Mindestlohngesetz wirft noch immer viele Fragen auf
Derzeit liegt der gesetzliche Mindestlohn bei 8,50 Euro brutto je Zeitstunde. Er wird jedoch ab dem 1. Januar 2017 auf 8,84 Euro brutto je Zeitstunde steigen. Die Bundesregierung muss dieser Empfehlung der Mindestlohnkommission zwar noch zustimmen, die Zustimmung gilt aber als sicher. Der neue Mindestlohn wird zwei Jahre lang gelten.
Sind Sonderzahlungen anrechenbar?
Ende Mai 2016 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt, dass auch Sonderzahlungen den Anspruch auf Mindestlohn erfüllen können (BAG, Urteil vom 25. Mai 2016 - 5 AZR 135/16). Geklagt hatte die Angestellte einer Klinik-Servicegesellschaft, die nur durch Zahlung eines monatlich verteilten Weihnachts- und Urlaubsgeldes das gesetzliche Mindestlohnniveau von 8,50 Euro brutto je Zeitstunde erreichte. Dies genügt jedoch.
Dagegen sollen solche Zahlungen nicht anrechenbar sein, mit denen ein spezieller gesetzlicher Zweck erfüllt wird, wie zum Beispiel bei Nachtzuschlägen nach § 6 Arbeitszeitgesetz.
Entscheidend war im BAG-Fall aber, dass die Sonderzahlungen auf die einzelnen Kalendermonate verteilt wurden. Denn selbst bei Anrechenbarkeit von Sonderzahlungen gilt, dass der maximale Zeitraum für die Fälligkeit einer Lohnzahlung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 Mindestlohngesetz (MiLoG) nur zwei Monate betragen darf.
Praxistipp
Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld können nur dann auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden, wenn diese Gelder regelmäßig und unwiderruflich gezahlt werden. In der Praxis sind Arbeitgeber bei "mindestlohnnahen" Arbeitsverhältnissen gut beraten, entsprechende
Zahlungen nicht einmalig, sondern unterjährig - und zwar monatlich zu einem Zwölftel - neben der monatlichen Grundvergütung vorbehaltlos zu zahlen.
Gilt der Mindestlohn auch für Bereitschaftsdienstzeiten?
Ende Juni 2016 urteilte das BAG über die Anwendung des Mindestlohns bei Bereitschaftsdienst (BAG, Urteil vom 29. Juni 2016 - 5 AZR 716/15). Geklagt hatte ein Rettungssanitäter aus Nordrhein-Westfalen, der nach den tariflichen Regelungen für Bereitschaftsdienst weniger als den gesetzlichen Mindestlohn erhielt. Er hielt dies für unwirksam und verlangte auch für die Bereitschaftsdienstzeiten die tarifliche Vergütung für Vollarbeitszeit.
Das BAG stellte zunächst klar, dass Bereitschaftsdienstzeiten grundsätzlich mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten sind. Das MiLoG unterscheide nicht zwischen "regulärer Arbeitszeit" und Bereitschaftsstunden und gelte damit auch für Bereitschaftsdienstzeiten, also Zeiten, zu denen sich ein(e) Arbeitnehmer(in) an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten muss, um bei Bedarf die Arbeit aufzunehmen.
Gleichwohl blieb die Klage des Rettungssanitäters erfolglos. Denn das BAG zog zur Beurteilung die gesamte Monatsvergütung des Arbeitnehmers heran und teilte diese durch sämtliche Vollarbeits- und Bereitschaftsstunden. Insgesamt erhielt der Rettungssanitäter zwar für die Bereitschaftsdienstzeiten weniger als 8,50 Euro brutto je Zeitstunde, im ermittelten Durchschnitt aber pro Zeitstunde eine Vergütung über dem gesetzlichen Mindestlohn.
Praxisbeispiel Bereitschaftsdienst
In einer betreuten Wohngruppe ist in den Nachtstunden ein Student tätig, der lediglich dort schläft und dessen Aufgabe ausschließlich darin besteht, bei akutem Bedarf gegebenenfalls zu unterstützen und unverzüglich examinierte Fachkräfte herbeizurufen. Der Student erhält fünf Euro je Zeitstunde und verdient sein Geld ganz überwiegend "im Schlaf". Dieser Student hat nunmehr Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro je Zeitstunde. Anders läge der Fall, wenn es sich um einen Mitarbeiter handelt, der neben den Bereitschaftsdiensten auch normal im Tagdienst tätig ist und insgesamt im Durchschnitt für alle Stunden eine Vergütung von 8,50 Euro erhält.
Mindestlohn bei Rufbereitschaft?
Bereitschaftsdienst darf nicht mit Rufbereitschaft verwechselt werden. Bei der Rufbereitschaft muss sich der Arbeitnehmer zwar ebenso wie beim Bereitschaftsdienst darauf einstellen, dass er zur Arbeit herangezogen wird, aber er muss sich nicht im Betrieb des Arbeitgebers oder gar am eigenen Arbeitsplatz aufhalten. Daher sind Zeiten der Rufbereitschaft nach allgemeiner Meinung keine Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes, so dass das MiLoG trotz Fehlens einer eindeutigen Regelung zur Rufbereitschaft keine Anwendung findet. Von den zwingenden Vorgaben des MiLoG soll nur Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes erfasst sein.
Praxisbeispiel Rufbereitschaft
Der Student steht in der betreuten Wohngruppe in den Nachtstunden für fünf Euro in der Stunde "auf Abruf bereit". Er schläft zu Hause beziehungsweise kann seinen Aufenthaltsort frei wählen. Er ist lediglich angehalten, ein Mobiltelefon bei sich zu führen und bei Bedarf in die Wohngruppe zu fahren. Da es sich hierbei um Rufbereitschaft handelt, hat der Student keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro je Zeitstunde.
Besonderheiten beim Pflegemindestlohn
Im Pflegebereich ist zu beachten, dass die zweite Pflegearbeitsbedingungenverordnung (PflegeArbbV) eigene Regelungen für Bereitschaftsdienste vorsieht. Diese wurden eingeführt, nachdem das BAG 2014 entschieden hatte, dass Bereitschaftsdienst nur dann unter dem Pflegemindestlohn vergütet werden könne, wenn dies in der Mindestlohnverordnung ausdrücklich vorgesehen sei (BAG, Urteil vom 19. November 2014 - 5 AZR 1101/12). Nicht abschließend geklärt ist bislang, ob diese Regelung neben der Unterschreitung des Pflegemindestlohns auch eine Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohns erlaubt. Nach der obengenannten BAG-Entscheidung dürfte sich diese Frage jedoch nur dann stellen, wenn nicht im Durchschnitt über alle Stunden mindestens 8,50 Euro erreicht werden.
Auswirkungen des MiLoG auf Ausschlussfristen
Ende August 2016 sorgte das BAG mit einem Urteil zu Ausschlussklauseln für Unruhe (BAG, Urteil vom 24. August 2016 - 5 AZR 703/15). Viele Arbeitsverträge enthalten eine Klausel, der zufolge Ansprüche verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist geltend gemacht werden. Nach Ansicht des BAG sind solche Klauseln insgesamt unwirksam, wenn sie die gesetzlich nicht einschränkbaren Mindestlohnansprüche nicht explizit ausnehmen. Im entschiedenen Fall konnte die Klausel daher auch einer "verspäteten" Geltendmachung von Entgeltfortzahlungsansprüchen nicht entgegengehalten werden. Ob das bislang nicht veröffentlichte Urteil auch auf Klauseln zu erstrecken ist, die vor Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes vereinbart wurden, bleibt noch abzuwarten.
Mindestlohn auch für Flüchtlinge?
Trotz immer wieder geäußerter Forderungen, für Flüchtlinge Ausnahmeregelungen zuzulassen, haben mangels anderslautender Vorgaben auch Flüchtlinge den vollen Anspruch auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns. Die Vergütung von Flüchtlingen unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns ist damit aktuell nicht möglich. Gegen eine Ausnahmeregelung für Flüchtlinge werden zudem erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken geäußert.
Wirkt sich der Mindestlohn im Ehrenamt aus?
Regelmäßig stellt sich insbesondere bei gemeinnützigen Trägern und Einrichtungen die Frage, inwieweit "ehrenamtlich" Tätige Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben. Da Verstöße gegen die Vorgaben des MiLoG bußgeldbewehrt sind, erweist sich die Beantwortung dieser Frage als äußerst brisant. § 22 Abs. 3 MiLoG nimmt "ehrenamtlich Tätige" zwar aus dem Anwendungsbereich des MiLoG aus. Eine Definition des Begriffs "Ehrenamt" lässt das Gesetz jedoch vermissen.
Entscheidend soll nach aktueller Auffassung sein, dass die Tätigkeit nicht von der Erwartung einer adäquaten finanziellen Gegenleistung, sondern von dem Willen geprägt ist, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Bei der Prüfung der "Ehrenamtlichkeit" einer Tätigkeit ist unbedingt darauf zu achten, dass mögliche einkommen- oder umsatzsteuerliche Privilegierungen von der arbeitsrechtlichen Frage, ob das MiLoG gilt, streng abzugrenzen sind.
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