Migrantenfamilien sind Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe
Mit der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik (KJH-Statistik) liegt ein Beobachtungsinstrument für Strukturen und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe vor. Die KJH-Statistik erhebt das Merkmal "Migrationshintergrund" über die ausländische Herkunft mindestens eines Elternteils sowie über die vorrangig in der Familie gesprochene Sprache - differenziert nach "Deutsch" und "nicht Deutsch".
Kita: Migrantenkinder bleiben zu häufig unter sich
Die Nutzung und Inanspruchnahme von Angeboten der Kindertagesbetreuung fällt bei Familien mit einem Migrationshintergrund niedriger aus als bei Familien ohne einen entsprechenden Migrationshintergrund. Das gilt sowohl für Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt als auch für die unter Dreijährigen. Während im zeitlichen Verlauf bei älteren Kindern keine Veränderungen zu erkennen sind in Bezug auf die Häufigkeit der Inanspruchnahme einer Kita, nehmen mehr Familien mit Kindern im Alter von unter drei Jahren diese Angebote in Anspruch (vgl. Abb. 1, S. 10).
Differenziertere Auswertungen der KJH-Statistik zeigen aber auch, dass Kinder mit Migrationshintergrund, sofern sie eine Tageseinrichtung besuchen, dort eher "unter sich" bleiben. Diese Segregationstendenzen in den Kindertageseinrichtungen haben im Zeitverlauf vor allem in Westdeutschland zugenommen.2 In segregierten Einrichtungen (das meint hier Einrichtungen, in denen der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund sehr hoch ist) wird diesen Entwicklungen zwar mit einer besseren Personalausstattung begegnet, jedoch ist fraglich, ob diese immer ausreichend ist, um beispielsweise unerwünschte Entwicklungen bei der Sprachförderung zu vermeiden.3
Hilfen zur Erziehung und der Unterstützungsbedarf
Abzüglich der Erziehungsberatung entfallen von allen Hilfen, die im Jahre 2013 begonnen wurden, 30 Prozent auf junge Menschen mit einem Migrationshintergrund (vgl. Abb. 2, unten). Dieser Unterschied muss allerdings vor dem Hintergrund des Anteils von jungen Menschen mit einem Migrationshintergrund in der Bevölkerung betrachtet werden. Die Häufigkeit der Inanspruchnahme von Leistungen der Hilfen zur Erziehung (HzE) unter Berücksichtigung der ausländischen Herkunft eines Elternteils weist daher nur geringe Unterschiede zwischen Familien mit und ohne einen Migrationshintergrund aus. Sowohl bei den Empfänger(inne)n von Hilfeleistungen als auch in der Bevölkerung insgesamt liegt der Anteil der Familien mit einem Migrationshintergrund bei etwa 30 Prozent. Dies ist auch das Ergebnis einer bei den Einwandererfamilien gestiegenen Inanspruchnahme.4
Allerdings variiert der Migrationsanteil nach einzelnen Hilfearten deutlich, und zwar beim Merkmal "nichtdeutsche Sprache" noch einmal deutlicher als bei der ausländischen Herkunft der Eltern. Die Muster sind aber jeweils ähnlich: Die Anteile für die Erziehungsberatung fallen deutlich niedriger aus und liegen mit Blick auf die Herkunft der Eltern bei knapp einem Viertel, während für die Soziale Gruppenarbeit oder auch die intensive sozialpädagogische Einzelbetreuungen Quoten von fast 40 Prozent erreicht werden (vgl. Abb. 2). Es drängt sich also gerade mit Blick auf die niedrigen Anteile für die Erziehungsberatung im Vergleich zu den anderen HzE-Leistungen die Frage nach einer ausreichenden "Diversity-Sensibilität" von niedrigschwelligen Formen der Hilfen zur Erziehung auf.5
Hilfen zur Erziehung sind Kinder- und Jugendhilfeleistungen, die dem Monitor Hilfen zur Erziehung zufolge besonders häufig von Familien in ökonomisch prekären Lebenslagen in Anspruch genommen werden.6 Für Familien mit einem Migrationshintergrund gilt dies in besonderer Weise. Sie haben vor allem dann einen höheren Bedarf an erzieherischen Hilfen, wenn zu der ökonomischen Not sprachliche Barrieren hinzukommen.7 Ganz abstrakt und ohne diese Adressatengruppe bei der Analyse besonders im Blick gehabt zu haben, umschreibt dies die Situation der zahlreichen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge beziehungsweise die der Flüchtlingsfamilien, die aktuell und in den nächsten Jahren einen Zugang zu den Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe benötigen.
Steigende Inobhutnahmen unbegleiteter Flüchtlinge
Als das Statistische Bundesamt im Spätsommer des letzten Jahres die Zahlen zu den Inobhutnahmen im Jahr 2014 veröffentlicht hatte, wurde mit 48.100 Fällen ein neuer Höchststand dokumentiert. Fast jede vierte Inobhutnahme (rund 11.600 Fälle) wurde aufgrund einer unbegleiteten Einreise eines Minderjährigen durchgeführt. Zum Vergleich: Mitte der 2000er-Jahre waren es noch 600 Fälle pro Jahr und der Anteil an allen Inobhutnahmen lag bei rund zwei Prozent (vgl. Abb. 3, oben).
Hier sind bislang nicht gekannte Größenordnungen erreicht worden, wo-bei auch aufgrund struktureller Überforderungen der Kommunen von fehlenden Meldungen zur Statistik und damit von Untererfassungen ausgegangen werden sollte. Andererseits ist im Lichte der täglichen Meldungen über die Einreise von Flüchtlingen bis zum Spätsommer 2015 klar, dass die Angaben zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung die tatsächliche Größenordnung nicht abbilden. Dennoch zeigen die vorliegenden Zahlen einen Anstieg der Fälle. Dieser wird in den kommenden Jahren an Dynamik gewinnen.8
Qualitätsentwicklung statt Kurzschlüsse
Die Analyse statistischer Daten zur Inanspruchnahme von Sozialleistungen von Adressatengruppen mit einem Migrationshintergrund wird mitunter kritisch kommentiert.9 Dies gilt erst recht, wenn hier lediglich nach einem Muster "trifft zu" und "trifft nicht zu" unterschieden wird. So berechtigt diese Einwände sind, so richtig ist es auch, das Merkmal "Migration" eben nicht per se als Ausprägung von sozialer Benachteiligung, Verhaltensauffälligkeiten oder einer Gefährdung für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen aufzufassen.
Statt derartiger "Kurzschlüsse" sollte bei der Bewertung der Ergebnisse vielmehr berücksichtigt werden, dass es sich bei der Adressatengruppe "Zuwandererfamilien" um keine homogene Gruppe handelt. Gerade Kinder und Jugendliche in diesen Familien wachsen unter heterogenen Bedingungen auf und unterscheiden sich mit Blick auf Kulturen, Lebenslagen und -stile oder auch Einstellungen zum Teil ganz erheblich. Dies kann über die KJH-Statistik aber nur sporadisch berücksichtigt werden.
Es geht bei dieser Art von datengestützten Betrachtungen aber trotz aller Einschränkungen bei der Datenlage vor allem darum, Erkenntnisse über die notwendige Qualität der Begleitung und Unterstützung von Menschen mit Migrationshintergrund für Einrichtungen und Dienste der Sozialen Arbeit herauszuarbeiten. Zentral sind Fragen nach dem sozialpädagogischen Handeln, den interkulturellen Kompetenzen oder auch einer Veränderung von Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe.
Anmerkungen
1. Der nachfolgende Beitrag basiert auf einem Vortrag des Autors bei der Fachtagung "Fit für Vielfalt - Junge Menschen mit Migrationshintergrund und ihre Familien erreichen, beraten, begleiten" am 17. März 2015 in Frankfurt a.M. (www.bvke.de/91396.html; Zugriff: 7. Januar 2016).
2. Autorengruppe Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland 2014. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur Bildung von Menschen mit Behinderungen. Bielefeld, 2014, S. 56.
3. Fuchs-Rechlin, K.; Pothmann, J.; Wilk, A.: Familien mit Migrationshintergrund als Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe. In: KomDat Jugendhilfe, Heft 1&2/2011, S. 7-11.
4. Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik (AKJStat): Monitor Hilfen zur Erziehung 2015. Datenbasis 2013 (online abrufbar unter: www.hzemonitor.akjstat.tu-dortmund.de; Zugriff: 5. Januar 2016).
5. Pothmann, J.; Trede, W. (2014): Die Entwicklung der ambulanten Erziehungshilfen. Die Befunde des 14. Kinder- und Jugendberichts und aktuelle Herausforderungen. In: Hagen, B. (Hrsg.): Ambulante Erziehungshilfen: Theoretische Grundlagen, Finanzierungssysteme, Fachkonzepte. Schriftenreihe des EREV. Hannover, S. 8-18.
6. Arbeitsstelle Kinder- und Jugend-hilfestatistik (AKJStat): Monitor Hilfen zur Erziehung 2015. Datenbasis 2013 (online abrufbar unter: www.hzemonitor.akjstat.tu-dortmund.de; Zugriff: 5. Januar 2016).
7. Fendrich, S.; Pothmann, J.; Tabel, A.: Monitor Hilfen zur Erziehung 2014. Dortmund, 2014.
8. Jehles, N.; Pothmann, J.: Beschleunigter Anstieg der Inobhutnahmen - vor allem aufgrund unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge. In: KomDat Jugendhilfe, Heft 2/2015, S. 12-15.
9. Scherr, A.: Gesellschaftspolitische Orientierungen und Partizipation Jugendlicher und junger Erwachsener: Was erklärt der Migrationshintergrund? In: Neue Praxis, Heft 3/2013, S. 281-286.
Erst wenn die Not sehr groß ist...
Anschluss an die Dorffamilie
Wertekonsens ist bedroht
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}