Mit Caritas 2.0 zu einer anderen Erfolgsrechnung
Die Dienstleistungsmodelle der sozialen Träger sind auf einem hohen branchentypischen Reifegrad angelangt und deshalb kaum noch unterscheidbar. Die alltägliche Praxis ist weitgehend standardisiert, professionalisiert und zertifiziert. Auch die Caritas ist Bestandteil dieser gesellschaftlichen Logik, die Nietzsche als "moderne Tüchtigkeit" beschrieben hat; eine Tüchtigkeit, mit der ein ganzer Horizont ausgewischt werde.
Den Horizont des Evangeliums kann man erzählen, man kann Schulungen für Mitarbeiter(innen) zur Überwindung der "theologischen Sprachlosigkeit" anbieten, man kann Inklusion definieren, Nachhaltigkeit und Transparenz begründen, Wirkungsorientierung ethisch beleuchten oder den Evergreen spielen: "Woran erkennt man, dass eine Einrichtung katholisch ist?"
Bleiben wir bei dieser Frage. Woran erkennt man, dass eine soziale Einrichtung katholisch beziehungsweise christlich ist? Eine Antwort wäre: Wenn im Eingangsbereich ein Kreuz hängt, die Leitungskraft vor dem Generalvikar Angst hat und den Mitarbeitenden und Klient(inn)en manchmal ein spirituelles Angebot serviert wird.
Eine alternative Sichtweise auf den katholischen Charakter könnte sein: Katholische Einrichtungen erkennt man daran, dass sie die Qualität vom Menschen her denken, dass sie Dienstleistungsprozesse entsprechend anders organisieren, dass sie Transparenz ermöglichen und dass sie eine eigene, besondere Erfolgsrechnung haben.
Das katholische Profil wäre demnach methodisch zu verankern, es würde sich organisationspraktisch zeigen und käme, ein unschätzbarer Vorteil, ohne?Spezialisten für Ethik aus. In der Instrumentenkiste des wissenschaftlichen Dienstleistungsmanagements finden sich Mittel, mit denen sich "katholisch 2.0" stemmen ließe.1
Mut zur Lücke: die "Gap"-Analyse
Die "Gap"-Analyse setzt an typischen Lücken (engl. "gap") an: zwischen Kundenerwartung und wahrgenommener Dienstleistung; oder zwischen den Kundenbedürfnissen und den vom Anbieter wahrgenommenen Kundenbedürfnissen; oder zwischen der in Dienstleistung-Spezifikationen umgesetzten wahrgenommenen Kundenerwartung und der konkreten Dienstleistungserstellung; oder zwischen dem wahrgenommenen Kundenbedürfnis und der umgesetzten Dienstleistungskonfiguration. Das "Gap"-Modell der Dienstleistungsqualität verweist auf die typischen Widersprüche im Servicesektor. Dienstleistungsunternehmen, gerade, wenn sie professionell auf personenbezogene Dienste spezialisiert sind, neigen dazu, den Bedarf des Klienten zu definieren, die daraus folgenden Angebote festzulegen, deren Umsetzung in professionelle Raster anzupassen und entsprechend zu kommunizieren. Das "Gap"-Modell weist auf solche Widersprüche hin und knüpft an eine Einsicht aus dem Dienstleistungsmarketing an. Danach wird nur die Differenz zwischen erwartetem Dienstleistungsniveau und wahrgenommenem Dienstleistungsniveau vom Dienstleistungskunden als Qualität wahrgenommen.
"Service Blueprinting" macht Dienstleistung sichtbar
Welche Prozessschritte erledigen die Klient(inn)en? Welche Prozessschritte geschehen interaktiv? Welche Prozessschritte werden vom Dienstleister erledigt, sind aber für den Kunden sichtbar, welche sind unsichtbar? Welche Aktivitäten sind backstage, welche onstage?
Welche Prozessaktivitäten sind primär, also unmittelbar kundeninduziert, und welche sekundär? Die Logik des "Service Blueprints" hilft der Dienstleistungsorganisation, die Formen und Grade der Kundenintegration präzise zu definieren. Maßgebend sind die klassischen Kriterien der Prozessoptimierung: Verbesserung der Qualität, der Kostenstruktur und der Geschwindigkeit.
Gerade bei personenbezogenen Dienstleistungen bietet das "Blueprint"-Modell gute Möglichkeiten, den Anspruch der Kundenbeteiligung zu präzisieren, entsprechende Inter- und Intra-Rollenkonflikte zu thematisieren und letztlich zu zeigen, wie Servicehandeln funktioniert. Bei der Anwendung dieses Modells werden Klient(inn)en systematisch und nachvollziehbar in die Organisation eingebunden: als Koproduzent, als Informant, als Qualitätsprüfer, als Innovator, als Konkurrent, als Konsument oder gar als Auftraggeber.2
"Servqual" als Übersetzer
Im "Gap"-Modell wird auf widersprüchliche Qualitätsbegriffe und Qualitätswahrnehmungen bei Dienstleistungen hingewiesen. Im "Blueprint-Modell" werden Dienstleistungsprozesse aus der Klientenperspektive strukturiert, um durch das richtige Maß und die richtige Form der Kundenintegration in die Dienstleistungserstellung zumindest die Voraussetzungen für ein optimiertes Bild der jeweiligen Dienstleistung zu schaffen.
Im "Gap"-Modell spielt das "Gap"-5, das die Lücke zwischen der erwarteten und der erfahrenen Dienstleistungsqualität beschreibt, die herausragende, zentrale Rolle. Methodisch übersetzt wird dieses "Gap" mit der "Servqual"-Methode. Auf fünf Dimensionen, die durch insgesamt 22 sogenannte Items auf einer siebenstelligen Likert-Skala abgebildet werden, wird die Dienstleistungsqualität gemessen.3
Die Dimensionen beziehen sich auf
- das tangible, physische Umfeld (Räume, Einrichtung, Erscheinungsbild der Mitarbeiter(innen)),
- auf die Verlässlichkeit und Zuverlässigkeit der Dienstleistung,
- auf die Reagibilität als Reaktionsschnelligkeit, dem Klienten bei der Problemlösung zu helfen,
- auf die Leistungskompetenz als Wissen, Höflichkeit und Vertrauenswürdigkeit der Mitarbeiter(innen) und
- als Einführungsvermögen (Bereitschaft, sich auf den individuellen Klienten einzustellen).
Jedes der 22 Items taucht in zwei Variationen auf: einmal als Erwartung des Klienten "So sollte es sein" und einmal als reale Erfahrung "So war es". Die Extrempositionen sind mit "lehne ich entschieden ab" und "stimme ich völlig zu" markiert. Bei Dienstleistungen wird nur die positive Differenz zwischen Erwartung und Wahrnehmung als Qualität wahrgenommen, so dass die "Servqual"-Skala im besten Falle für jedes Item einen positiven Wert von +6, und im schlimmsten Fall einen Wert von
-6 ausweist.
Wirkungsorientiertes Controlling und Sozialarbeit
Die Sozialarbeit wirkt auf verschiedenen Dimensionen. Ganz klassisch produzieren soziale Einrichtungen einen mengenmäßigen Output ("x Beratungsstunden pro Jahr"). Besonders bedeutsam sind aber lebensqualitätsbezogene Wirkungen. Diese können zum einen klientenbezogene, objektiv messbare Effekte ("Förderung von Kompetenzen" oder "verbesserte Leberwerte") oder aber auch klientenbezogene, subjektive, aber trotzdem messbare Auswirkungen sein (zum Beispiel Produzentenstolz des Werkstattmitarbeiters oder das Gefühl der Geborgenheit bei Flüchtlingen). Auch gesellschaftliche Wirkungen ("Ermöglichung der Erwerbstätigkeit von Eltern von Kindergartenkindern" oder "Vermeidung von Gefängniskosten") sind in der Sozialarbeit von Bedeutung.
Und was ist dabei das Katholische? Eine katholische Organisation ist aus verschiedenen Gründen sowieso meistens etwas merkwürdig. Katholisch könnte sein, die Perspektive des anderen konsequent zu betonen, zum Ausgangspunkt für die Gestaltung und Organisation von Dienstleistungsprozessen zu machen, Mitsprache- und Transparenzgarantien zu geben, die im Alltagsablauf richtig stören können, einen Qualitätsbegriff zu forcieren, der auf menschliche Entfaltung und weniger auf Risikovermeidung setzt, und katholisch könnte sein, daraus einen eigenen Effizienzbegriff zu formulieren, der ganz bewusst auch manche Ineffizienzen umfasst: der hörgeschädigte Telefonist, die lernbehinderte Kellnerin, der liebenswerte Aufsichtsrat, die demente Bewohnerin, die in der Küche mithilft, oder der einarmige Torwart.
Zur Verwunderung der Managementberater werden die Dienstleistungsprozesse nicht auf absolute, effiziente Reibungslosigkeit getrimmt, sondern manche Ineffizienzen werden bewusst eingeführt, manche zumindest akzeptiert. Solche katholischen Korridore der "bewussten Ineffizienz" sollen nicht das Resultat einer laschen Personalführung oder von konfliktscheuer Führungsschwäche oder gar von unfähigem Sozialmanagement sein, sondern ausschließlich durch die Einbeziehung von Klient(inn)en in Dienstleistungsprozesse gebildet werden. Während Ikea, die Tankstelle und das Hotel darauf setzen, dass die Integration der Kunden in Dienstleistungsprozesse die Herstellungskosten senken, gehen katholische Einrichtungen vielleicht an die ökonomische Schmerzgrenze (bitte nicht darüber), um die Entfaltungspotenziale des Menschen zu fördern.
Ineffizienzen einkalkuliert
Eigentlich geht es um die Entwicklung einer spezifischen Erfolgsrechnung, um eine "katholische Ökonomie 2.0", die in ihrer spezifischen Organisationsstruktur begründet ist. In Abgrenzung zu einem funktionalen Organisationsverständnis ist die Form der Leistungserstellung selbst im Wirkungscontrolling zu berücksichtigen. Das katholische Controlling müsste in die Berechnung der Produktivität, in die Berechnung der Wirksamkeit und in das Berichtswesen auch die durch "Gap", "Service Blueprinting" und "Servqual" begründeten "Ineffizienzen" integrieren, die durch die Caritas bewusst und beabsichtigt hergestellt werden. Diese "akzeptierten Ineffizienzen" verweisen auf Organisationswurzeln und zeigen sich letztlich in einer Integration auch von solchen Klient(inn)en in die Dienstleistungsherstellung, die eher zu einer Verlangsamung von Prozessen, zu zusätzlichen Personalkosten oder zu einem Qualitätsverlust des Dienstleistungsergebnisses führen. Der "unproduktive Kunde" bleibt im Dienstleistungssetting als hilfsbedürftiger Mensch erkennbar, der auch dann interaktiv Leistungen erhält, wenn die Interaktion Geld kostet.
Aus betriebsmorphologischer Perspektive geht es darum, Organisationen nicht nur anhand ihrer objektiven Strukturmerkmale und ihrer Effizienz und ihres Wirkungsgrades zu analysieren, sondern auch "hermeneutisch aus ihrem institutionellen und/oder subjektiv gemeinten und verhaltensfaktischen Sinn heraus zu verstehen"4. In diesem Sinne verweist Schulz-Nieswandt darauf, dass die "Dialektik von Form und Inhalt nicht auf eine Zweck-Mittel-Relation verkürzt werden" kann.
Die sozialwirtschaftliche Organisation darf aus dem Blickwinkel der betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie durchaus etwas seltsam aussehen und funktionieren, sie darf sich Ineffizienzen leisten, wenn sie sich diese leisten will, und diese nicht ökonomisch begründen kann. Das Management solcher Organisationen akzeptiert Eigenheiten, die für fremde Beobachter(innen) möglicherweise Hinweise auf Ineffizienz bieten: Die katholische Caritas will diese Ineffizienzen. Und sie könnte daran gut erkennbar sein.
Anmerkungen
1. Nähere Erläuterungen und Literaturhin-
weise hierzu: Halfar, B.;?Moos, G.;?Schellberg, K.: Controlling in der Sozialwirtschaft. Baden-Baden: Nomos-Verlag, 2014.
2. Näheres zu Service Blueprinting siehe ebd.
3. Die Likert-Skala (nach Rensis Likert) ist ein Verfahren zur Messung persönlicher Einstellungen, die mittels sogenannter Items abgefragt werden. Die Items sind positiv oder negativ formulierte Aussagen über einen Sachverhalt, zu dem die Befragten Zustimmung oder Ablehnung in mehreren vorgegebenen Abstufungen äußern können (Quelle: Wikipedia).
4. Schulz-Nieswandt, F.: Zur Relevanz des betriebsmorphologischen Denkens. In: Bräunig, D.; Greiling, D. (Hrsg.): Stand und Perspektiven der Öffentlichen Betriebswirtschaftslehre II. Berlin, 2007, S. 58 f.
Und was bewirken Sie so?
Willkommen bei Freunden
Humanitäre Hilfe braucht starke Partner im Krisengebiet
Schwärme von Business-Engeln
Wer sagt, was genug ist?
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}