Die Menschen hinter dem System wahrnehmen
Nordkorea ist sicherlich kein Land, das große Sympathien weckt. Wiederkehrende Meldungen über Raketentests bestimmen die Nachrichtenlage, und auch die kämpferische Rhetorik der nordkoreanischen Regierung erleichtert den Zugang nicht. Während das militärische Potenzial und die dahinterstehende Strategie des nordkoreanischen Regimes nahezu täglich diskutiert werden, weiß man doch wenig über die Lebensbedingungen der Bevölkerung. Über den Lebensalltag der Menschen und vor allem auch über die soziale Situation sind verhältnismäßig dürre Informationen verfügbar. Grund dafür ist die weitgehende Isolation Nordkoreas, die Wirtschaftsbeziehungen konzentrieren sich auf den Warenaustausch mit China.
Zu den wenigen Hilfsorganisationen, die in Nordkorea aktiv sein können, gehört auch der Deutsche Caritasverband mit seinem Hilfswerk Caritas international (Ci). Dessen Leiter, Oliver Müller, besuchte kürzlich zusammen mit Caritas-Präsident Peter Neher Nordkorea. Die Ursprünge dieser Hilfe liegen mehr als zwanzig Jahre zurück, als die nordkoreanische Bevölkerung aufgrund tiefer wirtschaftlicher Probleme und einer gleichzeitigen Dürre unter einer extremen Hungersnot litt. In dieser Zeit beteiligte sich Ci zusammen mit anderen europäischen Caritasverbänden an umfangreichen Lebensmittellieferungen, die das Überleben von Tausenden von Kindern sicherstellten.
Zivilgesellschaftliche Strukturen gibt es nicht
Unabhängig von den schwierigen politischen Diskussionen um die Zukunft Nordkoreas entwickelte sich dann über die vergangenen zwei Jahrzehnte hinweg eine Zusammenarbeit, die zu einer nachhaltigeren Unterstützung der nordkoreanischen Bevölkerung führte. Für Ci stellt die Kooperation einen Sonderfall dar, da ihre Hilfen normalerweise immer in Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen erbracht werden. Da in Nordkorea jedoch keinerlei zivilgesellschaftlichen Strukturen vorhanden sind, bleibt dort nur der Staat als alleiniger Ansprechpartner. Nach reiflicher Überlegung hat sich Ci auf die Kooperation mit dem Gesundheitsministerium Nordkoreas eingelassen, um dringend benötigte humanitäre Hilfe weiterhin ermöglichen zu können.
Zahlreiche Autos, wo früher Leere herrschte
In der Hauptstadt Pjöngjang ist heute unübersehbar, dass es eine positive wirtschaftliche Entwicklung gibt, an der zumindest ein kleiner Teil der Bevölkerung Anteil nehmen kann. Auf den weiträumigen Boulevards der Hauptstadt, wo noch vor einigen Jahren weitgehende Leere herrschte, sind nun zahlreiche Autos - auch deutscher Provenienz - zu sehen. Unübersehbar ist auch eine rege Bautätigkeit. Ganz anders hingegen sieht es in den ländlichen Regionen des Landes aus. Dort scheinen sich die Verhältnisse auf den ersten Blick in den vergangenen zwei Jahrzehnten nur wenig verändert zu haben. Menschen bearbeiten oftmals mit einfachsten Werkzeugen und bloßen Händen ihre Felder, Ochsengespanne sind bereits das Maximum der landwirtschaftlichen Hilfsmittel. Die Ernährungssicherheit der Bevölkerung bildet für Nordkorea seit jeher eine große Herausforderung, da sich aufgrund des hügeligen Charakters des Landes nur 20 Prozent der Landesfläche für den landwirtschaftlichen Anbau eignen. So fällt dem Betrachter auf, dass nahezu jeder bewirtschaftbare Quadratmeter Land auch für den Anbau von Nahrungsmitteln genutzt wird. Auch wenn kleinere Bauernmärkte inzwischen erlaubt sind, so werden Grundnahrungsmittel in Nordkorea weiterhin rationiert und an alle Bewohner(innen) nur durch Lebensmittelkarten zugeteilt.
Gemüse für Patienten mit Infektionskrankheiten
Eine teilweise bestehende Mangelernährung bei vielen Nordkoreaner(inne)n begünstigt auch, dass sich Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und Hepatitis verbreiten. Zudem ist die Gesundheitsversorgung in Nordkorea sehr lückenhaft, die medizinische Infrastruktur in den Provinzen außerhalb der Hauptstadt ist veraltet und Medikamente fehlen. Eine gesunde, ausgewogene nährstoffreiche Ernährung ist insbesondere für die Behandlung von Hepatitis- und Tuberkulosekranken äußerst wichtig. Ci baute deshalb bislang, angeschlossen an Sanatorien, landesweit 84 Solar-Gewächshäuser. Somit steht den Gesundheitseinrichtungen nun das ganze Jahr über frisches Gemüse für die Versorgung der Kranken zur Verfügung. Zusätzlich können in den angrenzenden Räumen Pilze gezüchtet und Kleintiere gehalten werden. In einem Gewächshaus können rund 30 Tonnen Lebensmittel pro Jahr erzeugt werden. Damit es gar nicht erst zur Infektion kommt, sind in einem Land wie Nordkorea vor allem Präventionsmaßnahmen wie Impfungen dringend notwendig. Mit Unterstützung der Bundesregierung sowie durch Stiftungen konnten in vergangenen Jahren durch das Caritasprogramm 3,8 Millionen Kinder gegen Hepatitis B, 3,1 Millionen Kinder gegen Japanische Enzephalitis und 2,4 Millionen Kinder gegen Masern und Röteln geimpft werden.
Welchem Regime darf man helfen?
Und natürlich stellte man sich innerhalb der Caritas die Frage: Darf man in Nordkorea, darf man überhaupt unter einem derartigen Regime Hilfe leisten? Die Antwort auf diese Frage betrifft die Grenzen von Hilfe im Allgemeinen - egal ob von Nordkorea, dem Kongo, Kolumbien oder Afghanistan die Rede ist. In Gesprächen mit dem nordkoreanischen Gesundheitsministerium konnte vereinbart werden, dass die Caritas die Steuerung über die Projekte behält und diese nach den üblichen Standards bezüglich Transparenz, Kontrolle und Abrechnung durchgeführt werden. Auch der ungehinderte Zugang zu den Projekten ist eine wichtige Voraussetzung der deutschen Caritas und wird von der nordkoreanischen Regierung auch zugesichert. Im konkreten Fall bedeutet dies, dass Wolfgang Gerstner, ein in Südkorea lebender Mitarbeiter von Ci, regelmäßig nach Nordkorea reist und dort Projektstandorte besucht. Durch diese Maßnahmen kann sichergestellt werden, dass der einzelne Hilfsbedürftige und nicht das Regime von den Hilfen der Caritas profitieren.
Als humanitäre Organisation hat Ci weder den Anspruch noch die Möglichkeit, das System in Nordkorea zu verändern. Die Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich bietet aber die Chance, einen Dialog anzustoßen und Austausch zu fördern. So konnten zum Beispiel in den vergangenen Jahren Mitarbeiter(innen) des nordkoreanischen Gesundheitsministeriums nach Deutschland eingeladen werden. Dies ist insofern von großer Bedeutung, als sich insbesondere im medizinischen Bereich die Isolation des Landes besonders nachteilig bemerkbar macht. Die nordkoreanischen Gesundheitsexpert(inn)en konnten sich in Deutschland über neue Behandlungsmethoden informieren, aber auch das in Nordkorea noch weithin unbekannte Modell der Hauskrankenpflege kennenlernen. Der an Hilfsprojekten orientierte Austausch bietet somit gerade wegen der internationalen Abschottung Nordkoreas auch ein wichtiges Fenster zur Welt.
Ein weiterer relativ neuer Schwerpunkt der Caritasarbeit in Nordkorea ist die Altenhilfe. Mit Unterstützung der Bundesregierung werden zwei Altentagesstätten in der Hauptstadt Pjöngjang sowie in einer der Provinzen aufgebaut. Dabei handelt es sich um Pilotprojekte, die auf das auch in Nordkorea existierende Phänomen der Überalterung hin ausgerichtet sind. Auch dort lösen sich traditionelle Strukturen immer mehr auf, und insbesondere auf dem Land ist die medizinische Versorgung eingeschränkt. Viele alte und behinderte Menschen bleiben zurück und erhalten keinerlei Hilfe.
Der Alltag ist stark von der Partei geprägt
Aus europäischer Perspektive fällt in Nordkorea sicherlich das Fehlen nichtstaatlicher Organisationen und Strukturen besonders auf. Das Leben der Nordkoreaner(innen) ist durch den Staat in hohem Maße reglementiert und geregelt. Veranstaltungen und Feste der Partei prägen den Alltag, der Samstag ist für alle nach einer fünftägigen Arbeitswoche der politischen Belehrung vorbehalten. Zudem stehen für alle Bürger(innen) immer wieder "freiwillige" Arbeitseinsätze an. Als ausländischer Besucher betrachtet man in den Grünanlagen der Hauptstadt verwundert Dutzende von jungen Menschen, die ausgestattet mit jeweils einer kleinen Handschere, den Rasen stutzen. Alle Bürger(innen) tragen einen Sticker mit dem Konterfei des Staatsgründers Kim Il Sung und seines Sohnes Kim Jong Il, deren Bilder auch in nahezu allen öffentlichen Räumen wie privaten Wohnzimmern des Landes hängen dürften. Weit weniger zu sehen ist hingegen, Kim Jong Un, der aktuelle Machthaber, der seit 2011 die Regierung führt. Im Bewusstsein der Bevölkerung scheint er aber dennoch sehr präsent zu sein. So geschieht es nicht selten, dass erfolgte Einzelmaßnahmen direkt auf ihn zurückgeführt werden. Die Leiterin einer Augenklinik berichtet in bewegten Worten davon, dass Kim Jong Un nicht nur die Baupläne persönlich überarbeitet, sondern sogar noch das Logo des Krankenhauses umgestaltet habe.
Im Gesundheitsbereich wird die internationale Isolierung Nordkoreas in besonderer Weise deutlich. Es fehlt an fachlichem Austausch und modernen Gerätschaften. Ci kann hier eine wichtige Brücke schlagen und einen kleinen Beitrag zum Wohl der Menschen leisten. Es besteht auf nordkoreanischer Seite ein großes Interesse am Austausch, der auch in Zukunft fortgesetzt werden soll. Inwieweit dies gelingt, hängt auch davon ab, wie das abgeschottete Land bei uns wahrgenommen wird. Direkt für Nordkorea waren bei Ci im vergangenen Jahr lediglich 5674 Euro von zwölf Spender(inne)n eingegangen. Es bleibt zu hoffen, dass in Zukunft noch mehr die Menschen hinter dem System wahrgenommen werden.
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