Ehrenamt – damit der Funke überspringt
Das Institut für angewandte Forschung, Entwicklung und Weiterbildung (IAF) der Katholischen Hochschule Freiburg hat 2017 im Auftrag des Deutschen Caritasverbandes Daten zum caritativen ehrenamtlichen Engagement1 in der Caritas erhoben.2 Ziel der Studie war es, den Umfang des ehrenamtlichen Engagements in der Caritas zu quantifizieren und die Datenlücke zu schließen. Im Unterschied zur Ehrenamtsstudie aus dem Jahr 2006 wurde für die vorliegende Studie ein institutioneller Zugang gewählt.
Adressat(inn)en waren nicht die Ehrenamtlichen selbst, sondern die Caritas-Institutionen. Die große Herausforderung bei der Konzeption der Studie bestand darin, die vorhandene Bandbreite des ehrenamtlichen Engagements in der Caritas möglichst vollumfänglich zu berücksichtigen. Dazu wurden zwei Module aufgesetzt, die in drei getrennten Erhebungen resultierten:
- bei den Einrichtungen und Diensten;
- bei den Rechtsträgern, um die Ehrenamtlichen in deren Organen zu erfassen;
- bei den Orts- und Kreisverbänden beziehungsweise Caritas-Regionen (OCV/ KRCV/CR), um das ehrenamtliche Engagement in caritativen Initiativen und Selbsthilfegruppen abzudecken (siehe Abb. 1).3
Rücklauf und Repräsentativität
Die Einrichtungen und Dienste sowie die Rechtsträger wurden stichprobenartig befragt. Von den 5177 zufällig ausgewählten Einrichtungen und Diensten haben sich 53 Prozent beteiligt, von den 515 ausgewählten Rechtsträgern haben sich knapp 46 Prozent zurückgemeldet. Die Ergebnisse für das Ehrenamt in diesen beiden Bereichen sind repräsentativ. Die Grundgesamtheiten waren bekannt, die Stichproben konnten entsprechend aufbereitet und hochgerechnet werden. Für die Erhebung zu den caritativen Initiativen wurde bei den 305 OCV/KRCV/CR eine Vollerhebung angestrebt, an der sich knapp 55 Prozent beteiligt haben. Hochrechnungen waren daher auch für diesen Bereich erforderlich.
Die Repräsentativität der erhobenen Daten konnte jedoch nicht geprüft werden, da zu den Einzugsgebieten der OCV/KRCV/CR keine Informationen vorliegen, die eine sinnvolle Überprüfung ermöglicht hätten. Bei der Gesamtzahl der Ehrenamtlichen in den caritativen Initiativen wird vermutlich die Zahl der tatsächlich in diesem Bereich tätigen Ehrenamtlichen unterschätzt. Die Rückmeldungen bei der Erhebung haben deutlich gemacht, dass in den OCV/KRCV/CR kein umfassender Überblick über die caritativen Initiativen in ihren Einzugsgebieten besteht. Die Angabe zur Gesamtzahl der Ehrenamtlichen in den caritativen Initiativen ist deshalb als Mindestzahl anzusehen.
Ehrenamt in den Einrichtungen und Diensten
Als Ehrenamtliche zählten Personen, die "freiwillig und nicht weisungsgebunden am Gemeinwohl orientierte Tätigkeiten erbringen, die nicht auf Entgelt ausgerichtet sind".4 Das caritative Engagement konnte sowohl regelmäßiger als auch sporadischer Natur (zum Beispiel zu bestimmten Projekten) sein. In den Einrichtungen und Diensten waren im Jahr 2016 hochgerechnet rund 340.000 Ehrenamtliche engagiert. Im Durchschnitt waren 14,3 Ehrenamtliche in einer Einrichtung beziehungsweise einem Dienst tätig.
Die Fachbereiche mit absolut gesehen den meisten Ehrenamtlichen waren die Kinder- und Jugendhilfe und die Altenhilfe. Betrachtet man die durchschnittliche Anzahl an Ehrenamtlichen in den einzelnen Einrichtungen beziehungsweise Diensten, war diese in den Fachbereichen Altenhilfe und Migrationsdienste am höchsten.
Die demografische Zusammensetzung der in den Einrichtungen und Diensten tätigen Ehrenamtlichen zeigt folgende Verteilungen: Drei Viertel waren weiblich, ebenfalls drei Viertel katholisch, der Ausländeranteil betrug sieben Prozent und die Hälfte der Ehrenamtlichen gehörte der Altersgruppe der 50- bis 74-Jährigen an.
Neben der Anzahl der in einer Einrichtung beziehungsweise einem Dienst tätigen Ehrenamtlichen wurde auch deren Zeitaufwand für ihre Tätigkeiten erfasst. Im Durchschnitt war jede(r) Ehrenamtliche circa sechs Stunden im Monat im Einsatz. Die rund 340.000 Ehrenamtlichen leisteten hochgerechnet etwa 24 Millionen Einsatzstunden. Davon entfielen circa 22 Millionen Stunden auf regelmäßig tätige Ehrenamtliche, zwei Millionen Stunden auf projektbezogen Tätige und knapp 100.000 Stunden auf einmalig Tätige.
Unter Einbezug der geschätzten Arbeitsstunden der Hauptamtlichen lässt sich auf Grundlage der zeitlichen Angaben zu den Ehrenamtlichen der Anteil des ehrenamtlichen Zeiteinsatzes am Gesamt-Arbeitsvolumen in einer Einrichtung beziehungsweise einem Dienst berechnen. Im Durchschnitt wurden drei Prozent des Gesamt-Arbeitsvolumens durch Ehrenamtliche erbracht. Die Unterschiede zwischen den Fachbereichen sind enorm. Während der Anteil des Arbeitsvolumens, den die Ehrenamtlichen in den Bereichen Behindertenhilfe, Gesundheitshilfe, Kinder- und Jugendhilfe sowie der Altenhilfe leisteten, sehr gering ist und unter fünf Prozent des Gesamtvolumens lag, wurde in den Migrationsdiensten fast die Hälfte der gesamten Arbeit von Ehrenamtlichen geleistet. Auch in den weiteren sozialen Hilfen betrug dieser Anteil fast 20 Prozent, in der Familienhilfe noch zwölf Prozent (siehe Abb. 2).
Ehrenamtliche bei Rechtsträgern
Bei rund drei Viertel (76 Prozent) der Rechtsträger sind Ehrenamtliche in den Organen tätig. Im Jahr 2016 waren dort hochgerechnet etwa 16.250 Ehrenamtliche engagiert. In gut der Hälfte der Rechtsträger (54 Prozent) waren Ehrenamtliche im Vorstand beziehungsweise im Geschäftsführungsorgan engagiert, bei 35 Prozent im Aufsichtsorgan. Ehrenamtliche Vorstände beziehungsweise Geschäftsführer(innen) finden sich vor allem in den eingetragenen Vereinen. Fast die Hälfte der ehrenamtlich Engagierten war weiblich, fast alle waren Deutsche (99 Prozent) und der allergrößte Teil war katholisch (90 Prozent). Die Altersgruppe der 50- bis 75-Jährigen war am stärksten vertreten.
Der Zeitaufwand, den die Ehrenamtlichen in den Organen der Rechtsträger erbracht haben, betrug hochgerechnet rund 73.300 Stunden im Monat. Im Schnitt entfielen etwa 30 Stunden im Monat auf einen einzelnen Rechtsträger und 4,5 Stunden im Monat auf eine(n) Ehrenamtliche(n).
Ehrenamt in Initiativen und in der Selbsthilfe
In den Einzugsbereichen der OCV/KRCV/CR sind Ehrenamtliche an verschiedene Stellen angebunden. Dazu zählen die Initiativen der Caritas-Konferenzen Deutschlands, der Vinzenz-Konferenzen Deutschlands und die Selbsthilfegruppen von Kreuzbund, die caritativen Initiativen im Umfeld der katholischen Pfarrgemeinden sowie die Initiativen, die durch die OCV/KRCV/CR selbst angestoßen werden. Insgesamt ergab die Hochrechnung der erhobenen Daten eine Zahl von rund 135.550 Ehrenamtlichen, die in caritativen Initiativen des ehrenamtlichen Engagements und der Selbsthilfe in den genannten Bereichen tätig waren.
Handlungsempfehlungen für die verbandliche Caritas
Die Ergebnisse der Ehrenamtserhebung müssen in der gesamten Breite der verbandlichen Caritas diskutiert und aufgegriffen werden. Die Fachbereiche sind aufgefordert, sich mit ihren jeweiligen Befunden auseinanderzusetzen und sowohl strategische als auch operative Ziele und Schritte zu beschreiben. Dabei sind drei Erkenntnisse besonders bedeutsam:
- Ehrenamtliche finden ihren Weg in die verbandliche Caritas nicht von alleine; es bedarf einer kontinuierlichen Ermutigung zu diesem Engagement auf allen verbandlichen Ebenen.
- Ehrenamtliches Engagement bedarf der selbstverantworteten Gestaltungsspielräume und Partizipation
- Ehrenamtliches Engagement, das für den Zusammenhalt nachhaltig wirksam sein soll, bedarf eines institutionellen Rahmens, für den die verbandliche Caritas einen wichtigen Möglichkeitsraum darstellt.
Daraus abgeleitet wurden folgende zehn Empfehlungen für die verbandliche Caritas formuliert:
-
Eine Frage des Profils: Ehrenamtliche Beteiligung in der verbandlichen Caritas
Voraussetzung für eine gelingende und erfolgreiche Zusammenarbeit mit Engagierten ist eine Grundhaltung, die unter anderem ehrenamtsfreundliche Organisationsstrukturen und -strategien mit einschließt und damit ein klares Bekenntnis der Führungsebene zum Ehrenamt erfordert. -
Vielfalt der Engagementmöglichkeiten vorhalten
Um dem Trend hin zu selbstbestimmtem, weniger funktional zugeordnetem, gegebenenfalls auch zeitlich begrenztem projektorientierten Engagement Raum zu geben, bedarf es passender Angebote. -
Bürgerschaftliches Engagement für alle Bevölkerungsgruppen ermöglichen
Im Hinblick auf bisher unterrepräsentierte Bevölkerungsteile empfiehlt sich eine Erweiterung der Zielgruppen im Engagement-Bereich, um in den eigenen Einrichtungen und Diensten die inklusiven Aspekte des bürgerschaftlichen Engagements zu verwirklichen. -
Weiterbildung für Ehrenamtliche fördern und Horizonte erweitern
Die Förderung des Ehrenamtes muss neben der guten Begleitung vor Ort, der Erfahrung der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns auch Weiterbildungs- und Qualifizierungs-Möglichkeiten gewährleisten sowie Erfahrungen von Selbstbestimmung/Wirksamkeit für das ehrenamtliche Handeln im Verband und in der Gesellschaft. -
Erweiterte Zugänge zur Gewinnung von Freiwilligen nutzen – sozial braucht digital
Die traditionelle Form des Werbens von Freiwilligen durch persönliche Ansprache reicht allein nicht aus, um vorhandenes Engagement-Potenzial aufzudecken und auszuschöpfen. Der Erfolg bei der Gewinnung von Freiwilligen ist aber maßgeblich davon abhängig, ob die geeigneten Interessent(inn)en zielgruppengerecht und über die richtigen "Werbekanäle" angesprochen werden. -
Freiwilligen­Management und Ehrenamtskoordination gewährleisten
Ehrenamtliche sind Mitarbeitende auf Augenhöhe. Für eine passgenaue Rahmung sind begleitende Strukturen, eine eigene Interessenvertretung oder eine Ehrenamts-Koordination notwendig. Ohne die Bereitstellung von Ressourcen werden sich viele Ehrenamtliche in ihrem Elan ausgebremst fühlen. -
Kompetenzen der Freiwilligen­Zentren und der Fachverbände nutzen
Die verbandliche Caritas mit ihren breitgefächerten Angeboten, Diensten, Einrichtungen und Strukturen verfügt über langjährige Erfahrungen in der Beratung von Organisationen zum Management von freiwilligem Engagement. Diese Erfahrungen können innerverbandlich stärker genutzt werden. -
Engagement sichtbar machen und öffentlich anerkennen
Die Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements für die verbandliche Caritas und die Gesellschaft muss erkennbar und deutlich gemacht werden. Eine wirksame Kultur der Anerkennung muss eingebettet sein in ein Gesamtkonzept, das die Engagierten in den Mittelpunkt stellt und ihr Wirken der Öffentlichkeit zugänglich macht. -
Verbandliche Medien verstärkt nutzen
Ein schlüssiges Medienkonzept, das unter Einbindung der Ehrenamtlichen selbst das Potenzial der Medien nutzt und mit neuen Medien verknüpft, ist für die Zukunft des ehrenamtlichen Engagements, das die verbandliche Caritas initiiert und das sie prägt, von großer Bedeutung. -
Bereitschaft zur kritischen verbandlichen Reflexion anregen
Für den Verband bedeutet diese Vorgehensweise aber auch die Bereitschaft, bestehende Handlungsfelder und -weisen infrage stellen zu lassen, eben nicht bereits zu "wissen", was nottut, sondern sich auf die Bedürfnisse von Betroffenen und Engagierten einzulassen und darauf zu reagieren.
Anmerkungen
1. Die Verwendung der Begriffe "Ehrenamt" und "ehrenamtliches Engagement" in der Studie stellt keine Festlegung auf einen bestimmten Engagementbegriff dar, sondern dient lediglich der Vereinfachung. Die Begriffe "freiwilliges Engagement", "Engagement", "Ehrenamt" und "ehrenamtliches Engagement" werden synonym verwendet.
2. Ein Projektbeirat, besetzt mit Vertreter(inne)n aus dem Verband, hat die Studie fachlich begleitet. Allen Mitgliedern sei an dieser Stelle nochmals herzlich für ihre Mitarbeit gedankt.
3. In neue caritas Heft 13/2017, S. 30-32 wurde ausführlich über die Hintergründe und das Design der Studie berichtet.
4. Die Definition von Ehrenamt orientiert sich an der DCV-Position zur Monetarisierung im ehrenamtlichen und freiwilligen Engagement "Ehrenamt ist unentgeltlich".
Ehrenamt braucht Strukturen
Ohne Ehrenamt ist kein Staat zu machen
Ökonomie 4.0 mitbedenken
Nachhaltige Hauswirtschaft lohnt sich
Aus Fremden wird ein Team
Modulares Qualitätsmanagement aktualisiert
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