Herzklopfen
Michael Hummert: Im Grundsatz gut, aber sie haben immer noch Unsicherheiten. Sie wissen gut Bescheid über Verhütung, aber wenn es um den Zyklus und die Fruchtbarkeit geht, gibt es Lücken. Was Beziehung und Partnerschaft angeht, haben sie konkret keine Antwort.
Ann-Kathrin Kahle: Dass sich die Schule zu dem Thema zurückhält, ist klug. Wir versuchen der Frage nachzugehen: Wie lernt man Liebesfähigkeit? Die verträgt sich nicht gut mit dem Bewertungssystem der Schule.
Mit welchem Konzept erreichen Sie die Jugendlichen?
Ann-Kathrin Kahle: Wir sind vor allen Dingen dafür da, dass Fragen gestellt werden. Wir wollen die Jugendlichen ermutigen, miteinander ins Gespräch zu kommen. In einzelnen Punkten können wir dann noch Fachwissen ergänzen. Unser Ziel ist auch, sie auf Dauer zu befähigen, mit ihren Partnern reden zu können.
Seit wann bieten Sie "Herzklopfen-Kurse" an?
Ann-Kathrin Kahle: Im Jahr 2000 haben wir den Auftrag bekommen, die Sexualpädagogik aufzubauen. Anlass war der Ausstieg aus der Schwangeren-Konfliktberatung. Als klar war, dass er kommt, hat der SkF Münster sich entschlossen, nach vorne zu schauen mit einem neuen Angebot.
"Katholische Sexualpädagogik" in einer inzwischen mehr oder weniger säkularen Welt - geht das eigentlich? Und was ist daran eigentlich das Katholische?
Michael Hummert: Katholisch ist unser christliches Menschenbild. Wir unterstützen die Jugendlichen darin, ihre Sexualität zu finden und Verantwortung für sie zu übernehmen. In vielem unterscheiden wir uns nicht von anderen Verbänden und befinden uns da in einem guten Austausch. Wir sehen aber, dass das, was Jugendliche in Sachen Sexualität bewegt, was ihnen wichtig und wertvoll ist, gut zusammenpasst mit unserer christlichen Haltung.
Ann-Kathrin Kahle: Wir versuchen die Jugendlichen zunächst einmal als "Kinder Gottes" wahrzunehmen, die gut und richtig sind und die auf einem guten Weg sind, auch wenn sie manchmal Fehler machen. Wir wollen sie begleiten und für Jugendliche, die säkular aufgewachsen sind, eine Brücke schlagen.
Welche Zielgruppe sprechen Sie an?
Ann-Kathrin Kahle: Wir gehen in die weiterführenden Schulen, in der Regel in die Klassen acht und neun, die Jüngsten sind in der siebten Klasse. Also vom Alter her ab 13 Jahre aufwärts. Wir schauen dabei auch, wie nah das Thema an der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen ist. Manchmal arbeiten wir auch mit Firmgruppen oder anderen außerschulischen Gruppen.
Michael Hummert: In den letzten 15 Jahren hat sich das Eintrittsalter in die Pubertät nicht mehr nach vorne verschoben, aber es hat sich bei Mädchen und Jungen angeglichen.
Ist Schule eigentlich der richtige Ort für Sexualpädagogik?
Michael Hummert: Allerdings. Inzwischen kennen uns die Lehrer und sprechen uns zwischendurch an, wenn sie Fragen zu ihren Schülern haben. Das senkt einfach die Hemmschwelle. Sie würden wohl kaum zu uns in die SkF-Beratungsstelle kommen.
Wie viele Kurse können Sie im Jahr anbieten?
Ann-Kathrin Kahle: 40 bis 50 Schulprojekte im Jahr sind möglich. Wir gehen einmal in jede Klasse, in zwei Hauptschulen allerdings sind wir in der siebten Klasse und dann auch noch einmal in der neunten. Zusammen mit anderen Trägern sind die Schulen in Münster fast vollständig und damit bundesweit nach unseren Informationen am besten abgedeckt. Grundsätzlich ist es nur ein Angebot und im Einzelfall lehnen Schulen es ab.
Entstehen den Schulen Kosten dafür?
Ann-Kathrin Kahle: Wir nehmen 50 Euro für Materialkosten. Wenn man bedenkt, dass wir dafür sechs Unterrichtsstunden zu zweit gestalten, ist das allenfalls eine kleine Entschädigung. Aber es reicht für einen kleinen Puffer. Da können wir uns mal eine Honorarkraft leisten oder etwas Literatur anschaffen.
Noch nie in der Geschichte war es so einfach, schon früh alles über Sexualität in den Medien zu erfahren. Wie wirkt sich das auf das Verhalten der Jugendlichen aus?
Michael Hummert: Wir erfahren, dass sich am Verhalten selbst kaum etwas geändert hat - zumindest was Partnerschaft angeht. Jugendliche probieren auch heute aus, sind verunsichert. Die ersten Liebeserfahrungen sind für sie glücklich machend, spannungsreich - Herzklopfen halt.
Ann-Kathrin Kahle: Die Medien ändern nichts in der konkreten Situation. Die ersten Erfahrungen müssen sie immer noch selbst machen. Damit fangen sie interessanterweise auch nicht früher an. Jugendliche heute sind da eher vorsichtiger oder zurückhaltender, als es allgemein erwartet und oft publiziert wird. Sie wünschen sich gerade "das erste Mal" in einer festen Beziehung, wollen eine glückliche Partnerschaft. Dass es in einer flüchtigen Bekanntschaft passiert, die Quote ist verschwindend gering.
Ist Dr. Sommer da immer noch ein wichtiger Ansprechpartner?
Ann-Kathrin Kahle: Ja, der wird immer noch viel gelesen, aber heute in jüngerem Alter.
Gibt es da geschlechtsspezifische Unterschiede?
Ann-Kathrin Kahle: Kaum. Wir bieten den Schülern an, alle Fragen an das andere Geschlecht zu stellen, die ihnen auf dem Herzen liegen. Da stellt sich immer wieder heraus, dass sich die Jugendlichen vor allem einen verlässlichen Rahmen und eine stabile Beziehung wünschen. Und es gibt praktisch keine Unterschiede.
Können Sie denn Unterschiede nach der Herkunft feststellen? Verhalten sich Jugendliche aus prekären Verhältnissen anders als Jugendliche aus gut situierten Familien?
Michael Hummert: Auch diese Unterschiede sind ziemlich gering. In Detailfragen denken sie manchmal anders. Unterschiede ergeben sich eher daraus, ob ich zu Hause ein gutes Beispiel in meinen Eltern habe. Also auch die Frage: Kann ich es mir leisten, meine Identität nicht über die Sexualität zu definieren?
Ann-Kathrin Kahle: Das Beziehungssystem liefert den Jugendlichen ganz viele Vorbilder. Das geht aber quer durch alle Schichten. Auch Kinder aus gut situierten Elternhäusern liegen manchmal emotional auf dem Trockenen.
Michael Hummert: Deswegen legen wir großen Wert auf die begleitenden Elternabende. Klar ist natürlich, dass sie fürs Großwerden ihre Eltern und Freunde viel mehr brauchen als uns.
Haben Sie trotzdem spezielle Konzepte für Jugendliche aus prekären Verhältnissen?
Michael Hummert: Nein, nur unterschiedliche Methoden für Schüler mit Förderbedarf oder für Jugendliche aus Migrationsfamilien mit mangelnden Sprachkenntnissen. Eher müssen wir andere Ansätze wählen, wenn in der Klasse derjenige fehlt, der normalerweise mit seiner Frage vorprescht und damit das Eis bricht.
Ann-Kathrin Kahle: Oder wenn die Mädchen sich gegenseitig zurückhalten und nichts sagen wollen. In der Regel gelingt es aber doch, sie hervorzulocken.
Michael Hummert: Weil der Druck eigentlich groß ist, sie neugierig sind und natürlich viele Fragen haben.
Aus diesen Fragen erfahren Sie sicherlich auch, was sich Jugendliche heute wünschen?
Michael Hummert: Wir stellen dann immer wieder fest, dass sie schon richtig auf ihren Partner schauen, für sie klar ist, dass beide wollen müssen und dass es beiden Spaß machen muss. Gelingt zwar nicht immer, aber die Bilder, die sie im Kopf haben, stimmen schon. Selbst wenn ihnen klar ist, dass das Leben an sich nicht geradlinig verläuft, dann soll es aber in der Sexualität trotzdem so sein. Das ist zumindest ein gutes Ziel, das sie nicht aus den Augen verlieren sollten.
Und die Eltern? Wie schaffen sie den Spagat zwischen den unterschiedlichen Vorstellungen streng kirchlich gebundener, muslimischer und kirchlich ungebundener Familien?
Ann-Kathrin Kahle: Streng kirchlich gebundene Elternhäuser gibt es nicht mehr so viele. Manchmal zeigt es sich, wenn die Schüler, vor allem Mädchen, mit dem Sex bis zur Ehe warten wollen. Wir versuchen dann, mit der ganzen Klasse ins Gespräch zu kommen, was die Vorteile dieser Haltung sein könnten. Dazu fällt den Schülern immer viel ein und wir haben schnell das Einmaleins der katholischen Sexualmoral zusammen. Was die Muslime angeht, ist das abhängig davon, wie religiös gebunden das Elternhaus ist.
Michael Hummert: Es geht darum, Verständnis füreinander zu wecken und dafür zu werben, Verschiedenheit auszuhalten.
Wir haben "das erste Mal" angesprochen und dabei wird es nicht bleiben. Können Sie über Verhütung aufklären und wie machen Sie das?
Michael Hummert: Wir sprechen dieses Thema nicht immer an. Nur wenn die Schüler Fragen dazu haben. Und wenn, geht es nicht darum, Pharmawerbung zu machen.
Ann-Kathrin Kahle: Wir haben die gängigen Verhütungsmittel zu Demonstrationszwecken dabei, aber auch viele Symbole, mit denen wir die verschiedenen Dimensionen des Sexuellen deutlich machen und dass es den ganzen Menschen betrifft.
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