Günstige Gelegenheit: Gesetz kann jetzt gekippt werden
Der Gesetzgeber muss nachbessern: Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 wurde ihm aufgegeben, die Regelleistungen zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums für Leistungsempfänger(innen) nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) neu zu regeln. Das Gericht hatte zuvor die Höhe der bislang gewährten Grundleistungen als evident zu niedrig eingestuft und die entsprechende gesetzliche Norm als verfassungswidrig erklärt. Bis zu einer Neuregelung hat das Gericht übergangsweise bestimmt, dass sich die Leistung der Höhe nach an den nach dem XII. Buch des Sozialgesetzbuches (SGB) gewährten Leistungen zu orientieren hat.
Bislang zielten die Anstrengungen des Gesetzgebers dahin, die Leistungen innerhalb des bestehenden Asylbewerberleistungsgesetzes anzupassen. Die erforderliche gesetzliche Neuregelung bietet jedoch auch die Gelegenheit, erneut über eine Abschaffung des AsylbLG vertieft nachzudenken, denn die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts könnten auch im Rahmen der bestehenden Hilfesysteme in SGB II und SGB XII umgesetzt werden.
Da sich das AsylbLG einerseits in verwaltungsverfahrensrechtlicher Hinsicht auf die Sozialgesetzbücher bezieht, andererseits jedoch ein sozialrechtliches Leistungssystem außerhalb dieser Sozialgesetzbücher darstellt, liegt die Frage nahe, ob ein solches Sondersozialrecht außerhalb der Sozialgesetzbücher überhaupt sinnvoll ist. Der Deutsche Caritasverband (DCV) fordert deshalb bereits seit Jahren, das AsylbLG als Sondergesetz außerhalb der Sozialgesetzbücher abzuschaffen.
Immer wieder hat die Caritas wesentliche Kernpunkte des Asylbewerberleistungsgesetzes kritisiert und deutlich gemacht, weshalb es die soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung von Asylsuchenden und sonstigen Leistungsberechtigten schürt. Zentrale Kritikpunkte waren und sind dabei die Höhe der Grundleistungen, die Einbeziehung immer weiterer Personenkreise in das Asylbewerberleistungsgesetz, der Zeitrahmen, in dem die betroffenen Personen lediglich abgesenkte Leistungen erhalten, die eingeschränkten Gesundheitsleistungen sowie das Sachleistungsprinzip. Eine Abschaffung würde auch deshalb Sinn machen, weil im Jahre 2012 von insgesamt 165.244 Leistungsbezieher(inne)n nach AsylbLG ohnehin bereits fast ein Viertel (22 Prozent) Analogleistungen nach SGB XII erhalten hat.
Die konkreten Folgen einer solchen Abschaffung wurden bislang noch wenig diskutiert. Die Regelungsinhalte in die Sozialgesetzbücher zu überführen würde jedoch nur geringfügige Änderungen erfordern. Im Wesentlichen würden die existierenden gesetzlichen Regelungen des AsylbLG entfallen, und die Bestimmungen des SGB II und des SGB XII würden auf Asylbewerber(innen) Anwendung finden.
Residenzpflicht und Arbeitsverbot blieben bestehen
Die Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) hingegen, zum Beispiel die Regelungen zur Residenzpflicht und zum Arbeitsverbot, blieben von der Abschaffung des AsylbLG unberührt, wenngleich deren Abschaffung aus Sicht des DCV ebenfalls wünschenswert wäre. Auch die Verpflichtung, in Aufnahmeeinrichtungen und in Gemeinschaftsunterkünften zu wohnen, würde weiterhin existieren. Gleiches gilt für die Beschäftigungsverordnung, die das Arbeitsverbot für Geduldete regelt. Auch die Regelungen des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), die zum Beispiel die Situation von Geduldeten und Bürgerkriegsflüchtlingen bestimmen, blieben dabei unberührt.
Die bisherigen Regelleistungen des AsylbLG sollen den Lebensbedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege sowie Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts im notwendigen Umfang - vorrangig in Form von Sachleistungen - decken. Für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens erhalten die Leistungsempfänger(innen) zusätzlich einen monatlichen Geldbetrag (Taschengeld). Auch besondere Leistungen in speziellen Situationen können gewährt werden, etwa bei Krankheit, Schwangerschaft oder Geburt.
Hebt man das Asylbewerberleistungsgesetz auf, würde der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) den Lebensunterhalt von Erwerbsfähigen übernehmen; für Nichterwerbsfähige stünde das Sozialamt ein (SGB XII). Als nichterwerbsfähig gelten auch Ausländer(innen), denen eine Beschäftigung nicht erlaubt werden könnte, also auch Asylbewerber(innen) oder Geduldete, die einem Arbeitsverbot unterliegen. Sie erhielten also in dieser Zeit Leistungen der Sozialhilfe.
In beiden Rechtskreisen werden Leistungen zum Lebensunterhalt in Form von Geld gewährt. Dafür hatte sich der Deutsche Caritasverband schon seit langem eingesetzt. Verbesserungen gäbe es auch bei der gesundheitlichen Versorgung der Asylsuchenden, Geduldeten und Menschen mit humanitärem Aufenthaltsstatus. Derzeit ist der Anspruch auf gesundheitliche Versorgung beschränkt auf akute Krankheiten und Schmerzzustände sowie auf Leistungen bei Schwangerschaft und Geburt.
Asylbewerber hätten Zugang zu Eingliederung in Arbeit
Würden diese Menschen nun ins SGB II und SGB XII überführt, wären sie kranken- und pflegeversichert oder würden Hilfen zur Gesundheit und zur Pflege innerhalb der Sozialhilfe erhalten. Mit ihrer Aufnahme ins SGB II wäre erwerbsfähigen Berechtigten - nach Ablauf des Arbeitsverbots - schließlich auch der Zugang zur Eingliederung in Arbeit eröffnet.
Hinsichtlich der bislang im AsylbLG geregelten nichtleistungsrechtlichen Vorschriften wäre wie folgt zu verfahren:
Die Normen im AsylbLG, die die Anrechnung von eventuellem Einkommen und Vermögen sowie Sicherheitsleistungen vorsehen, könnten ersatzlos entfallen. Bestehende Regelungen im SGB II und SGB XII würden direkt Anwendung finden. Die Regelung zur Erstattung von zu Unrecht erhaltenen Unterkunftsleistungen müsste im SGB XII lediglich ergänzt werden, da eine vergleichbare Regelung im SGB II bereits existiert.
Wenn Dritte die Verpflichtung übernommen haben, Leistungen zu zahlen, werden ebenfalls die Regelungen in den Sozialgesetzbüchern angewandt. Einzig der monatlich zu gewährende Zuschuss an diejenigen, die sich sechs Monate oder länger verpflichtet haben, müsste neu geregelt werden.
Ergänzende Bestimmungen hinsichtlich der Hinweispflicht auf Rückkehr und Weiterwanderungsprogramme sowie Überprüfungs- und Datenschutzregelungen müssten nur im Sozialgesetzbuch verankert werden, soweit dies erforderlich ist beziehungsweise sofern entsprechende Regelungen dort noch nicht existieren. Die Bestimmung, nach der die zuständige Behörde lediglich die unabweisbar gebotene Hilfe leisten darf, wenn der Leistungsberechtigte einer asyl- oder ausländerrechtlichen räumlichen Beschränkung zuwiderhandelt, sollte nicht überführt werden. Ansonsten würde die bereits bestehende ausländerstrafrechtliche Sanktion noch durch eine zusätzliche leistungsrechtliche Sanktion ergänzt.
Die Vorschrift des AsylbLG, nach der Asylbewerber(innen) keine Leistungen nach dem SGB XII erhalten, würde entfallen. Lediglich die bislang auch schon gemachten Ausnahmen sollten weiterhin geregelt werden. Nicht überführt werden müssten darüber hinaus all jene Regelungen, die die zuständigen Behörden und Kostenträger, die Kostenerstattung zwischen den Kostenträgern, die Meldepflicht für Erwerbstätige, die Asylbewerberleistungsstatistik sowie Bußgeldvorschriften zum Inhalt haben. Dafür existieren bereits entsprechende Regelungen im SGB II und SGB XII.
Abschaffung ist möglich und sinnvoll
Die Ausführungen zeigen, dass die Abschaffung des Sondergesetzes "Asylbewerberleistungsgesetz" möglich und sinnvoll ist. Etliche Sonderregelungen des AsylbLG wären hinfällig. Für die betroffenen Menschen wäre dies eine gute Entwicklung, da sie einen verbesserten Gesundheitsschutz hätten und ihnen nach Ende des Arbeitsverbots auch die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit zugänglich wären. Für die Kommunen und Länder würde die Abschaffung dieses Sondergesetzes eine finanzielle Entlastung bedeuten, weil zumindest im SGB II der Bund weitgehend die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und auch zur Eingliederung in Arbeit finanziert. All das spricht dafür, die anstehende gesetzliche Neuregelung zum Anlass zu nehmen, das Asylbewerberleistungsgesetz gänzlich abzuschaffen, anstatt es "nur" verfassungskonform auszugestalten.
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