive Beziehungsarbeit im Zentrum steht (s. Abb. 2).
Die Gewinnung von freiwillig Engagierten in den Einrichtungen und Diensten geschieht insbesondere durch lokale Vernetzungen in Kirchengemeinden, Empfehlungen und Bekanntschaften, ebenso wie über die Nutzung klassischer und neuer Medien sowie von Freiwilligenzentren. Den besten Zugang ermöglicht allerdings die direkte persönliche Anfrage.
Koordination der ehrenamtlichen Tätigkeit
Das Tätigkeitsfeld qualifizierter Ehrenamts-Koordination ist in vielen Einrichtungen und Diensten implementiert. Koordination und Begleitung Ehrenamtlicher gehören zur Fachlichkeit einer Institution. Zumeist sind es hauptamtlich Tätige, die explizit mit der Ehrenamtskoordination beauftragt sind. Diese koordinierenden Mitarbeitenden sind zumeist in besonderer Weise – durch Weiterbildungen oder Supervisionen – für ihre Tätigkeit qualifiziert. Deutlich wird jedoch, dass bei über einem Viertel keine spezifische Qualifikation für die Funktion stattgefunden hat. Bei den großen Institutionen haben immerhin 55,6 Prozent eine Weiterbildung als Ehrenamtskoordinator(in), aber selbst hier liegt der Prozentsatz der nicht speziell Qualifizierten noch bei 17,8 Prozent.
Begleitung und Qualifizierung der Ehrenamtlichen
Die ehrenamtlich Tätigen werden oftmals innerhalb der Einrichtung für ihre Tätigkeit qualifiziert. 29,9 Prozent der Einrichtungen insgesamt und 44,4 Prozent der 45 größten Einrichtungen leisten sich zudem externe Weiterbildungen. In einigen Institutionen werden notwendige Kenntnisse vorausgesetzt (s. Abb. 3).
Der Arbeitsprozess der ehrenamtlich Tätigen beginnt in den meisten Institutionen mit einer ausführlichen Einarbeitung, Vorstellung und Prüfung der Eignung. Nur noch in 15 Prozent der Einrichtungen und Dienste fehlt ein standardisiertes Vorgehen. Systematische Vorbereitung und Begleitung scheinen in der Regel sichergestellt. Die Begleitung des Arbeitsprozesses verläuft meist im stetigen Austausch mit den Ehrenamts-Koordinator(inn)en (73,8 Prozent), hauptamtlichen Mitarbeitenden (63,4 Prozent) und/oder innerhalb der Gruppe der ehrenamtlich Tätigen (68 Prozent).
Die Frage nach Möglichkeiten zur Partizipation zeigt, dass vor allem bei den Planungen eine Beteiligung erfolgt (61 Prozent), darüber hinaus wird ehrenamtlich Tätigen die Teilnahme an Team-Sitzungen ermöglicht (29,2 Prozent). In einigen Fällen verfügen die Ehrenamtlichen auch über eine eigene Interessenvertretung (19,5 Prozent). Nur selten ist keinerlei aktive Mitwirkung möglich (4,8 Prozent). Allerdings sind aufgrund der Angaben keine differenzierten Aussagen zur Qualität beziehungsweise Tiefe der Partizipation zu treffen. Die Frage, was konkret unter Partizipation verstanden wird, lässt sich nur bedingt beantworten. In der Regel finden Anerkennung und Dank für das ehrenamtliche Engagement im Rahmen von besonderen Veranstaltungen oder in persönlichen Gesprächen statt, oftmals verbunden mit Geschenken und Zertifikaten.
Eine finanzielle Vergütung über nachgewiesene Auslagen hinaus gibt es nur vereinzelt: In 11,1 Prozent der Fälle erfolgt eine pauschale Auslagenerstattung (zwischen monatlich 15,00 Euro und 400,00 Euro) beziehungsweise eine Vergütung nach eingebrachter Zeit (zwischen 3,00 Euro und 15,00 Euro pro Stunde). Der große Wert des unbezahlten Engagements in der Caritas wird anerkannt und gelebt und damit die Position der Caritasverbände in NRW gegen die Monetarisierung des Ehrenamts gestärkt. Gründe für das Ausscheiden aus dem Ehrenamt sind unterschiedlich: Persönliche Aspekte (67,5 Prozent) oder ein hohes Alter (65,6 Prozent) sind dabei ebenso relevant wie mangelnde zeitliche Ressourcen (62,6 Prozent). Der Wunsch nach Beendigung der Tätigkeit kommt meistens von den Ehrenamtlichen selbst, nur selten (8,4 Prozent) erfolgt dieser Schritt auf Initiative der Einrichtungen beziehungsweise Dienste.
Der von den Einrichtungen und Diensten beschriebene Nutzen und Zugewinn durch das Ehrenamt hat viele Facetten. Insbesondere die Erweiterung von Angeboten und das Einbringen neuer – auch kritischer – Ideen sowie die Öffnung zur Gesellschaft hin sind hier besonders hervorzuheben. Auf den Aspekt "Kostenersparnis" fallen nur 23,4 Prozent der Nennungen. Der geäußerte hohe Stellenwert des Ehrenamts führt aber nicht zwangsläufig zu mehr Professionalität in der Begleitung. In 45,4 Prozent der Einrichtungen und Dienste gibt es bislang noch keine schriftliche Konzeption für einen systematisierten Umgang mit ehrenamtlich Tätigen. In den 45 größten Institutionen liegt der Prozentsatz sogar bei 58,1 Prozent.
Einrichtungen und Dienste ohne ehrenamtlich Tätige
Nicht alle befragten Einrichtungen/Dienste arbeiten mit Ehrenamtlichen zusammen. Insgesamt 127 der 589 (21,6 Prozent) beschäftigten zum Befragungszeitpunkt keine ehrenamtlich Tätigen. Die Gründe beruhten dabei vor allem auf einer mangelnden Passung der spezifischen Tätigkeit für den Einbezug Ehrenamtlicher. Ebenso wird erwähnt, dass es schwierig sei, Ehrenamtliche zu gewinnen oder es an Ressourcen und Konzepten fehle (s. Abb. 4).
Die Zukunft des Ehrenamts
Zum Ende der Befragung haben alle 589 teilnehmenden Einrichtungen und Dienste – unabhängig davon, ob sie mit Ehrenamtlichen zusammenarbeiten – eine Einschätzung der zukünftigen Entwicklung des Ehrenamts vorgenommen. Hierbei wurden verschiedene Thesen zum Ehrenamt vorgegeben und die Teilnehmenden gebeten, die drei zutreffendsten auszuwählen. Es zeigt sich, dass vor allem die große Bedeutung des Ehrenamts für die Gesellschaft gesehen wird. Eine Kompensation der in den Einrichtungen und Diensten geforderten Fachlichkeit wird bestritten. Unsicherheit besteht im Hinblick auf die Weiterentwicklung des Ehrenamts: Mangelnde Ressourcen der Bürger und Bürgerinnen aufgrund vielfältiger Belastungen in Bildung und Beruf stehen der wachsenden Notwendigkeit des Engagements gegenüber.
Wie sieht es aus mit dem Nachwuchs?
Die Untersuchung macht deutlich, wie Ehrenamtliche die Qualität des Dienstleistungsangebotes caritativer Träger vielfältig mitgestalten und erweitern. Das heißt, ehrenamtliches Engagement erfolgt zusätzlich zu beruflicher Tätigkeit. Ehrenamt braucht jedoch Strukturen! In Bezug auf Ehrenamts-Koordination hat sich zwar schon einiges getan, in knapp der Hälfte der Einrichtungen sind Fachkräfte für diese Aufgabe benannt. Zur Sicherung von Qualität und Fachlichkeit muss es jedoch Ziel sein, in allen Institutionen, die mit Ehrenamtlichen zusammenarbeiten, Konzepte und Verantwortlichkeiten zu klären sowie die notwendigen Ressourcen für die Begleitung zur Verfügung zu stellen.
Hinsichtlich des demografischen Wandels stellt sich die Frage nach der Nachwuchsgewinnung. Der Bedarf an freiwilligem Engagement wächst angesichts aktueller gesellschaftlicher und ökonomischer Veränderungen und Umbrüche. Gelingt es künftig, neue Zielgruppen wie junge Menschen oder Menschen mit Migrationshintergrund zu erreichen? Hierzu bedarf es vielfältiger Zugänge und Formen, die sich an den Interessen und Ressourcen heutiger Bürger(innen) orientieren. Die Ergebnisse des von der Bundesregierung initiierten Freiwilligen-Surveys2 zeigen beispielsweise, dass zeitlich befristetes, projekt-orientiertes Engagement zunimmt, das auch mit Entwicklungsmöglichkeiten für die freiwillig Tätigen verbunden ist. Zentral sind Möglichkeiten zur Partizipation. Viele Engagierte wollen nicht mehr nur helfen, sondern mitwirken und als Partner(innen) gesehen werden. Entsprechende Rahmenbedingungen sind bereitzustellen und Strukturen der Mitbestimmung zu etablieren.
Blicken wir über die Caritas hinaus, so zeigt sich: Ehrenamt hat Hochkonjunktur. In vielen Bereichen gibt es Begehrlichkeiten. Damit Ehrenamt beziehungsweise zivilgesellschaftliches Engagement seine Potenziale für Demokratie, Teilhabe und Verantwortung entfalten kann, darf es jedoch nicht von Politik oder Verwaltung instrumentalisiert werden. Bürger(innen) sind keine Lückenbüßer für wegbrechende sozialstaatliche Leistungen. Freiwilliges Engagement ist frei und eigensinnig, es darf weder fremdbestimmt noch gesteuert werden. Sich anwaltschaftlich für seine produktive Entfaltung stark zu machen – eine Aufgabe für den Caritasverband?!
Anmerkungen
- Die Daten wurden mittels der Umfrage-Serviceplattform LimeSurvey erhoben und mit Hilfe des statistischen Softwarepakets SPSS 24 ausgewertet.
- vgl. BMFSFJ (Hrsg.): Der Deutsche Freiwilligensurvey. www.bmfsfj.de (Suche: Freiwilligensurvey).
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