Beteiligung – ein Schlüssel für erfolgreiche Erziehungshilfen
Sowohl in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen als auch im SGB VIII ist die Partizipation junger Menschen fest verankert. Angesichts dieser hohen Bedeutung fällt auf, dass der Begriff in der Praxis sehr unterschiedlich verwendet wird. Das betrifft sowohl den Inhalt als auch die Umsetzung und den damit verbundenen Umfang. Daher zuerst eine kurze Begriffsklärung: Im Allgemeinen wird im Jugendhilfe-Kontext unter Partizipation die Beteiligung der Hilfeadressat(inn)en - also des jungen Menschen und seiner Familie - an allen sie betreffenden Ereignissen und Entscheidungen verstanden. Nach Mechthild Wolff weist Partizipation eine große Spannbreite zwischen Fremd- und Selbstbestimmung auf.1 Martin Kühn differenziert hierzu wie folgt fünf Stufen der Partizipation2:
- Stufe 0 - Nicht-Information, Manipulation
- Stufe 1 - Information (Mindestanforderung!)
- Stufe 2 - Mitsprache
- Stufe 3 - Mitbestimmung
- Stufe 4 - Selbstbestimmung
Was aber bedeutet es konkret, wenn junge Menschen in der Erziehungshilfe mitbestimmend und selbstbestimmt handeln können? Empirische Wirkungsstudien belegen, dass Partizipation in der Erziehungshilfe einen hoch einflussreichen Faktor für den Erfolg der Hilfe darstellt. Dabei ist allerdings der Partizipationsgrad entscheidend: Schon die Jugendhilfe-Effekte-Studie3 zeigte bei einer nur niederschwelligen Beteiligung keinen Einfluss auf die Effektivität der untersuchten Hilfen - ganz im Gegensatz zur aktiven Kooperation der jungen Menschen.
Eine aktuelle Auswertung der Evaluation Erzieherischer Hilfen (EVAS)4 belegt den deutlichen Zusammenhang zwischen Partizipation und Effektivität: Für einen Extremgruppenvergleich wurden von insgesamt 22.425 abgeschlossenen Hilfen zwei Gruppen selektiert: Zum einen das Quartil (25 Prozent) mit den höchsten Partizipationswerten über die gesamte Hilfe, zum anderen das Quartil mit den niedrigsten Partizipationswerten. Die Abbildung unten zeigt, dass sich mit hoher Partizipation herausragende Effektstärken erreichen lassen: Es werden insgesamt deutliche positive Entwicklungen erzielt, in hohem Maße Ressourcen aufgebaut und Defizite reduziert. In der Gruppe mit niedrig ausgeprägter Partizipation hingegen werden über den gesamten Hilfeverlauf negative Entwicklungen erreicht, Ressourcen vermindert und Defizite verstärkt. Dieser drastische, durchgängig signifikante Unterschied gilt für sämtliche untersuchte Ressourcen- und Defizitkategorien.
Demnach stellt hohe Partizipation einen zentralen Wirkfaktor dar. Umgekehrt muss niedrige Partizipation als Risikofaktor bewertet werden.
Wie aufgrund dieser Ergebnisse zu erwarten, wird auch die Anschlussperspektive in der Gruppe mit hohen Partizipationswerten besser eingeschätzt: So ist ihre Wohnsituation nach Ende der Hilfe seltener in einer Institution und häufiger in einer eigenen Wohnung oder bei den Eltern geplant. Auch ihre berufliche Situation wird günstiger prognostiziert: Die Wahrscheinlichkeit für Ausbildung und Erwerbstätigkeit ist erhöht, für Arbeitslosigkeit hingegen reduziert.
Begünstigende Faktoren für hohe Partizipation
Wie kann Partizipation gestaltet werden, was sind ihre begünstigenden Faktoren? Hierzu liegen bislang wenig empirisch fundierte Aussagen vor. In der oben genannten EVAS-Auswertung wurde daher erstmals ein Screening zu dieser Fragestellung durchgeführt. Dabei erwiesen sich sowohl die Ausgangslage wie auch die Hilfe-Ausgestaltung als bedeutsam. Hinsichtlich der Ausgangslage gelingt Partizipation signifikant besser bei einem niedrigen Alter bei Hilfebeginn; bei Mädchen und dann, wenn nur eine geringe Hilfevorerfahrung, eine geringere Defizitbelastung, höhere Ressourcen, keine Straffälligkeit beziehungsweise Verurteilungen und kein Drogenkonsum vorliegen. Auch wenn das Sorgerecht bei beiden Elternteilen liegt, werden höhere Partizipationswerte erreicht.
Hinsichtlich der Hilfeausgestaltung fällt auf, dass es im Rahmen Sozialpädagogischer Familienhilfe (SPFH) überproportional gut gelingt, Partizipation zu fördern.
Über alle Hilfearten hinweg zeigt sich, dass hohe Partizipationsgrade eine planmäßige Beendigung der Hilfe begünstigen und Abbrüche reduzieren, was wiederum mit einer längeren Hilfedauer einhergeht.5 Auch für eine traumapädagogische Arbeit in den Hilfen zur Erziehung wird Partizipation eine bedeutsame Rolle zugeschrieben.6
Wer teilhaben kann, kooperiert auch eher
Zudem sind auch die Kooperationsbereitschaft und die tatsächlich erfolgte Kooperation von jungem Mensch und Eltern erhöht.7 Zu erklären ist dies auch mit dem positiven Einfluss der Partizipation auf die Beziehungsqualität, die sich wiederum förderlich auf die Kooperationsbereitschaft der jungen Menschen auswirkt.8
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass trotz der beschriebenen herausragenden Bedeutung von Partizipation die Beteiligungsmöglichkeiten von Kind zu Kind erheblich differieren.9 Vergleichbare Disparitäten finden sich zudem auf institutioneller Ebene: Von Einrichtungen, die Partizipation nur eine geringe Bedeutung beimessen, hin zu Einrichtungen, die möglichst jedem jungen Menschen im Alltag intensive und individuell zugeschnittene Beteiligungsmöglichkeiten bieten. Initiativen zur Förderung von Partizipation und ihrer Verankerung im pädagogischen Alltag (wie zum Beispiel der BVkE-Beteiligungspreis, s. Kasten auf S. 12) sind in Anbetracht der vorliegenden Befunde wertvoll. Auch eine fachliche und gesetzliche Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung, die nicht nur Kosten, sondern auch die Qualität und die daraus resultierenden Ergebnisse in den Blick nimmt, sollte sich des Themas Partizipation und seiner aktuellen Disparitäten verstärkt annehmen.
Anmerkungen
1. Wolff, M.: Partizipation und Beteiligung in den Erziehungshilfen. In: Macsenaere, M.; Esser, K.; Knab, E.; Hiller, S. (Hrsg.): Handbuch der Hilfen zur Erziehung. Freiburg: Lambertus, 2014, S. 437-443.
2. Kühn, M.: Traumapädagogik und Partizipation. In: Bausum, J.; Besser, L.-U.; Kühn, M.; Weiß, W. (Hrsg.): Traumapädagogik. Grundlagen, Arbeitsfelder und Methoden für die pädagogische Praxis. Weinheim: Beltz Juventa, 2013, S. 138-148.
3. Schmidt, M., Schneider, K., Hohm, E., Pickartz, A., Macsenaere, M., Petermann, F. et al. (Hrsg.): Effekte erzieherischer Hilfen und ihre Hintergründe. Schriftenreihe des BMFSFJ, Bd. 219, Stuttgart: Kohlhammer, 2002. Verfügbar unter www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/PRM-23978-SR-Band-219,property=pdf,bereich=,rwb=true.pdf
4. Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ): EVAS-Auswertung zur Partizipation in den Hilfen zur Erziehung, Mainz, 2017.
5. Ebd.
6. Weiß, W., Kessler, T. und Gahleitner, S.?B. (Hrsg.): Handbuch Traumapädagogik.Weinheim: Beltz, 2016.
7. IKJ: EVAS-Auswertung, a.a.O.
8. ISA Planung und Entwicklung GmbH (Hrsg.): Wirkungsorientierte Jugendhilfe. Praxishilfe zur wirkungsorientierten Qualifizierung der Hilfen zur Erziehung (Bd. 09). Münster, 2009.
9. EVAS-Auswertung, a.a.O.
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