Der Motor der dualen Ausbildung stottert
Der jährliche Berufsbildungsbericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung 2013 entwirft ein durchaus positives Bild der Ausbildungsmarktsituation in Deutschland. Die wichtigsten Zahlen sind: 551.272 Ausbildungsverträge1 wurden zum Stand vom 30. September 2012 neu abgeschlossen. Die Bundesagentur für Arbeit registrierte im Jahr 2012 auch mehr unbesetzte Ausbildungsstellen als Bewerber(innen) - gute Zeiten also für Schulabgänger(innen) auf der Suche nach Ausbildungsstellen?
Wohl kaum. Die Zahl der abgeschlossenen ungeförderten Ausbildungsverträge ist aber rückläufig, mit einem Minus im Vergleich zum Vorjahr von 2,5 Prozent. Das sind etwa 18.000 Ausbildungsverhältnisse weniger als im Jahr 2011 und ein schon historisch zu nennender Tiefstand.2 Die Quote der ausbildenden Betriebe ist zudem mit 21,7 Prozent so niedrig wie nie zuvor.3 Irritierend ist, dass trotz der überaus günstigen Konjunktur und des zu erwartenden Fachkräftemangels der Motor des dualen Ausbildungssystems offensichtlich stottert.
Die Lage der Bewerber(innen) insgesamt hat sich keinesfalls verbessert: Die Zahl an Ausbildungsplatzsuchenden, die weder eine Lehrstelle bekommen haben noch in eine Alternative (wie beispielsweise eine berufsvorbereitende Maßnahme oder ein Praktikum) einmündeten, hat um 4325 (plus 38,2 Prozent) zugenommen.4 Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage im Hinblick auf betriebliche Ausbildungsplätze entwickelt sich keinesfalls günstig. Auch in Bezug auf jene Jugendlichen, die zwar eine Alternative im Übergangssystem zur Ausbildung gefunden haben, gleichwohl aber weiter einen betrieblichen Ausbildungsplatz wünschen, stellt der Berufsbildungsbericht eine Verschlechterung fest.
Als Ursache für diese Problematik werden sogenannte Passungsprobleme zwischen betrieblichen Anforderungen und Fähigkeiten der Jugendlichen genannt. Die hohen Quoten vorzeitig gelöster Ausbildungsverhältnisse mit branchenbezogenen Spitzen von bis zu 50 Prozent der Verträge wie im Hotel- und Gaststättengewerbe (Durchschnitt über alle Branchen hinweg 24,4 Prozent) zeigen auf: Der Markt des dualen Ausbildungssystems versorgt sich mit den besten der ausbildungswilligen Jugendlichen und sorgt hier zweifellos für eine fachlich hervorragende Ausbildung. Für Bewerber(innen) aus bildungsfernen Schichten hingegen oder für Jugendliche, die aus anderen Gründen benachteiligt sind, scheint dieses System der Berufsausbildung ungeeignet zu sein: Denn der Markt nimmt diese jungen Menschen weder auf noch führt er sie erfolgreich zu einem Berufsabschluss. Der Schwarze Peter liegt in der öffentlichen Argumentation bei den Jugendlichen selbst - wo sonst?
Chancen auch für weniger privilegierte Jugendliche
Hier kommt das sogenannte Übergangssystem ins Spiel. Dieses System soll weniger privilegierte Jugendliche auffangen und Chancen für sie schaffen. Das Übergangssystem umfasst Bildungsgänge in beruflichen Schulen, die keinen berufsqualifizierenden Abschluss anbieten. Jedoch vermitteln diese Bildungsgänge durchaus berufliche Grundqualifizierungen, die zum Teil auf künftige Ausbildungen angerechnet werden. Weiter werden dem Übergangssystem Angebote der Bundesagentur für Arbeit zugerechnet, darunter fallen Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen (BvB) nach dem Sozialgesetzbuch III sowie die Einstiegsqualifizierung (EQ).
In Baden-Württemberg liegen Zahlen aus dem Jahr 2012 in der engen Definition des Übergangssystems vor. Danach befanden sich 32.285 Jugendliche in beruflichen Schulen und 5503 junge Menschen in außerschulischen Einrichtungen und damit im Übergangssystem.
Gesicherte Zahlen darüber, wie viele junge Menschen aus dem schulischen Übergangssystem heraus in eine Ausbildung treten, fehlen. Sicher leistet die mangelnde Transparenz einen Beitrag zum eher mäßigen Ruf dieses Übergangssystems, das mit dem Begriff der "Warteschleife" noch vornehm umrissen ist.
Der schlechte Ruf ist aber nur zum Teil gerechtfertigt. Nach eigenen Schätzungen, denen Informationen aus der Jugendberufshilfe des Caritasverbandes Freiburg zugrunde liegen, dürften tatsächlich etwa nur 20 bis 30 Prozent der Schüler(innen) aus Berufseinstiegsjahr und Vorbereitungsjahr Arbeit und Beruf (VAB) mit dem Ende der Berufsschulpflicht einen Ausbildungsplatz erhalten haben. Dieser schlechte Wert bezieht sich damit vor allem auf die schulischen Maßnahmen ohne berufsbildenden Charakter. Im Gegensatz dazu liest sich die Eingliederungsbilanz außerschulischer Berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen deutlich erfolgreicher. Je nach Standort und Träger nehmen zwischen 50 und 80 Prozent aller Teilnehmenden anschließend eine Ausbildung auf. Dies ist umso bedeutsamer, folgt doch der Besuch in von der Arbeitsagentur finanzierten BvBs direkt dem angeblich erfolglosen Besuch des schulischen Übergangssystems.
Freie Träger setzen auf individuelle Förderung
Die freien Träger, also insbesondere auch katholische Wohlfahrtsverbände, arbeiten in ihren berufsvorbereitenden Angeboten nach fachlichen Konzepten, die Garant für eine erfolgreiche Suche nach Ausbildungsbetrieben sind. Drei Elemente sind besonders wirksam:
- Zum einen ist dies der individuelle Förderansatz. Aufbauend auf den Erkenntnissen einer gründlichen Eignungsanalyse, in denen insbesondere berufsbezogene Talente, Ressourcen und Interessen ermittelt werden, entsteht in Zusammenarbeit und mit Zustimmung der Teilnehmer(innen) ein personenbezogener Eingliederungsplan. Dieser Plan umfasst sowohl den schulischen Förderbedarf und den fachlichen berufsbezogenen Qualifizierungsbedarf als auch die Vermittlung berufsbezogener Kenntnisse in der Praxis. Die berufspraktische Ausrichtung wirkt in hohem Maß motivierend für die Teilnehmer(innen), weil sie den unmittelbaren Nutzen für eine künftige Ausbildung erfahren und ihre Chancen im Wettbewerb um Ausbildungsplätze steigen.
- Ein zweites Erfolgsmerkmal ist die Funktion des Bildungsbegleiters in der BvB. Im Sinne eines Fallmanagers lenkt er den Prozess, der zur Aufnahme einer Ausbildung führen soll. Er steuert die Förderangebote und sorgt dafür, dass diese mit dem Kompetenzzuwachs der Teilnehmenden zunehmend betriebsnäher werden. Betriebliche Praktika, die eingebettet in die Struktur der BvB sowohl in ihrer inhaltlichen Ausrichtung als auch im Zeitumfang auf den einzelnen Teilnehmer abgestimmt sind, fördern den Übergang in sozialversicherungspflichtige Ausbildung. Die erwähnte fehlende Passung wird durch die Anbahnung der Ausbildung unter sorgfältiger Auswahl und Vorbereitung von Betrieb und Teilnehmer(in) minimiert.
Für die Diskussion um eine Reform des Übergangssystems spielen diese fachlichen Faktoren eine zentrale Rolle. - Drittens ist es wichtig, betriebliche Ausbilder bei der Anbahnung von Ausbildungsverhältnissen zu beraten: Bildungsferne junge Menschen zeigen im beruflichen Alltag Verhaltensmuster, denen ohne pädagogischen Hintergrund und mit einer Sensibilität für deren Belange zu begegnen äußerst problematisch ist. Dies kann in der Folge ein Grund dafür sein, dass das Ausbildungsverhältnis vorzeitig beendet wird.
Die insgesamt unbefriedigende Situation am Übergang von Schule in den Ausbildungsmarkt provoziert Reformdiskussionen. Am 4. November 2013 wurde ein Papier des "Bündnisses zur Stärkung der beruflichen Ausbildung und des Fachkräftenachwuchses in Baden-Württemberg 2010 - 2014" verabschiedet.5 Neben den relevanten Ministerien des Landes zählen die landesweiten Spitzenverbände aus Industrie- und Handel sowie aus dem Handwerk und Spitzenverbände der Arbeitsgeberseite sowie der Gewerkschaften zu den Bündnispartnern - zugespitzt formuliert mithin jene Institutionen, die die strukturelle Jugendarbeitslosigkeit seit Beginn der 1980er Jahre keineswegs entscheidend in den Griff bekommen haben.
Kommunen sind skeptisch
Die Wohlfahrtsverbände und freien Träger hingegen, die in diesem Übergang zielführende fachliche Standards schaffen und einen erheblichen Beitrag zur beruflichen Integration junger Menschen leisten, waren nicht beteiligt. Diesem Papier zufolge soll das Übergangssystem in dualer Form an den beruflichen Schulen gestärkt werden. Duale Qualifizierung (BQ dual) und duale Ausbildungsvorbereitung (AV dual) sollen bisherige Formen der Berufsvorbereitung ersetzen. Vorbehalte diesem Reformansatz gegenüber haben die Kommunen selbst, die als Schulträger die Umsetzung verantworten sollen. Aus den ursprünglich fünf angedachten Modellstandorten sind zwei übrig geblieben. Zu befürchten ist, dass erfolgreiche und für die Anbahnung einer Ausbildung zielführende fachliche Elemente aus der außerschulischen Berufsvorbereitung auf der Strecke bleiben werden: Gemeint ist die individuelle Förderung mit angepassten Qualifizierungsangeboten, mit Bildungsbegleitung und Coaching der betrieblichen Ausbilder. Stattdessen werden die Schüler(innen) eine weitere schulische Sequenz durchlaufen, begleitet zwar von betrieblichen Anteilen, jedoch in einem angebotsorientierten und von starren zeitlichen Abläufen geprägten System mit Lehrer(inne)n und betrieblichen
Ausbilder(inne)n, die auf Verhaltensweisen dieser Jugendlichen nicht vorbereitet sind.
Die Alternative? Fachlich die beste Lösung wäre eine Ausbildungsgarantie für alle Bewerber(innen) - ob dual betrieblich oder dual außerbetrieblich. Sämtliche erfolgreichen Hilfesysteme und sozialpädagogische Unterstützung zur Sicherung des Ausbildungserfolgs sind unmittelbar an die Ausbildung gebunden und integraler Bestandteil. - Illusorisch? In jedem Fall, denn es müsste die zeitliche und örtliche Einheit der dualen Ausbildung flexibilisiert und die jetzt verteilten öffentlichen Mittel müssten konzentriert werden. Dazu fehlt in jedem Fall der politische Wille.
Anmerkungen
1. Bundesministerium für Bildung und Forschung: Berufsbildungsbericht 2013, S. 7.
2. Ebd.
3. Vgl. Arbeitspapier der Landesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit: Eichhorn, Doris; Abendschein, Dieter; Schmitt, Bernd; Stanger, Barbara: Duales Ausbildungssystem verliert an Integrationskraft. Reichenau: 4. Juni, 2014.
4. Bundesministerium für Bildung und Forschung: Berufsbildungsbericht 2013, S. 8.
5. Gemeinsames Papier des "Bündnisses zur Stärkung der beruflichen Ausbildung und des Fachkräftenachwuchses in Baden-Württemberg 2010 - 2014" vom 4. November 2013.
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