Irregulär in Deutschland – warum?
Bisher ist es nicht gelungen, illegale Migration rechtlich eindeutig abzugrenzen. In der heutigen Rechtssprache gebräuchlich ist "irreguläre Migration" - dieser Begriff wird in Art. 3 Abs. 2 Rückführungs-Richtlinie EU verwendet. In der öffentlichen Diskussion werden "Illegale" oft auch als "Papierlose" ("sans papiers"), "undokumentierte Migranten" oder "heimliche Menschen" bezeichnet. Gemeint sind Menschen in unterschiedlichsten Lebenssituationen: zum Beispiel geschleuste Zwangsprostituierte aus Asien oder Osteuropa, abgelehnte und untergetauchte Asylantragsteller(innen) aus Afrika, zwischen Herkunftsstaat und Deutschland pendelnde Haushaltshilfen aus Südosteuropa oder Akteure organisierter Kriminalität.1
Ein Definitionsversuch: Irreguläre Migration bedeutet die Verletzung einiger oder aller Voraussetzungen der Einwanderungs- oder Aufenthaltsgesetzgebung eines Staates beim Grenzübertritt. Illegaler/irregulärer Aufenthalt bezeichnet die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 des Schengener Grenzkodexes oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat der EU oder den Aufenthalt dort erfüllen.2 Dieser Verstoß kann als so schwerwiegend angesehen werden, dass er von den Behörden mit Ausweisung, Ausreiseaufforderung und eventuell Abschiebung geahndet wird. Anders verhält es sich zum Beispiel bei Staatsangehörigen aus Mitgliedstaaten der EU.
Asylantragsteller(innen), die nicht unmittelbar aus ihrem Heimatland nach Deutschland einreisen, also über den Luft- oder Seeweg, sondern zuvor sichere Drittstaaten durchquert haben (§ 26a Asylgesetz (AsylG), Art 16a Abs. 2 S. 1 Grundgesetz, Dublin III), sind zwar "illegal" eingereist, halten sich dann aber nicht illegal in Deutschland auf, wenn sie Asyl beantragen (Art 31, 33 Genfer Flüchtlingskonvention).
Zweckgebundener Aufenthalt in Deutschland
Das deutsche Aufenthaltsrecht ist geprägt vom Grundsatz der "strengen Zweckbindung": Ausländer(innen) dürfen sich nur zu einem bestimmten Zweck in Deutschland aufhalten. Dieser muss grundsätzlich schon vor der Einreise der deutschen Auslandsvertretung (Botschaft/Konsulat) mitgeteilt werden.
Das Aufenthaltsgesetz benennt knapp fünfzig befristete und neun unbefristete Aufenthaltstitel. Wenn keiner der dort genannten Zwecke (mehr) erfüllt ist, wird der Aufenthalt illegal. Diese Ausländer(innen) sind aber in der Regel der Ausländerbehörde bekannt, weil sie zu einem früheren Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht besaßen. Im Gegensatz dazu stehen jene "Illegalen", die ohne Kenntnis der Behörden eingereist sind und sich "unentdeckt" in Deutschland aufhalten. Illegaler Aufenthalt ist eine Straftat (§ 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG)).
Orte, wo "Illegale" leben
Faktisch erscheint irregulärer Aufenthalt in Deutschland vor allem als Problem der Großstädte des "alten" Bundesgebietes. Dabei mag die Anonymität der Großstadt von Bedeutung sein, ebenso die Möglichkeit, auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt "irgendwie" unterzukommen und ohne Arbeitserlaubnis - also illegal - seinen Lebensunterhalt zu sichern. Leerstehende Gebäude und soziale Netzwerke spielen dabei eine wichtige Rolle. Neuankommende können oft zunächst bei legal in Deutschland lebenden Freunden wohnen, sich auch legalen Einwanderern derselben Community anschließen und so nicht auffallen - solange niemand nach einem Aufenthaltstitel fragt.
Wege in einen irregulären Aufenthalt
Klassische Personengruppen, die sich irregulär in Deutschland aufhalten, sind:
- Menschen, die ohne das für ihren Aufenthaltszweck erforderliche Visum eingereist sind aus einem Staat, für dessen Staatsangehörige in Deutschland Visumpflicht besteht (§ 6 AufenthG - aber: viele Staaten sind nicht visumspflichtig - zum Beispiel § 16 Aufenthaltsverordnung (AufenthVO), Art 35 EU-Visumverordnung (VisumVO), Unionsbürger);
- Menschen, die keinen (gültigen) Pass besitzen (§ 3 Abs. 1 AufenthG);
- Menschen, die über die Dauer ihrer befristeten Aufenthaltsgenehmigung hinaus in Deutschland bleiben ("Overstayer", zum Beispiel Student(inn)en nach dem Examen und ohne anerkannte Beschäftigung nach § 16, Saisonarbeiter(innen) aus Staaten außerhalb der EU nach Ende der Saison; Tourist(inn)en nach Ablauf der Visumzeit);
- Migrant(inn)en, die ohne Arbeitserlaubnis einer Beschäftigung nachgehen oder deren Beschäftigungsbedingungen nicht den Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 AufenthG entsprechen ("nicht zu ungünstigeren Bedingungen beschäftigt werden dürfen, als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer" - § 39 Zustimmung zur Ausländerbeschäftigung);
- Verhalten unter Ignorieren des Aufenthaltszwecks: beispielsweise wenn Personen mit einem Touristenvisum eingereist sind und danach ohne Arbeitserlaubnis eine Arbeit aufgenommen haben; oder Touristen, etwa aus lateinamerikanischen Staaten, denen eine visumfreie Einreise gestattet ist, die aber in Deutschland keine Beschäftigung aufnehmen dürfen, werden nach einer Arbeitsaufnahme "illegal";
- Arbeitsmigrant(inn)en, die ihren Aufenthaltsstatus verloren haben, beispielsweise durch Straffälligkeit;
- Familienangehörige von Migrant(inn)en, die ohne Nachzugsberechtigung eingereist sind oder über die Dauer ihres Besuchervisums hinaus in Deutschland bleiben oder sogar in Deutschland geboren wurden ohne selbst nationale Grenzen überschritten zu haben;
- Migrant(inn)en, deren Aufenthaltserlaubnis an die Ehe mit ihrem/ihrer Partner(in) gekoppelt war und diese nach der Scheidung verloren haben (§ 31 Abs. 1: noch keine drei Jahre miteinander verheiratet; Ausnahme: Fall besonderer Härte);
- Unionsbürger, die keinen Freizügigkeitsstatus beanspruchen können, weil sie ohne Arbeit, mittellos und ohne Krankenversicherung sind;
- Opfer von Frauen- und Menschenhandel aus Drittstaaten (Philippinen, Kuba, Brasilien, Serbien, Kosovo, Vietnam); aber § 25 Abs. 4 AufenthG eröffnet die Möglichkeit, bei Kooperation mit deutschen Strafverfolgungsbehörden im Ermessenswege ("soll") eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten;
- abgelehnte Asylbewerber(innen) oder zur Ausreise verpflichtete Bürgerkriegsflüchtlinge, die sich ihrer Abschiebung entziehen ("untertauchen");
- aus der Abschiebehaft entlassene Personen, die nicht abgeschoben werden können, bisher insbesondere aus Marokko und Algerien;
- "Geduldete" - § 60a AufenthG -, weil die Duldung kein Aufenthaltstitel, sondern nur die Aussetzung des Vollzugsaktes der Abschiebung ist;
- Flüchtlinge mit einer "Grenzübertrittsbescheinigung", die sie verpflichtet, Deutschland in kürzester Frist zu verlassen, die diese Frist aber nicht beachten.
2015 sollen zahlreiche unbegleitete minderjährige Flüchtlinge verschwunden sein, obwohl sie zuvor von den zuständigen Jugendämtern in Obhut genommen wurden.3 Bundesweit handelt es sich angeblich um circa 3000, europaweit um circa 10.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Soweit es Deutschland betrifft, weichen die Jugendlichen offenbar einer Umverteilung aus (§ 42b SGB VIII, der seit November 2015 gilt).
Ein Sonderproblem stellen diese jungen Menschen dar, die als Minderjährige zunächst keinen Asylantrag gestellt haben und nun volljährig werden: Während der Minderjährigkeit bestand Schutz und Aufenthaltsrecht nach dem Minderjährigenschutzabkommen, ab Eintritt der Volljährigkeit aber nicht mehr.
Neu ist die "Illegalisierungs-Regelung" im "Asylpaket II", die seit März 2016 gilt: Gemäß § 20 I und 23 II, S. 1 und 2 AsylG wird ein(e) Asylsuchende(r) an der Grenze auf die zuständige Aufnahmeeinrichtung hingewiesen. Wer dort nicht ankommt, dessen Asylverfahren wird eingestellt (§ 33 Abs. 1, 5 und 6 AsylG). Ab diesem Zeitpunkt hält er/sie sich illegal in Deutschland auf.
Gibt es Menschen, die - aus verschiedensten Gründen - gar nicht erst erwägen, einen regulären Aufenthalt anzustreben, selbst wenn sie möglicherweise Aussicht auf Erfolg hätten? Oder solche, die wissen, dass für sie nur ein illegaler Aufenthalt möglich ist, weil sie keine Voraussetzung für eine Duldung, ein Bleiberecht oder Ähnliches erfüllen?
Möglichkeiten der Regularisierung
Einen regulären Aufenthalt in Deutschland hätte wohl jede(r) gern und erwägt die Möglichkeiten, ihn zu erhalten. Deswegen gehen zum Beispiel viele Menschen inzwischen freiwillig in die Länder des Westbalkans zurück: Sie hoffen, von der seit Oktober 2015 bestehenden Möglichkeit profitieren zu können, ab 2017 einen legalen Arbeitsaufenthalt zu erhalten.
Häufig gibt es Personen, die zu wissen glauben, dass ihr Asylantrag chancenlos wäre. Deswegen verzichten sie darauf, einen zu stellen - möglicherweise, weil sie, beraten von "guten Freunden" und "brothers", die die Sprache sprechen, rechtlich aber ahnungslos sind, ihre Chance falsch einschätzen. Sie tauchen deswegen gleich in einer "Community" von Landsleuten ab. Sie halten ein Verfahren für nicht aussichtsreich und lassen sich nicht registrieren. Diesen Menschen ist oft schwer zu helfen. Ein Beispiel ist die "Lampedusa-Gruppe Hamburg": afrikanische Flüchtlinge, die 2011 überwiegend zunächst in Italien ein Aufenthaltsrecht als Flüchtlinge erhielten, dann aber wegen der schwierigen Situation dort nach Deutschland weiterreisten. Sie weigern sich seitdem, ihre Identität und Staatsangehörigkeit preiszugeben.
Für bestimmte Personengruppen, die sich zumindest geduldet in Deutschland aufhalten, besteht seit August 2015 die Möglichkeit, ihren Aufenthalt unter den Voraussetzungen der §§ 25a und b AufenthG zu legalisieren.
Gedacht ist die Neuregelung in § 25a AufenthG insbesondere für Jugendliche und Heranwachsende, die in Deutschland aufgewachsen sind, aber aufgrund der aufenthaltsrechtlichen Situation ihrer Familie sich bisher nur geduldet in Deutschland aufhielten. Ihnen soll zumindest mit einer eingeschränkten Ermessensregelung ein legaler Aufenthalt mit Aufenthaltserlaubnis ermöglicht werden, wenn sie mehr als vier Jahre hier gelebt und gegebenenfalls die Schule besucht haben.
In der Praxis hat sich herausgestellt, dass bei den Voraussetzungen des § 25b AufenthG, der für Erwachsene gilt, die Sicherung des Lebensunterhalts ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen eine Hürde ist. Diese kann von vielen nicht überwunden werden, insbesondere wenn sie größere Familien zu versorgen haben.
Allen, die während ihres Aufenthalts in Deutschland nicht einmal eine Duldung besitzen, hat der deutsche Gesetzgeber bisher keine Tür zur Legalisierung ihres Status geöffnet. Im Gegenteil, es ist damit zu rechnen, dass es nach Aufnahme von Marokko, Tunesien und Algerien in die Liste der "sicheren Herkunftsstaaten" zukünftig zu erheblich mehr Abschiebungen in jene Staaten kommen wird.
Anmerkungen
1. Vgl. dazu: BMI: Illegal aufhältige Migranten in Deutschland. Februar 2007, S. 6.
2. Vgl. Thym, D. in Grabitz, E.; Hilf, M.; Nettesheim, M. (Hrsg.): Das Recht der Europäischen Union - Kommentar Bd. 1, Art 79 AEUV, Rn. 34.
3. Zum Beispiel: Bericht im "Weserkurier" vom 24. Februar 2016: 342 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sollten von November 2015 bis Ende Januar 2016 von Bremen in andere Bundesländer verteilt werden, 156 haben sich dieser Umverteilung entzogen, 18 kehrten nach Bremen zurück.
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