Kommunen könnten Schlüsselrolle in der Pflege spielen
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Dritten Pflegestärkungsgesetz (PSG III) liegt seit dem 28. Juni vor. Dieses verfolgt zwei Ziele: die Rolle der Kommunen in der Pflege zu stärken und den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff in der Sozialhilfe umzusetzen.
Durch den vorliegenden Gesetzentwurf kann es gelingen, die Rolle der Kommunen in der Pflege wieder zu stärken. So erhalten die Kommunen ein Initiativrecht, um Pflegestützpunkte zu gründen. Die Landespflegeausschüsse nach § 8a SGB XI können künftig "sektorenübergreifende Landesausschüsse" bilden, an denen Pflegekassen, Krankenkassen, Kassenärztliche Vereinigungen und die Landeskrankenhausgesellschaften beteiligt werden, um die pflegerische, medizinische und die Alltagsversorgung pflegebedürftiger Menschen stärker zu verzahnen. Ein weiterer Ausschuss, der Landespflegeausschuss auf regionaler Ebene, kann beratende Ausschüsse in Fragen der Pflegeversicherung bilden, in denen die Pflegekassen verpflichtend mitarbeiten müssen. Ziel dieser Gremienarbeiten ist es, die Pflegeinfrastruktur zu verbessern, indem Empfehlungen erarbeitet werden. Diese sollen beim Abschluss von Versorgungs-, Rahmen- und Vergütungsverträgen einbezogen werden. Optionen bei der Strukturplanung beim Abschluss von Versorgungsverträgen steht der Deutsche Caritasverband (DCV) offen gegenüber. Kritisch hingegen bewertet er die Steuerungsmacht der Kommunen beim Abschluss von Vergütungsverträgen, denn dabei geht es nur um Kostenersparnis, nicht um Infrastrukturstärkung.
Kommunen bekommen mehr Gewicht in der Pflege
Ein weiteres Kernstück zur Stärkung der Rolle der Kommunen in der Pflege sind sogenannte Modellkommunen. In diesen soll die Übertragung von Beratungsaufgaben von den Pflegekassen auf die Kommunen erprobt werden. In 60 Modellkommunen können kommunale Beratungsstellen Pflegeberatung nach § 7a bis 7c, Pflegepflichteinsätze nach § 37 Abs. 3 sowie Pflegekurse nach § 45 in Eigenregie durchführen. Essenziell ist für den DCV, dass die Kommunen nicht nur bisherige Beratungsaufgaben der Pflegekassen oder der Pflegedienste modellhaft übernehmen, sondern dass sie ihre Aufgaben im Rahmen der Hilfe zur Pflege, der kommunalen Altenhilfe, der Eingliederungshilfe und des bürgerschaftlichen Engagements synergetisch mit diesen Beratungsaufgaben verzahnen. Dabei soll auch barrierefreier Wohnraum geschaffen, der ÖPNV gestärkt und der öffentliche Gesundheitsdienst wieder stärker in den Blick genommen werden. In dieser besseren Verzahnung von Aufgaben liegt der eigentliche Mehrwert der Modellvorhaben aus Sicht des DCV. In den Ansätzen des Gesetzentwurfs wird eine Chance gesehen, dass die Kommunen wieder stärker ihre Infrastrukturverantwortung wahrnehmen. Damit eine bürgernahe Sozialraumgestaltung gelingen kann, sind die Wohlfahrts- und Betroffenenverbände jedoch systematisch in die Strukturen und Prozesse einzubinden. Dieses Element fehlt im vorliegenden Entwurf noch durchgängig.
Sozialhilfesystem muss Bedarfe lückenlos decken
Der zweite Teil des Gesetzentwurfs überträgt den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff leistungsrechtlich in das ergänzende System der Sozialhilfe. Da der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff am 1. Januar 2017 in Kraft tritt, muss auch das Kapitel "Hilfe zur Pflege" bis zu diesem Zeitpunkt geregelt sein. In diesem Bereich des Gesetzesvorhabens sieht der DCV noch Nachbesserungsbedarf. Ein wesentlicher Grundsatz aus seiner Sicht ist, dass das Sozialhilfesystem als unterstes Auffangnetz lückenlos bestehende Bedarfe decken muss. Das bedeutet, dass auch Hilfebedarfe unterhalb der Schwelle des Pflegegrades 1 sowie andere, weitergehende Hilfen als die von der Pflegeversicherung gewährten anerkannt werden müssen. Dies sieht der Gesetzentwurf bisher nicht vor. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass der Gesetzentwurf in § 64 SGB XII nun einen Vorrang des Pflegegelds vor der Pflegesachleistung normiert. Das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen in Bezug auf Pflegegeld oder Pflegesachleistung wird dadurch in unzulässiger Weise ausgehebelt. Die Regelung macht wenig Sinn, zumal in der Praxis das Pflegegeld in den meisten Fällen ohnehin nicht ausreicht, um die Pflege sicherzustellen. Problematisch ist, dass Sozialhilfeempfänger(innen) in ambulant betreuten Wohngruppen keinen Anspruch auf den Zuschlag für die Beschäftigung einer Präsenzkraft nach § 38a SGB XI haben. Ungelöst bleibt auch das Problem, dass die Sozialhilfe bei Nichtversicherten den Vergütungszuschlag für zusätzliche Betreuungskräfte nach § 43b SGB XI neu (§ 87b alt) nicht übernimmt. Bei Versicherten wird dieser von der Pflegekasse getragen. Seit Jahren macht die freie Wohlfahrtspflege auf dieses Thema aufmerksam. Bislang wurde argumentiert, der Gesetzgeber könne diese Lücke nicht schließen, da jedes Gesetz durch eine solche Regelung zustimmungspflichtig würde. Nun liegt ein Gesetzentwurf vor, der ohnehin der Zustimmung des Bundesrats bedarf, und dennoch wird das Problem nicht gelöst.
Ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot
Nicht nachvollziehbar ist auch, warum der Gesetzgeber nichtversicherte Sozialhilfeempfänger(innen) - anders als im SGB XI - grundsätzlich nur mittels des sogenannten "einfachen Stufensprungs", also etwa von Pflegestufe 0 in Pflegegrad 1, vom alten in das neue System überleitet. Im SGB XI werden Personen ohne eingeschränkte Alltagskompetenz mittels "einfachen Stufensprungs" in das neue System übergeleitet, Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz jedoch mittels "doppelten Stufensprungs". Im Ergebnis werden damit Versicherte und Nichtversicherte nach unterschiedlichen Logiken eingestuft, was einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot darstellt.
Positiv zu bewerten ist, dass der Kabinettsentwurf keine Pauschalierung der Hilfe zur Pflege im ambulanten Bereich mehr vorsieht. Der Referentenentwurf hatte vorbehaltlich Einzelfallprüfungen eine Deckelung der Hilfe zur Pflege auf zehn Prozent der Höhe der Pflegesachleistung im jeweiligen Pflegegrad vorgesehen. Dies hatte die freie Wohlfahrtspflege heftig kritisiert. Sie hatte auch auf ein anderes Problem aufmerksam gemacht, das jetzt gelöst wird: Personen können Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 1a SGB V oder der Kurzzeitpflege nach § 39c SGB V erhalten, wenn sie nach Krankenhausaufenthalt oder ambulanter OP einen Bedarf an Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung haben, jedoch nicht pflegebedürftig im Sinne des SGB XI sind. Menschen in Pflegegrad 1 haben ebenfalls keinen Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung aus dem SGB XI, sondern nur auf niedrigschwelligere Leistungen. Da Personen des Pflegegrades 1 jedoch pflegebedürftig im Sinne des SGB XI sind, hätten sie im Bedarfsfall keinen Anspruch auf die entsprechenden SGB-V-Leistungen und wären somit durch die Maschen gefallen. Diese Leistungslücke wird durch den vorliegenden Gesetzentwurf ebenfalls geschlossen. Der Gesetzgeber hat Bürokratiehürden, die einige Pflegekassen bei der Inanspruchnahme des monatlichen Entlastungsbetrags zum Einkauf von Unterstützungsangeboten nach § 45a aufgebaut hatten, beseitigt. Es wurde klargestellt, dass die Leistung ab Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen abgerufen werden kann und dass das Einreichen der Rechnungen für bereits in Anspruch genommene Leistungen als Antrag gilt. Auch dafür hatte sich die Wohlfahrtspflege vehement eingesetzt.
Ein weiteres noch zu lösendes Problem ist die Neuregelung der Schnittstelle zwischen Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe. Statt des bisherigen Gleichrangs beider Leistungen sieht das Gesetz nun den Vorrang der Pflegeversicherung und der Hilfe zur Pflege vor Gewährung von Eingliederungshilfe im häuslichen Bereich im Sinne des § 36 SGB XI vor. Dies soll nicht gelten, sofern der Schwerpunkt der Leistungen auf der Eingliederungshilfe oder aber im außerhäuslichen Bereich liegt. Diese Regelung wird zu zahlreichen Abgrenzungsproblemen und Verschiebebahnhöfen führen, da regelmäßig strittig sein wird, ob die Betreuungsleistungen der Pflegeversicherung oder der Eingliederungshilfe zuzurechnen sind. Der DCV setzt sich dafür ein, die bisherige Regelung beizubehalten, nach der Leistungen der Eingliederungshilfe nicht nachrangig zu Leistungen der Pflegeversicherung gewährt werden dürfen.
Gesetzlich nachjustiert, um Pflegebetrug zu verhindern
Der jüngst durch die Presse geisternde Abrechnungsbetrug von einzelnen schwarzen Schafen unter den Pflegediensten, die nicht erbrachte Leistungen der häuslichen Krankenpflege sowie der Intensivpflege abgerechnet haben, hat dazu geführt, dass der Gesetzgeber mit dem PSG III auch hier nachjustiert hat: Künftig werden Pflegedienste auch dann durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) geprüft, wenn sie ausschließlich Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach SGB V, jedoch keine Pflegesachleistungen nach dem SGB XI erbringen. Dies wird nur bei einer ganz kleinen Zahl von Pflegediensten der Fall sein. Die Masse der Pflegedienste erbringt Leistungen nach dem SGB XI und dem SGB V, wodurch es bei diesen Diensten bei der Regelprüfung nach § 114 SGB XI bleibt, die heute schon die Prüfung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege umfasst. Pflegedienste, die intensivpflegerische Leistungen in Beatmungs-WGs erbringen, müssen ihre Tätigkeit künftig gegenüber der Krankenkasse anzeigen.
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