Rechtsvereinfachung: Einiges wird besser, aber nicht alles
erfreulich ist, dass durch das Gesetz zur Rechtsvereinfachung im SGB II
ALG-II-Empfänger(innen) künftig nur noch einmal jährlich einen Weiterbewilligungsantrag stellen müssen, wenn sich die Einkommenssituation nicht verändert.
Begrüßt wird auch, dass ein neues Förderinstrument für schwer erreichbare Jugendliche eingeführt wurde. Mit dem § 16h SGB II kann in Zukunft ganzheitliche Hilfe aus einer Hand für Jugendliche angeboten werden, die Unterstützung aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), der Arbeitsförderung (SGB III) und der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) benötigen. Möglich ist eine intensive kontinuierliche Begleitung, damit Jugendliche auch in Krisensituationen den Weg in Ausbildung und Beruf finden. Als problematisch kann sich in der Praxis die Notwendigkeit der SGB-III-Zertifizierung1 erweisen, über die viele niedrigschwellige Dienste der Jugend- und Sozialhilfe nicht verfügen.
Ausbildung nun explizit als Ziel im SGB II aufgenommen
Positiv ist, dass die Pflichten zur Zusammenarbeit von unterschiedlichen staatlichen Stellen, aber auch der Wohlfahrtspflege und der Schulen jetzt verbindlicher geregelt werden. Leider wurde der Vorschlag der Caritas nicht aufgegriffen, im Gesetzestext explizit die Träger von Sozialleistungen nach dem Fünften, Sechsten, Achten und Zwölften Buch zu nennen. Das wäre wichtig gewesen, da häufig genau an diesen Schnittstellen komplexe Hilfeansätze nicht zustande kommen, weil Leistungsträger zu sehr in den eigenen Förderstrukturen verhaftet und nicht gewohnt sind, mit anderen Trägern zu kooperieren.
Die Ausbildung ist nun als explizite Zielsetzung ins SGB II aufgenommen. Dies entspricht einer langjährigen Forderung der Caritas. Wichtig wäre es darüber hinaus auch gewesen, soziale Teilhabe und die Teilhabe am Arbeitsleben in den Zielkatalog des SGB II aufzunehmen. Der Katalog von SGB II und III müsste im Hinblick auf migrationsspezifische Herausforderungen überarbeitet werden. Konkret ist an die Anerkennung bestehender Abschlüsse, die Nachqualifizierung oder die berufliche Neuorientierung inklusive der Förderung einer (zweiten) Berufsausbildung, die Sprachförderung, aber auch die Überwindung von fluchtbedingten Problemen zu denken. Hier greift das Gesetz deutlich zu kurz.
Fortschritte zeigen sich bei der Weiterentwicklung der Arbeitsmarktinstrumente. So kann zukünftig bei Arbeitsgelegenheiten (sogenannte Ein-Euro-Jobs, § 16d SGB II) und der Förderung von Arbeitsverhältnissen (§ 16e SGB II) wieder eine sozialpädagogische Begleitung vermittelt und finanziert werden. Bei den Arbeitsgelegenheiten ist nach zwei Jahren eine Verlängerung der Förderung um ein weiteres Jahr möglich, damit Langzeitarbeitslose bessere Chancen zur sozialen Teilhabe erhalten. Gestärkt wurden auch die öffentlichen Beiräte der Jobcenter. Die Stellungnahmen der Sozialpartner bei der Bewertung der Verdrängung von Arbeitsplätzen müssen nun von den Jobcentern stärker berücksichtigt werden. Damit können vor Ort Konflikte bei der Bewertung, ob eine Arbeitsgelegenheit zusätzlich ist, reduziert werden. Das entspricht einer Forderung der Caritas. Leider ist es nicht gelungen, mit der Reform die Förderkriterien Zusätzlichkeit, öffentliches Interesse und Wettbewerbsfähigkeit abzuschaffen. Vergeblich gefordert wurde auch, die zeitliche Befristung der Förderung von Arbeitsverhältnissen aufzuheben. Die Einführung eines Passiv-Aktiv-Transfers lässt weiter auf sich warten. Entsprechenden Änderungswünschen des Bundesrates ist die Regierung leider nicht gefolgt.
Positiv ist, dass mit dem § 16g SGB II eine Nachbetreuung zur nachhaltigen Sicherung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und zur Stabilisierung der Beschäftigungsaufnahme möglich ist. Bedauerlicherweise hat der Gesetzgeber hier nicht den Vorschlag der Caritas aufgegriffen, die Nachbetreuungsfrist von sechs auf zwölf Monate zu verlängern.
Weiterhin Sondersanktionen für Jugendliche
Nicht gelungen ist es, endlich die schärferen Sondersanktionsregelungen bei Jugendlichen abzuschaffen. So wird bei unter 25-Jährigen weiterhin gleich bei der ersten Pflichtverletzung das Arbeitslosengeld II auf die Leistung für Unterkunft und Heizung beschränkt. Bei einer wiederholten Pflichtverletzung entfällt das Arbeitslosengeld II vollständig. Obwohl sowohl die Praxiserfahrungen der Caritas als auch wissenschaftliche Untersuchungen nachweisen, dass diese Regelungen das hohe Risiko bergen, Jugendliche komplett aus dem Leistungssystem zu verlieren, konnte sich der Gesetzgeber nicht entschließen, diese kontraproduktive Regelung abzuschaffen. Auch bei der Sanktionierung der Leistung für Unterkunft und Heizung gab es keine Bewegung, obwohl diese im schlimmsten Fall zur Wohnungslosigkeit führen kann.
Verhindert werden konnte, dass es bei der sogenannten "Zwangsverrentung" zu Verschärfungen kommt. Vorgesehen war, dass ältere Personen sanktionsbewehrt bei der Bereitstellung von Unterlagen mitwirken müssen, wenn das Jobcenter einen Antrag auf Rente für eine Person über 58 Jahre stellt. Die unterlassene Mitwirkung hätte Leistungskürzungen zur Folge gehabt. Nicht beseitigt wurde jedoch die grundsätzliche Möglichkeit, Langzeitarbeitslose durch das Jobcenter gegen ihren Willen in Rente zu schicken. Die Caritas ist hier weiterhin der Ansicht, dass es Aufgabe des Jobcenters ist, ältere Menschen in den Arbeitsmarkt zu vermitteln.
Kritisch zu sehen ist auch eine Regelung zur Gesamtangemessenheitsgrenze bei den Unterkunftskosten. Einerseits ermöglicht diese Regelung Leistungsberechtigen einen breiteren Zugang zu sanierten Objekten am Wohnungsmarkt. Zukünftig sollen nämlich bei der Angemessenheit nicht nur die Unterkunftskosten, sondern auch die Aufwendungen für Heizung einberechnet werden. Allerdings besteht die Gefahr, dass eine Gesamtangemessenheitsgrenze als Pauschale zu niedrig angesetzt wird. Die Caritas hatte hier eine Einzelfallprüfung vorgeschlagen, die ermöglicht hätte, bei einer Unterdeckung der Bedarfe eine höhere Miete zu zahlen.
Teilhabepaket jetzt auch für Flüchtlingskinder
Positiv ist, dass das Bildungs- und Teilhabepaket in den Blick genommen wurde. Aufgehoben wurde die Stichtagsregelung für das Schulstarterpaket. Jetzt können auch Kinder von Flüchtlingen, die unter dem Schuljahr nach Deutschland kommen, diese Leistung umgehend erhalten.
Verhindert werden konnte, dass der Gesetzgeber bei der Wahrnehmung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Partnern die Regelbedarfe des Kindes tagesgenau auf beide Eltern verteilt, wenn der umgangsberechtigte Elternteil nicht selbst ALG II bezieht. Dies hätte im Ergebnis dazu geführt, dass Alleinerziehenden für die Tage des Umgangs der Regelbedarf des Kindes erheblich gekürzt worden wäre. Leider ist der Gesetzgeber hier dem Vorschlag der Caritas nicht gefolgt, einen Umgangs-Kindermehrbedarf einzuführen, damit der ungedeckte Mehrbedarf des Kindes gesichert ist, der durch den Aufenthalt in zwei Haushalten entsteht.
Nicht sachgerecht ist die Regelung zu den Integrationsprojekten. Zukünftig sollen psychisch kranke Personen aus Mitteln der Ausgleichabgabe in solchen Projekten gefördert werden können. Damit werden Mittel zweckentfremdet, die originär für die Förderung von schwerbehinderten Menschen vorgesehen sind. Im Ergebnis werden damit Menschen mit Behinderung, die sowieso schon Schwierigkeiten bei der Integration in den Arbeitsmarkt haben, künftig noch weniger gefördert. Sachgerecht wäre es gewesen, für psychisch kranke Personen ein neues Förderinstrument im SGB II einzuführen und die nötigen Mittel bereitzustellen.
Es besteht im SGB II weiterhin großer Handlungsbedarf, der im besten Fall lediglich vertagt wurde. So heißt es hier wie so oft: Nach der Reform ist vor der Reform.
Anmerkung
1. Trägerzulassung nach §§ 176 ff. SGB III.
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