Hoch gelobt und unzureichend gefördert!
Mit ihren Aktivitäten gehen Infrastruktureinrichtungen lokaler Engagementförderung über ihre Organisation hinaus. Sie informieren, beraten und vermitteln Engagierte in andere Organisationen, generieren mit Projekten Engagement, das dem Gemeinwesen zugutekommt. Sie erbringen Beratungs- und Qualifizierungsleistungen in Fragen der Koordinierung und Förderung freiwilligen Engagements. Die zahlreichen Freiwilligenagenturen und -zentren, Selbsthilfekontaktstellen, Seniorenbüros, Bürgerstiftungen, Mehrgenerationenhäuser, soziokulturelle Zentren, kommunale Kontakt- und Anlaufstellen und vergleichbare Einrichtungen haben den Auftrag, freiwilliges bürgerschaftliches Engagement und Selbsthilfe im lokalen Umfeld zu fördern.1 Der Generali Engagementatlas zählt 2014 rund 3400 engagementunterstützende Einrichtungen in Deutschland, die sich allerdings regional sehr unterschiedlich verteilen und sich stark in ihrem Leistungsprofil sowie auch in ihrer Ressourcenausstattung unterscheiden.2
Auch nach drei Jahrzehnten lokaler Engagementförderung mit neuen Einrichtungen und Aufbrüchen in vielen Kommunen kann nicht von einer gesicherten Situation ausgegangen werden. Vielmehr wird eine paradoxe Struktur sichtbar: Einerseits wird - auch vonseiten der Kommunalpolitik - das bürgerschaftliche Engagement hoch gelobt und dessen Bedeutung hervorgehoben. Dies steht aber in einem starken Missverhältnis zur realen Förderung und politischen Unterstützung der lokalen Infrastrukturen. Den Einrichtungen mangelt es an ausreichenden Finanz- und Personalressourcen. Immer wieder müssen Anlaufstellen schließen, wenn zum Beispiel eine Projektförderung ausgelaufen ist.
Engagementförderung: modern und qualifiziert
Auch wenn sich die Zahlen der durch Infrastruktureinrichtungen vermittelten engagierten Bürger(innen) in Grenzen halten3, haben die Einrichtungen mit ihren Aktivitäten wesentlich zu einer Modernisierung und Qualifizierung der Engagementförderung beigetragen. Kenntnisse und Methoden zur Gewinnung, Begleitung, Qualifizierung und versicherungsrechtlichen Absicherung der Engagierten gehören heute zum Standard einer professionellen Freiwilligenkoordinierung. Dies ist aber nicht gleichzusetzen mit einer flächendeckenden Umsetzung von Standards. Infrastruktureinrichtungen haben einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass eine Anerkennungskultur des Engagements entwickelt wurde.
Nicht zuletzt kommt den Einrichtungen eine wichtige Rolle zu, wenn es darum geht, neue Engagementformen und innovative Projekte zu entwickeln. Mit Freiwilligen- und Selbsthilfe-Tagen, Ehrenamtsbörsen und Marktplätzen werden neue Engagementformen erprobt und neue Zielgruppen angesprochen. Mit Projekten zum Service-Learning in Schulen und Hochschulen, Generationenprojekten, diversen Patenschafts- und Mentoringprojekten und aktuell bei der Unterstützung geflüchteter Menschen haben die Infrastruktureinrichtungen neue Wege für die Bearbeitung aktueller gesellschaftlicher Anforderungen aufgezeigt.
Dem steht allerdings gegenüber, dass sich eine große Zahl der Einrichtungen in einer finanziell prekären Situation befindet. Dies korrespondiert mit einem eingeschränkten Aufgabenprofil und einem unvollständigen Professionalisierungsprozess. So arbeitet fast ein Drittel der Freiwilligenagenturen ohne hauptamtliches Personal ausschließlich auf ehrenamtlicher Basis.4 Die große Mehrheit der Bürgerstiftungen, rund 75 Prozent, arbeitet ohne hauptamtlich Beschäftigte und wird von Ehrenamtlichen getragen.5
Ohne Geld keine Förderung
Auch wenn mittlerweile zahlreiche politische Initiativen, zum Beispiel für eine grundständige Sicherung lokaler Infrastruktureinrichtungen, gescheitert sind, ist die Forderung nach einer verlässlichen Basisfinanzierung nicht obsolet geworden. Nach wie vor sind hier Kommunen, Länder und Bund sowie auch die vor Ort tätigen zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Verbände in der Pflicht. Eine Basisfinanzierung mag vereinzelt durch Mittel aus Stiftungen, durch die Unterstützung eines Unternehmens oder auch - wie im Fall der Freiwilligenzentren des Deutschen Caritasverbandes6 - zumindest zeitweise durch einen einzelnen Wohlfahrtsverband sichergestellt werden. Dies wird allerdings kein Modell für die große Zahl von Einrichtungen sein. Und der Ausbau der Caritas-Freiwilligenzentren stagniert nach einer anfänglichen Ausbauphase.
Die Beispiele langjährig tätiger Einrichtungen oder auch das Finanzierungsmodell der Selbsthilfekontaktstellen zeigen eindrücklich, dass es für das Gros der Infrastruktureinrichtungen (mit Ausnahme von Stiftungen und Bürgerstiftungen) davon abhängen wird, ob es gelingt, eine Basisförderung durch öffentliche Mittel sicherzustellen. Dabei geht es nicht um eine vollständige Absicherung, sondern um einen Finanzierungsmix aus einer Grundabsicherung durch öffentliche Mittel und selbst erwirtschaftete Mittel. Vereine und Verbände wären als Mitträger und Mitfinanzierer gefragt.
Mit der durch das Bundesfamilienministerium und verschiedene Stiftungen getragenen "Initiative Engagierte Stadt" wird derzeit ein Ansatz erprobt, mit dem - in Zusammenarbeit mit den Kommunen - lokale Einrichtungen zeitlich begrenzt gefördert werden. Ob sich die damit verbundene Erwartung der Weiterförderung durch die Gemeinden nach Ende der Initiative erfüllen wird, bleibt abzuwarten.
Eine Chance für eine Unterstützung der lokalen Engagementförderung ergibt sich aktuell daraus, dass Bund und Länder Mittel für die Unterstützung von geflüchteten Menschen bereitstellen. Dies könnte auch die Finanzierungsgrundlagen der Infrastruktureinrichtungen verbessern.
Orte für neues Engagement
Die Aufgabe von engagementfördernden Einrichtungen erschöpft sich nicht in der Information, Beratung und Vermittlung engagementinteressierter Bürger(innen). Dies ist eine wichtige, aber keineswegs hinreichende Aufgabe. Eine zentrale Aufgabe besteht vielmehr darin, neue Gelegenheiten und Infrastrukturen für Engagement zum Beispiel mit neuen Projekten anzuregen. In welchen Bereichen und zu welchen Anforderungen Projekte entwickelt werden, bleibt den lokalen Gegebenheiten und den Kompetenzen und Zugängen des Personals in den jeweiligen Einrichtungen überlassen. Dies können Projekte im Bildungssystem ebenso wie Initiativen zur Unterstützung und Integration geflüchteter Menschen sein. Eine immer größere Rolle wird die Nutzung der sozialen Medien und des Internets spielen, um neues Engagement zu generieren.
Vernetzung ist nötig
Zum Profil engagementfördernder Einrichtungen gehört, Akteure im lokalen Umfeld, die mit Engagementförderung befasst sind, zu vernetzen, um gemeinsam an der Entwicklung einer lokalen Engagementförderung und Engagementpolitik mitzuwirken. Engagementnetzwerke gibt es in mehreren Städten und Gemeinden. Sie sind aber längst noch keine Selbstverständlichkeit.
Die Erfahrungen mit lokaler Engagementförderung zeigen, dass Kommunalpolitik und -verwaltung eine zentrale Rolle zukommt, wenn es darum geht, Bürgerbeteiligung und -engagement zu fördern. Eine verbindliche und produktive Zusammenarbeit ist aber keineswegs selbstverständlich. Die Förderung von freiwilligem Engagement und neuer Förderstrukturen steht keineswegs in allen Kommunen auf der politischen Agenda. Aber auch in einem Teil der Infrastruktureinrichtungen selbst wird die Bedeutung einer guten Zusammenarbeit mit der Kommune unterschätzt und ist wenig entwickelt.
Es braucht die Kooperation mit der Kommune
Einrichtungen müssen dies künftig im Blick haben und tragfähige Kooperationsbeziehungen aufbauen, ohne dabei zum Dienstleister der Kommunalverwaltung zu werden. Es geht darum, eine Balance zu finden zwischen den Aufgaben als Dienstleistungsinstanz und als eigenständige und unabhängige Organisation. Zur Zusammenarbeit mit der Kommune kann auch gehören, auf schwierige Entwicklungen wie zum Beispiel derzeit den Umgang mit Geld im Engagement hinzuweisen7, Diskussionen dazu anzuregen und an gemeinsamen Lösungen mitzuwirken.
Professionalisierung
Um eine lokale Engagementförderung dauerhaft zu etablieren, brauchen die Infrastruktureinrichtungen professionelles Personal. Eine Professionalisierung hat zum Ziel, eine fachlich fundierte und kontinuierliche Arbeit sicherzustellen. Zwar gibt es derzeit auch Beispiele für rein ehrenamtlich getragene Ehrenamtsbörsen, die aber nur ein sehr eingeschränktes Aufgabenspektrum wahrnehmen. Und bei diesen Einrichtungen stellt sich die Frage, was passiert, wenn derzeit zentrale und hoch engagierte Einzelpersonen ihre Aktivitäten einstellen.
Das dargestellte Anforderungsprofil wird sich nur dann umsetzen lassen, wenn die Notwendigkeit einer lokalen Engagementförderung ernst genommen und aufgewertet wird. Kommunen und zivilgesellschaftliche Organisationen müssen in die Lage versetzt werden, ihren Auftrag zur Förderung bürgerschaftlichen Engagements wahrzunehmen. Dies hängt nicht nur von finanziellen Ressourcen ab, wird aber ohne eine verbesserte Ressourcenausstattung und neue Ansätze zur Unterstützung der lokalen Ebene nicht gelingen.
Mit einer qualifizierten Engagementförderung geht es nicht nur darum, möglichst viele Bürgerinnen und Bürger für ehrenamtliche Aufgaben zu gewinnen. Die von den Bürger(inne)n erbrachten Dienstleistungen sind wertvolle Beiträge für das Zusammenleben im Gemeinwesen. Bürgerschaftliches Engagement zielt immer auch darauf, ziviles Handeln und Partizipation zu ermöglichen. Engagement eröffnet den Bürger(inne)n Gelegenheiten, in denen sie sinnhaft handeln und Gesellschaft mitgestalten können. Der Respekt gegenüber dem Engagement ist auch der Anknüpfungspunkt dafür, dass die Engagierten nicht als "Lückenbüßer" und "Ausfallbürgen" bei knappen Finanzmitteln und begrenzten Ressourcen funktionalisiert werden.
Anmerkungen
1. Jakob, G.: Infrastrukturen und Anlaufstellen zur Engagementförderung. In: Olk, T.; Klein, A.; Hartnuß, B. (Hrsg.): Engagementpolitik. Die Entwicklung der Zivilgesellschaft als politische Aufgabe. Wiesbaden, 2010, S. 233-259.
2. Generali Deutschland Zukunftsfonds: Generali Engagementatlas, Rolle und Perspektiven Engagement unterstützender Einrichtungen in Deutschland. Köln, 2015.
3. Ehrhardt, J.: Machen Freiwilligenagenturen Sinn? Längsschnittanalysen zur Aufnahme von ehrenamtlichen Tätigkeiten. Kurzfassung des Abendvortrags anlässlich der jährlichen Mitgliederversammlung des "Fördervereins Zivilgesellschaftsforschung e.V." (Berlin, 12.9.2008). Gensicke, T.; Geiss, S.: Hauptbericht des Freiwilligensurveys 2009. Ergebnisse der repräsentativen Trenderhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und Bürgerschaftlichem Engagement. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), München/Berlin, 2010.
4. Backhaus-Maul, H.; Speck, K.: Freiwilligenagenturen in Deutschland. Potenziale und Herausforderungen einer vielversprechenden intermediären Organisation. Wiesbaden, 2012, S. 120.
5. Wolf, A. C.; Zimmer, A.: Lokale Engagementförderung. Kritik und Perspektiven. Wiesbaden, 2012, S. 69.
6. Baldas, E.; Bock, T.; Gleich, J. M.; Helmbrecht, M.; Roth, R. A.: Modellverbund Freiwilligen-Zentren. Bürgerengagement für eine freiheitliche und solidarische Gesellschaft. Stuttgart, 2001.
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