Junge Eltern profitieren von früher Begleitung
Das Forschungsprojekt "Jugendliche Eltern und ihre Kinder" in der Caritaswissenschaft der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg, hat untersucht, wie Jugendliche im Alter von 15 bis 25 Jahren ihre Aufgabe als Eltern und Entwicklungsaufgaben (zum Beispiel Entwicklung eigener Fähigkeiten, Schulabschluss oder Ausbildung) bewältigen.1 Die Grundlagen wurden mit Hilfe gemischter Methoden erforscht, die Studien im Landkreis Lörrach und im Ortenaukreis durchgeführt. Um einen Vergleich mit den jugendlichen Eltern ziehen zu können (n=69, 14 Paare, zehn ambulant und vier stationär), wurden auch an 15 Haupt- und Realschulen in beiden Landkreisen identische Fragebögen zur Bewältigung von Entwicklungsaufgaben verteilt (n=473).
Laut verschiedenen Studien wird eine Familie von der weitaus größten Zahl der jungen Menschen für wertvoll gehalten, um das eigene Leben zu gestalten.2 Eine Familiengründung wird in der Regel geplant und von einer beruflichen Verwirklichung abhängig gemacht. Die Folge: Die Gründung einer Familie "wird auf die lange Bank geschoben"3.
Anders verhält es sich bei jugendlichen Eltern. Die Schwangerschaft war nicht geplant, selten erwünscht und eine Familiengründung keine Perspektive. "Wenn Berufsausbildung und Familiengründung zusammenfallen, entstehen jedoch besondere Herausforderungen. Dabei ist die Datenlage zur Situation von Auszubildenden mit Kind in Deutschland noch mangelhaft", stellte der Wissenschaftliche Beirat für Familienfragen 2011 fest.4 Sie ist es noch immer.
Jugendliche Eltern sind parallel mit eigenen Entwicklungsaufgaben und den Aufgaben als Eltern konfrontiert. Die Elternaufgaben erschweren die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, wenn nicht gleichzeitig unterstützende Möglichkeiten der Kinderbetreuung gegeben sind, um Freiräume für einen Schulbesuch oder eine Ausbildung zu schaffen.
Die meisten jugendlichen Eltern werden durch Dienste der Jugendämter ambulant betreut - selten stationär in Mutter-Kind-Einrichtungen. In Mutter-Kind-Einrichtungen dürfen Väter nicht aufgenommen werden. Jugendliche Mütter werden nach dem Merkmal "alleinerziehend" entsprechend § 19 SGB VIII aufgenommen.
Je nach Lebens- und Wohnsituation erhalten die jugendlichen Eltern neben staatlicher Unterstützung zum Beispiel Hilfe von den Herkunftsfamilien, durch Partnerschaften und durch Angebote in Mutter-Kind-Einrichtungen.
Ergebnis der Fragebögen: Kommunikation das A und O
Die Auswertung der Fragebögen von jugendlichen Eltern hat ergeben, dass Kommunikation sich als Schlüsselbegriff zur Beschreibung der Wirksamkeit von Hilfen im Alltag erweist. Die Qualität der Kontakte entscheidet, wie effektiv die Hilfe ist, so in der Familie, im Freundeskreis und durch professionelle Helfer(innen). Seltene Kontakte gerade mit Gleichaltrigen können zu einer sozialen Isolation führen. Die Folge sind Konflikte im Alltag durch eine Fokussierung auf die Zweierbeziehung. Konflikte ergeben sich durch Erwartungen von außen, denen nicht entsprochen werden kann. Die befragten jugendlichen Eltern beider Landkreise schätzen professionelle Hilfe überwiegend als hilfreich ein, beispielsweise von Ärzt(inn)e(n), Pastoren oder Priestern, Psycholog(inn)en oder Sozialarbeiter(inne)n.
Ortenaukreis
Konkret bezeichneten drei Paare die berufliche Hilfe als hilfreich, ebenso zwei Väter. Ein Paar und drei Mütter nahmen keine professionelle Unterstützung in Anspruch. Letztere gaben an, dass sie durch den Partner sehr unterstützt würden. Ein Vater äußerte einen typischen Wunsch: "Mit dem Kind zusammenwohnen." Viermal wurde die professionelle Hilfe von Müttern als sehr hilfreich und sechsmal als hilfreich eingestuft.
Landkreis Lörrach
Im Landkreis Lörrach wurden überwiegend ehemalige Betreute befragt. Im Unterschied zur Gruppe der aktuell betreuten Eltern zeigte sich, dass sich die Partnerschaften längerfristig konfliktreich entwickeln und es oft zur Trennung kommt.
Professionelle Hilfe wurde neunmal als hilfreich und zweimal als sehr hilfreich erlebt. In vier Fällen wurde keine professionelle Hilfe von den Müttern angekreuzt, obwohl sie Konflikte durch an sie gestellte Erwartungen haben; es überwiegen Probleme mit dem leiblichen Vater des Kindes.
Ein Beispiel aus einer ambulanten Betreuung
Das Kind ist zwei Monate alt, die Mutter 17, Hauptschülerin, der Vater ist 21, ohne beruflichen Abschluss. Beide wohnen jeweils mit der Herkunftsfamilie in verschiedenen Städten.
Die Mutter: Sehr wichtig ist ihr die Herkunftsfamilie, Schule, Ausbildung, selber Geld verdienen und der Partner. Als belastend schätzt sie die Schule beziehungsweise Ausbildung ein. Sie bewertet ihre Fähigkeit, Konflikte zu lösen, als gut und ihre sozialen Kompetenzen als befriedigend.
Ihre Selbstwirksamkeitswerte5 sind sehr niedrig (m=2,6; Normwert 2,95 von 4). Sie hat sehr oft Kontakt mit der Familie und dem Partner, selten mit Freund(inn)en, obwohl sie diese als sehr zugänglich angegeben hat. Soziale und materielle Unterstützung erfährt sie durch ihre Herkunftsfamilie und ihren Partner und schätzt sie als sehr hilfreich ein. Sie ist gerne Mutter, kreuzt aber "unentschieden" an bei der Frage, ob sie sich reif fürs Muttersein fühlt. Sie wollte nicht Mutter werden und nicht so jung, war jedoch gegen einen Abbruch. Durch Erwartungen der Eltern und des Jugendamtes gibt es Konflikte. Sie fühlt sich im Muttersein selbstbestimmt. Ihre Wünsche an sich selbst: "Ausbildung machen und selber Geld verdienen." Ihre Wünsche an die Umwelt: "Sauberkeit." Sie notiert keinen Rat an andere Jugendliche. Ihre Zukunftswünsche: "Dass alles besser wird." Ihre Zukunftswünsche an sich und ihren Partner als Eltern: "Dass alles gut klappt, dass wir gute Eltern sind." Die Wünsche für ihr Kind: "Alles!"
Der Vater: Sehr wichtig ist ihm die Herkunftsfamilie, das Zusammensein mit dieser, selber Geld verdienen, die Partnerin, Freunde und Vereine. Als belastend schätzt er Schule und Ausbildung ein. Gute Noten gibt er sich für Hobbys, seine Fähigkeit, soziale Kontakte zu knüpfen, und den Umgang mit Geld. Er gibt sich die Note befriedigend bei Schule und Ausbildung, bei der Fähigkeit, Konflikte zu lösen und soziale Probleme zu ertragen. Seine Selbstwirksamkeitswerte sind hoch (m=3,3; Normwert 2,95 von 4). Er erfährt viel soziale Unterstützung durch die Familie, die Partnerin und den Freundeskreis und schätzt sie als sehr hilfreich ein. Er ist gerne Vater und fühlt sich reif fürs Vatersein. Er wollte nicht Vater und nicht so jung Vater werden, aber er war gegen einen Abbruch. Auch er gibt an, dass es durch Erwartungen des Jugendamtes zu Konflikten kommt. Er fühlt sich "teils, teils" selbstbestimmt als Vater. Er hat mehrmals die Woche Kontakt mit dem Kind und der Partnerin. Er notiert keine Wünsche an sich, die Umwelt, hat keinen Rat an andere Jugendliche und keine Zukunftserwartungen an sich und seine Partnerin als Eltern. Seine Zukunftswünsche an sich selbst: "Mit dem Kind zusammenwohnen." Sein Wunsch für das Kind: "Dass es gesund bleibt."
Ergebnisse aus dem qualitativen stationären Studienteil
In drei Mutter-Kind-Einrichtungen wurden vier Paare und ihre Kinder per Fragebogen interviewt. Darüber wurden Daten erhoben, die auf Lebenserzählungen, Leitfadeninterviews und Videoaufnahmen der Kommunikation zwischen den jugendlichen Eltern und ihren Kindern beruhten.
In der gegenwärtigen Situation als jugendliche Eltern sind Selbstfindung und Integration ins Berufsleben erschwert. Institutionelle Hilfe wird in Betreuungsfragen in Anspruch genommen. Eine Begleitung bei der Bewältigung anderer Probleme wird nur teilweise akzeptiert.
Die Ergebnisse zeigen auf der einen Seite deutlich Kompetenzen und Ressourcen im zwischenmenschlichen Bereich, vor allem im Umgang mit dem Kind. Zum anderen belegen sie einen hohen Bedarf an Unterstützung, um ihren Alltag zu bewältigen, für ihre Beziehungsgestaltung als Paar und für ihre soziale Integration.
Im Unterschied zur Fragebogenerhebung aller jugendlichen Eltern (n=69) in den zwei Landkreisen können die jugendlichen Eltern der qualitativen Studie nur auf wenige positive Erfahrungen im familiären Zusammenleben mit ihrer Herkunftsfamilie zurückgreifen. Alle jugendlichen Eltern der qualitativen Studie erlebten in ihrer Kindheit Trennungsprobleme, Erfahrungen von Gewalt, Wechsel der Bezugspersonen und Wohnorte.
Nach Einschätzungen der Betreuerinnen sind die jungen Eltern kaum realistisch in ihren Vorstellungen, Wünschen und den Möglichkeiten ihrer Verwirklichung. In einer der befragten Familien überwiegen Schwierigkeiten, sich den Aufgaben zu stellen.
Das Fazit: Die Ergebnisse der Studie unterstreichen, dass jugendliche Eltern eine frühzeitige und regelmäßige Betreuung brauchen, je nachdem ambulant oder stationär, um ihr Leben den Bedürfnissen der Kleinfamilie entsprechend unter Einbeziehung der Väter zu gestalten.
In einer weiteren Untersuchung wäre zu klären, welche Hilfe die Jugendämter für junge, aber bereits volljährige junge Eltern bereitstellen (§ 41 SBG VIII).6 Hier ist das Problem, dass beispielsweise diese Mütter aus Altersgründen nicht mehr durch Mutter-Kind-Einrichtungen betreut werden.
Eltern früh begleiten und Väter einbeziehen
Im Rahmen der Frühen Hilfen7 sollten jugendliche Eltern während der Schwangerschaft, bei der Geburt und danach angesprochen und kontinuierlich begleitet werden. Karolin Königsfeld von der Präventionsstelle Frühe Hilfen im Rhein-Erft-Kreis benennt als größte Belastungsfaktoren für Kindeswohlgefährdung "Armut, niedriger Bildungsstand und ein sehr junges Alter beim ersten Kind".8
In einer Studie aus den USA wird die Wirksamkeit eines Programms für jugendliche Eltern untersucht, das bereits während der Schwangerschaft angewendet wird.9 Die Ergebnisse bestätigen die Wirksamkeit eines positiven väterlichen Engagements bereits während der Schwangerschaft. Um geeignete Familienein- richtungen für jugendliche Eltern zu schaffen - in Ergänzung oder Umwandlung von Mutter-Kind-Einrichtungen - ist eine Änderung des § 19 des SGB VIII nötig. Anstelle der Formulierung "Mütter oder Väter" sollte es heißen: "Mütter und Väter". Die Formulierung "alleinerziehend" (Satz 1) beziehungsweise "sofern … allein für sie zu sorgen hat" (Satz 2) sind zu streichen. Kinder brauchen von Anfang an die Beziehung zu beiden Elternteilen, um adäquate Grundlagen für ihre Identitätsentwicklung zu erhalten, wie es auch das neue Sorgerecht paradigmatisch herausstellt (vgl. Bundesverfassungsgericht 107, 150, 155).
Aus der "Subjektperspektive junger Frauen und Männer" geht es um "komplexe Entscheidungsprozesse"10, die mit ihrer Umwelt in Einklang zu bringen sind, damit es nicht zu Brüchen kommt: zum Abbruch der Schule oder Ausbildung, zu Exklusion und Verlust der sozialen Anschlüsse. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit einer kontinuierlichen fachlichen Begleitung im Sinne einer aufsuchenden Hilfe, eingeleitet durch "Frühe Hilfen".11
Anmerkungen
1. Das Projekt wurde vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft gefördert (Projekt-Nr. H420 7218 9999 17815), erste Förderphase 2008-2012 und zweite Förderphase 2012-2014. Alter der jugendlichen Eltern: Ortenaukreis 15 bis 18 Jahre, Landkreis Lörrach 19 bis 25 Jahre; Durchschnittsalter Mütter Ortenau 17 Jahre, Väter Ortenaukreis 17,5 Jahre; Mütter Lörrach 22,4, Väter Lörrach 21,12 Jahre.
2. 16. Shell Jugendstudie, Jugend 2010, Albert u.a. S. 43. Gleiches Ergebnis für die Schweiz (n=300): Bodemann, G.: Welche Bedeutung haben Partnerschaft und Liebe für Jugendliche heute? Eine deskriptive Untersuchung. In: Zeitschrift für Familienforschung, 15. Jg., Heft 2/2003, S. 91-104.
3. Hurrelmann, K.: Familie und Beruf verbinden - wie sehen das Kinder und Jugendliche? www.beruf-und-familie.de/files/frdata/audit/ Familie_und_Beruf_verbinden.pdf, 2010.
4. Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen des Bundesministeriums für Familie, Soziales,?Frauen und Jugend in: Familiengründung und Elternschaft in Ausbildung und Studium. 2011: 36 (www.bmfsfj.de, "Publikationen", Suchwort "Familiengründung").
5. Selbstwirksamkeitserwartung ist die Überzeugung des Einzelnen, dass sein Handeln etwas bewirken und dass er mit den Schwierigkeiten des Lebens zurechtkommen kann.
6. Kramm, M.; Küpper, S.; Raible-Mayer, C.; Schindler, H.; Schlotmann, H.-O.: Hilfen für junge Volljährige. Handlungsleitfaden zu § 41 SGB VIII für Einrichtungen der stationären Jugendhilfe. Freiburg: Lambertus-Verlag, 2010.
7. "Frühe Hilfen", Sozialmagazin Heft 7-8, 2014. Hervorgehoben wird die Arbeit mit "jungen Familien" (S. 23 ff.) und "Müttern und Vätern" für die langfristige Arbeit (S. 28). Siehe dazu www.fruehehilfen.de/bundesinitiative-fruehe-hilfen/
8. Königsfeld, K.: Die Bedeutung der Familienbildung im Kontext Früher Hilfen. In: Frühe Kindheit: die ersten sechs Jahre. Jg. 14, 2012, Sonderausgabe: Frühe Hilfen. Gesundes Aufwachsen ermöglichen, S. 92-99. Jugendliche Eltern werden nicht eigens genannt, im Fallbeispiel wird eine junge Familie mit ihren Anfangsschwierigkeiten beschrieben und welche Hilfen ermöglicht wurden.
9. Florsheim P., Burrow-Sánchez J.J., Minami T., McArthur L., Heavin S., Hudak C.: Young parenthood program: supporting positive paternal engagement through coparenting counseling. Source: Joseph J. Zilber School of Public
Health, University of Wisconsin, Milwaukee. 2012.
10. Stauber, B.: Unter widrigen Umständen - Entscheidungsfindungsprozesse junger Frauen und Männer im Hinblick auf eine Familiengründung. In: Spies A. (Hrsg.): Frühe Mutterschaft. Die Bandbreite der Perspektiven und Aufgaben angesichts einer ungewöhnlichen Lebenssituation. Baltmannsweiler, 2010, S. 76-100.
11. Cornelißen, W.; Bien, W.: Frühe Elternschaft: riskant, gewagt und instabil. DJI Impulse 4/2014 Nr.108. Diese Studie bestätigt die Daten und Aussagen dieses Beitrages zur Notwendigkeit der Förderung jugendlicher Eltern.
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