KKVD sieht die Daseinsvorsorge im Mittelpunkt
In einem Musterverfahren will der Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK) bekanntlich die Rechtmäßigkeit der Finanzierungspraxis kommunaler Krankenhäuser überprüfen lassen. So legte er vor dem Landgericht Tübingen Klage gegen den Landkreis Calw auf Unterlassung von Defizitausgleichen für die dortigen Kreiskliniken ein (siehe dazu den Beitrag von Christopher Bangert in diesem Heft, S. 9). Die Musterklage ist beim Landgericht Tübingen und damit in erster Instanz gescheitert. Der BDPK hat erwartungsgemäß Berufung dagegen eingelegt.
Klagegegenstand des vom BDPK betriebenen Musterverfahrens ist ein Beschluss des Kreistages des Landkreises Calw vom 17. Dezember 2012. In diesem wurde festgelegt, die nicht durch Eigenkapital gedeckten Verluste der Kreiskliniken Calw und Nagold für das Jahr 2012 (circa 6,2 Millionen Euro) und für die Folgejahre bis 2016 (in zu erwartender Höhe von jährlich deutlich über einer Million Euro) zu tragen. Darüber hinaus hat der beklagte Landkreis in den Vorjahren Bürgschaften zur Absicherung von zu Investitionszwecken aufgenommenen Krediten übernommen (im Jahr 2012 zuletzt in Höhe von knapp 15 Millionen Euro). Darin sieht der BDPK einen Wettbewerbsverstoß zum Nachteil der von ihm vertretenen Privatkliniken. Die Kostenübernahme stelle eine genehmigungspflichtige, EU-rechtswidrige Beihilfe dar, die den Wettbewerb im Vergleich zu privaten und gemeinnützigen Krankenhäusern verzerre, da ihnen keine Subventionen durch die öffentliche Hand zustünden.
Das Ergebnis hat weitreichende Folgen
Der Ausgang des Musterverfahrens wird weitreichende Folgen nicht nur für die kommunalen Krankenhäuser, sondern insgesamt für die Krankenhauslandschaft in Deutschland haben. Denn durch diesen Rechtsstreit dürfte das gesamte deutsche Krankenhaussystem, dessen (Unter-)Finanzierung alle Verfahrensbeteiligten gleichermaßen anprangern, verstärkt in den Fokus der (Fach-)Öffentlichkeit geraten und entsprechender politischer Handlungsdruck entstehen. Dies ist auch die übereinstimmende Auffassung des Interessenverbandes Kommunaler Krankenhäuser (IVKK) und des BDPK.
Dabei ist die umstrittene Thematik "Defizitausgleiche" nicht neu. Bereits im Jahr 2003 hatte die Asklepios Kliniken GmbH Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingereicht, um eine Gewährung mutmaßlich rechtswidriger Beihilfen an öffentliche Krankenhäuser durch die öffentliche Hand in Deutschland anzuzeigen. Diese bestünden darin, dass eventuelle Betriebsverluste im Einzelfall gedeckt würden sowie darin, dass ihnen durch den jeweiligen öffentlichen Träger eine Garantie gewährt werde.
In der Folge schuf die Europäische Kommission jedoch Mechanismen, die die Mitgliedstaaten bei staatlichen Beihilfen von der europarechtlich verankerten Pflicht befreien, die Kommission über die Beihilfe zu informieren ("Notifizierungspflicht").1 Voraussetzung ist, dass die Beihilfen in Form von Ausgleichszahlungen für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DAWI) gewährt werden. Für diese Befreiung müssen zunächst die in der sogenannten Freistellungsentscheidung (Kommissionsentscheidung vom 28. November 2005 - 2005/842/EG) beziehungsweise dem sogenannten Freistellungsbeschluss (Kommissionsbeschluss vom 20. Dezember 2012 - 2012/21/EU) genannten materiellen Voraussetzungen erfüllt sein. Darüber hinaus bedarf es eines weiteren "Betrauungsaktes" zugunsten des im Einzelfall betroffenen Krankenhausträgers. Die Beschwerde der Asklepios Kliniken aus dem Jahr 2003 wurde von der Kommission vor diesem Hintergrund nicht beschieden. Die daraufhin am Gerichtshof der Europäischen Union erhobene Untätigkeitsklage wurde abgewiesen (EuG, Urteil vom 11. Juli 2007 - T-167/04).
Durch den erneuten gerichtlichen Vorstoß beklagt der BDPK nun im Fall Calw, dass die Defizitausgleiche zunächst schon nicht von den inhaltlichen Voraussetzungen der Freistellungsentscheidung der Kommission gedeckt seien, weil den Kliniken keine besonderen DAWI übertragen worden seien. Darüber hinaus genüge auch der konkrete Betrauungsakt - unstreitig in Form eines vom Landkreistag ausgearbeiteten und bundesweit empfohlenen Muster-Betrauungsaktes verfasst - nicht den Anforderungen der Kommission.
Das Gericht erklärte die in § 1 Abs. 1 Satz 3 des Landeskrankenhausgesetzes des Landes Baden-Württemberg (LKHG) genannte "bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhausleistungen" als DAWI. Dabei stellte das Gericht ferner klar, dass den Kreiskliniken die Betreibenspflicht gesetzlich auferlegt wurde. Die mit den Kreiskliniken im Wettbewerb stehenden privaten Krankenhäuser treffe hingegen keine gesetzliche Pflicht. Dem Betrieb ihrer Häuser lägen lediglich wirtschaftliche Überlegungen zugrunde. Die Pflichtträgerschaft schließe es - insoweit anders als für private oder freigemeinnützige Träger von Plankrankenhäusern - aus, dass über die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit des Fortbetriebes der Kliniken disponiert werden könne. Die Frage, ob die Kreiskliniken tatsächlich zur bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung notwendig seien, wurde vom Gericht nicht entschieden. Diese Überprüfung sei derartig komplex und ferner für einen Wettbewerbsprozess nicht sachgerecht möglich.
Kommunale Kliniken begrüßen das Urteil
Der IVKK hat das Urteil begrüßt. Das Verfahren biete insgesamt "die Chance, endlich Klarheit zu erhalten über die Frage, was der Versorgungsauftrag für Krankenhäuser konkret bedeutet".2 Man hatte Mitte November 2013 ein Gutachten des Staats- und Europarechtlers Volker Epping vorgestellt. Demnach sind kommunale Krankenhäuser nicht Unternehmen im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts. Der IVKK-Vorsitzende Bernhard Ziegler sagte dazu im Deutschen Ärzteblatt: "Private Betreiber berufen sich in ihrem Kampf um Marktanteile auf ein Wettbewerbsrecht, welches für Automobilkonzerne oder Großbäckereien geschaffen wurde." 3
Was haben Krankenhäuser und Wasserwerke gemeinsam? Sowohl die stationäre Versorgung von Kranken als auch die Versorgung mit Trinkwasser sind elementar für die Gesundheit und das Wohlergehen der Bevölkerung. Krankenhäuser und Wasserwerke zählen zu den Einrichtungen, die in den Bereich der Daseinsvorsorge des Staates fallen. Auf diesen Zusammenhang verwies der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Siegfried Broß im Januar 2014 in Berlin.4 Broß befasst sich seit langem mit den Konsequenzen für die Handlungs- und Steuerungsfähigkeit des Staates durch die Privatisierung öffentlicher Aufgaben.
Am 24. Januar beschloss der Vorstand des BDPK, gegen die Entscheidung des Landgerichts Tübingen Berufung einzulegen, wohl wissend, dass der Gang durch die Instanzen - vom Landgericht zum Oberlandesgericht Stuttgart, zum Bundesgerichthof und schließlich zum Europäischen Gerichtshof - Hunderttausende Euro verschlingt. Obwohl der Landkreis Calw in erster Instanz obsiegt hat, summierten sich bei ihm die Anwalts- und Gerichtskosten nur für diesen kurzen Prozess nach Informationen des Schwarzwälder Boten auf mehr als 100?.000 Euro.5 Erst wer in letzter Instanz verliert, wird den Löwenanteil aller Prozesskosten übernehmen müssen - über vier Instanzen eine runde halbe Million Euro, laut Hochrechnung des Landkreis-Pressesprechers Timo Stock. Der BDPK ist für diesen Fall gewappnet: "Unser Mitgliedsbeitrag ist dazu da, um solche Aufgaben zu finanzieren", konstatierte BDPK-Geschäftsführer Thomas Bublitz und begründete das weitere Vorgehen: "Die Kreiskliniken Calw erfüllen im Vergleich zu den privaten und freigemeinnützigen/kirchlichen Kliniken keine Krankenhaussonderaufgaben, die zusätzliche Subventionen aus Steuermitteln erlauben würden."6
Kliniken sind keine reinen Wirtschaftsunternehmen
Das Urteil schafft zunächst einmal Rechtssicherheit. Dem BDPK geht es jedoch um das Prinzip, dass der "Krankenhausmarkt" weitestgehend unabhängig von staatlicher Regulierung und Einflussnahme den reinen freien Marktmechanismen unterliegen soll. Er beabsichtigt dahingehend eine wachstumsorientierte strategische Abklärung dieses Sachverhalts. Es gibt immer wieder Kliniken in kommunaler Trägerschaft, die auf Unterstützung von ihren Trägerkommunen angewiesen sind. Aber sicher würde im Fall von massiven Insolvenzen nicht jede (kommunale) Klinik von privater Hand übernommen werden.
Wie das Landgericht Tübingen versteht der KKVD die bundesdeutschen Krankenhäuser als Teil staatlicher Daseinsvorsorge und damit nicht als reine privatwirtschaftliche Unternehmen. Die Leistungen im Krankenhaus sollten keinem rein marktkonformen Geschehen unterliegen, die wie ein rein ökonomisch verstandener Markt für Warenaustausch wie etwa von Autos, Waschmaschinen oder Benzin behandelt werden können. Die Versorgung der Bevölkerung mit einer guten Infrastruktur ist ein hohes öffentliches Gut. Dazu gehören qualitätsorientierte und leistungsfähige Krankenhäuser. Die Länder müssen diese Versorgung bei der Krankenhausplanung sichern und die dazu notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen.
Parallel dazu plädiert der KKVD für das Subsidiaritätsprinzip. Daher ist ihm ein Bekenntnis zur Trägerpluralität wichtig. Im Auftrag der Länder übernehmen die kirchlichen Krankenhäuser, wie alle anderen Krankenhausträger, die Aufgabe, bedarfsnotwendige Krankenbehandlung sicherzustellen. Ein gutes Miteinander von freigemeinnützigen, privaten und kommunalen Kliniken ist wünschenswert. Die Länder zeichnen mit ihren Landeskrankenhausplänen verantwortlich, welches Krankenhaus als bedarfsnotwendig anerkannt ist. Jede Trägerart hat ihre eigenen Herausforderungen. So können zum Beispiel private Krankenhausträger Gelder für Investitionen leichter am Kapitalmarkt erschließen als ein freigemeinnütziger Träger. Jedes einzelne Krankenhaus muss sich mit den Mitanbietern in seiner Region hinsichtlich Angebot und Qualität zum Wohle der Patient(inn)en messen lassen. Dies führt durchaus zu einem gewissen Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern. Es stellt sich die Frage, ob sich aus dem Grundsatz der Subsidiarität folglich auch eine Argumentation hinsichtlich der Möglichkeit eines Defizitausgleichs aller Krankenhausträger entnehmen ließe.
Gesundheitsversorgung muss finanziert sein
Die wirtschaftliche Situation im Krankenhausbereich wird in erster Linie durch die unzureichende Investitionsfinanzierung und die Fehlanreize im derzeitigen DRG-System geprägt. Dabei ergeben sich erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. Beispielhaft seien folgende Sach- verhalte genannt: Bekanntlich sind besonders die Kliniken in Ländern mit niedrigen Landesbasisfallwerten gefährdet. In Niedersachsen droht zwei Dritteln der Kliniken laut Niedersächsischer Krankenhausgesellschaft das Aus. Die Kinder- und Jugendmedizin ist nicht auskömmlich refinanziert und häufig ein Zuschussgeschäft. Geburtshilfestationen im ländlichen Raum sind bedroht oder wurden bereits trotz stärkster Proteste der Bevölkerung geschlossen. Die Notfallmedizin ist finanziell nicht gedeckt.
Die dem KKVD angeschlossenen Mitglieder und Träger begegnen den schwierigen Rahmenbedingungen mit Kooperationen und Fusionen, um auch weiterhin eine gute medizinische Versorgung gewährleisten zu können. Trotzdem kommen immer mehr Krankenhäuser an ihre Grenzen.
Finanzierungsgerechtigkeit ist anzustreben
Die Mitgliedskliniken des KKVD müssen Überschüsse erwirtschaften (das heißt mindestens eine schwarze Null schreiben) und haben in der Regel deutlich geringere Möglichkeiten einer Defizitabdeckung zum Beispiel durch Trägerzuschüsse. Deswegen plädiert der Verband in der politischen Debatte für ein auskömmlich finanziertes Gesundheitswesen. Ein bedarfsnotwendiges Krankenhaus muss sich auch refinanzieren können. Mehr Mittel zum Beispiel in die Hochleistungsmedizin zu geben darf einer Grundversorgung nicht die Finanzbasis entziehen. Bei der jährlichen DRG-Kalkulation des Instituts für das Entgeltsystem in Krankenhaus (InEK) muss zum Beispiel darauf hingewirkt werden, dass bei der Kalkulationsstichprobe auch repräsentativ die Krankenhausstrukturen in Deutschland adäquat berücksichtigt werden. Der Ansatz im Koalitionsvertrag kann als positiver Schritt im Hinblick auf die Finanzierungsgerechtigkeit aller Kliniken bewertet werden.
Medizin und Menschlichkeit
Kirchliche Krankenhäuser haben eine lange Tradition: Das Christentum steht in Europa für die Geburt der Klinik als Institution. Aber die KKVD-Mitglieder wollen nicht für ihre historischen Leistungen geschätzt werden oder aus Gründen des Artenschutzes überleben. Der KKVD versteht sich als dynamischer und entwicklungsorientierter Teil des bundesdeutschen Gesundheitswesens. Dabei steht aufgrund der christlichen Werteorientierung nicht die Rendite im Vordergrund. Ohne die kirchlichen Krankenhäuser wäre in bestimmten Regionen die Versorgung nicht mehr gewährleistet. Die katholischen Krankenhäuser stellen aber auch für die Patient(inn)en eine Alternative im Sinne der Subsidiarität dar. Für sie ist der/die Patient(in) in erster Linie ein kranker, hilfesuchender Mitmensch. Katholische Krankenhäuser versuchen sich daher dem überbordenden Trend zur Ökonomisierung in der Medizin entgegenzustellen.7 Allerdings werden sich auch die kirchlichen Krankenhäuser notwendigen versorgungstrukturellen Entwicklungsprozessen nicht entziehen können. Es werden auch katholische Krankenhäuser umgewidmet, fusioniert oder geschlossen werden. Bisher wurden und werden die Leistungen der katholischen Krankenhäuser von Bund, Ländern und auch Patient(inn)en wertgeschätzt. Der KKVD wünscht sich natürlich, dass dies so bleibt. Dafür setzt sich der Verband ein und engagiert sich in den mehr als 420 ihm angeschlossenen katholischen Kliniken in Deutschland täglich.
Letztlich wird es aber insgesamt eine gesellschaftliche Diskussion geben müssen, die klärt, in welchem Umfang die Krankenhausversorgung in Deutschland zukünftig noch stattfinden soll. Dabei darf es allerdings nicht nur um die ökonomischen Aspekte gehen.
Anmerkungen
1. www.bmg.bund.de
2. www.ivkk.de
3. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 110, Heft 48, 29. November 2013.
4. Broß, Siegfried: Krankenhäuser - kommerzielle Wirtschaftsbetriebe oder Teil der Daseinsvorsorge des Staates? In: Schriftenreihe zur kommunalen Daseinsvorsorge, Heft 3/ 2014.
5. www.schwarzwaelder-bote.de, Artikel vom 28. Januar 2014: Kreis Calw - "Klinik-Finanzierung: Entscheidung erst 2017".
6. www.bdpk.de
Subventionen bremsen fremden Wettbewerb
Genossenschaften können auch sozial sein
Nicht nur eine Spielerei
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