Wissenschaftliche Bewertung: HOT bekommt gute Noten
Warum schwören manche Menschen auf homöopathische Wässerchen, in denen sich keine Inhaltsstoffe nachweisen lassen? Und welche Therapie ist bei Brustkrebs am wirksamsten? Die "evidenzbasierte Medizin" soll eine Antwort auf diese und vergleichbare Fragen geben. Die Forschung stützt sich auf randomisierte Doppelblindstudien und scheint dadurch in der glücklichen Lage zu sein, unstrittige Wirksamkeitsnachweise zu liefern.
Eine "evidenzbasierte" Soziale Arbeit gibt es dagegen nicht. Naturgemäß lassen sich für soziale Hilfen keine "Laborbedingungen" herstellen. Außerdem sind intersubjektiv nachvollziehbare Nachweise für die Wirksamkeit Sozialer Arbeit lange Zeit kein Thema gewesen.
Das hat sich verändert. Öffentliche oder private Geldgeber fordern mittlerweile fast obligatorisch einen wissenschaftlichen Nachweis dessen, was mit ihren Mitteln zunächst modellhaft erprobt wird. Bedauerlicherweise führt dieser Beleg in der Regel nicht zur Regelfinanzierung von "Good-Practice-Beispielen" und stellt damit eigentlich den Sinn solcher Forschung infrage.
Kostenträger fordern Ergebnisse
Effektive Lösungen zu finden, wie beispielsweise Familien in schwierigen Lebenssituationen entlastet oder die Teilhabechancen von Kindern verbessert werden können - diesen Herausforderungen kann man sich mit den Methoden der Sozialforschung systematisch nähern. Damit werden wissenschaftliche Evaluationen zu einem wichtigen Instrument der Qualitätsentwicklung und -sicherung in der Caritasarbeit. Nicht zuletzt liefern sie Argumente gegenüber Kostenträgern und politischen Akteuren.
Ein Beispiel dafür ist die Evaluation des Haushaltsorganisationstrainings (HOT)1, die im Sommer 2012 abgeschlossen wurde. Das aufsuchende Training für Familien mit Kindern vermittelt Kompetenzen der Haushaltsführung, Kinderversorgung und Alltagsstruktur. Es wird von vielen Fachdiensten der Familienpflege angeboten und zunehmend auch als Frühe Hilfe erfolgreich eingesetzt. HOT wurde im Rahmen eines Modellprojektes (2000-2003) entwickelt. Gut zehn Jahre später, vor dem Hintergrund zahlreicher Veränderungen der Gesetzeslandschaft (insbesondere im Kinderschutz) und der verbandlichen Weiterentwicklungen von HOT, beauftragte der Deutsche Caritasverband (DCV) erneut ein wissenschaftliches Forschungsinstitut2 mit der Durchführung einer Evaluation. Am Projekt beteiligten sich elf Standorte aus drei Bundesländern und vier Diözesen.3
Das vorrangige Forschungsinteresse richtete sich auf die Problemlagen von Familien, die an einem HOT teilnehmen, und auf die Effekte, die HOT in diesen Familien erzielt, besonders im Hinblick auf die Haushaltsführung und die Kinderversorgung. Außerdem sollte die Evaluation strukturelle Faktoren identifizieren, die den Erfolg fördern oder behindern, das Zusammenwirken von HOT und anderen Formen der Kinder- und Jugendhilfe beleuchten und die Perspektive der Kostenträger erfragen. Das Institut setzte offene Face-to-Face-Interviews, Fragebögen sowie ein Gruppeninterview ein. Befragt wurden die Familien, die im Forschungszeitraum ein Training absolvierten, die Trainerinnen sowie die Mitarbeiter(innen) von Jugendämtern, die über die Hilfegewährung entscheiden und am Hilfeplanverfahren beteiligt sind.
Der Zugang zur Zielgruppe - eine Herausforderung
Naturgemäß ist es nicht ganz einfach, Familien dafür zu gewinnen, ihre persönlichen Probleme offenzulegen. Die Zielgruppe des HOT kämpft zudem mit der Haushaltsorganisation. Gerade für diese Eltern stellte die Beantwortung und Versendung von Fragebögen eine große praktische Herausforderung dar - selbst wenn sie zur Mitwirkung bereit sind. Persönliche Interviews erwiesen sich in diesen Familien häufig als der bessere Weg der Datenerhebung. Über ihre Lebenssituation haben fast ausschließlich Mütter Auskunft gegeben.
Das "Leitmotiv" der Familien, ein Haushaltsorganisationstraining zu beginnen, ist erwartungsgemäß ein chaotischer Haushalt und eine fehlende Tagesstruktur. Am häufigsten kämpfen die Befragten damit, im Haushalt regelmäßig zu putzen, Ordnung zu halten und die Post zu bearbeiten (das verweist auf Schwierigkeiten mit Behörden und ihrem Antragswesen, wirft aber auch ein Licht auf den Umgang mit den Fragebögen).
Abgesehen von diesen Alltagsproblemen empfinden 95 Prozent der Befragten ihre Lebenssituation zu Beginn von HOT insgesamt als "belastend" (66,7 Prozent) oder "eher belastend" (28,6 Prozent). Zwei Drittel der Befragten haben Schulden. Etwa die Hälfte kommt mit dem Geld eher nicht aus. Fast die Hälfte der befragten Mütter ist alleinerziehend. Ihre Erwerbschancen sind deutlich eingeschränkt, da die Kinder meist unter sechs Jahre alt sind und etwa ein Drittel der Mütter keine abgeschlossene Berufsausbildung hat.
Gleichauf mit den finanziellen Problemen steht die schlechte psychische und gesundheitliche Situation. Erst darauf folgen Erziehungs- und Partnerschaftsprobleme. Diese Ergebnisse decken sich mit anderen empirischen Untersuchungen über die Lebenslagen von Familien im SGB-II-Bezug4, wonach finanzielle und gesundheitliche Probleme unter diesen Familien am häufigsten vertreten sind. Für die Mütter ist die Erkenntnis besonders schmerzhaft, wie sich ihre Belastungen auf ihre Kinder auswirken. Und so ist etwa die Hälfte von ihnen mit der Lebenssituation ihrer Kinder unzufrieden. Sie beklagen, "keine geregelten Strukturen" zu haben, "keine schöne Umgebung zum Aufwachsen", "so viel Streit, schwierige Gemeinsamkeit, finanzielle Einschränkungen" und wünschen sich "mehr Zeit für die Kinder".
Nutzerinnen von HOT sind zufrieden
Die Evaluation arbeitete heraus, wie entlastend sich geregelte Haushalts- und Alltagsstrukturen auf das gesamte Familienleben, auf die Beziehung der Familienmitglieder zueinander auswirken und wie Eltern und Kinder ihr Haus wieder Besuchern öffnen und soziale Kontakte pflegen können. Besonders eindrücklich schildern die Mütter die Verbesserung der Lebenssituation der Kinder:
- "Sie haben endlich geregelte Verhältnisse."
- "Sie gewöhnten sich an einen strukturierten Tagesablauf."
- "Sie halten Ordnung und haben Disziplin."
- "Sie sind gelassener und ruhiger."
- "Sie haben eine gelassenere Mama."
- "Sie übernehmen selbstständig ihre Aufgaben im Haushalt."
So sind 96 Prozent der befragten Familien mit dem Ergebnis von HOT "sehr zufrieden" oder "zufrieden". Ein Teil dieser Zufriedenheit speist sich aus der Wertschätzung der Trainerin und ihrer Arbeit - fachlich, persönlich und im Hinblick auf ihre praktische Unterstützung. Die gesamte Familie profitiert vom Zuwachs an Haushaltsführungskompetenzen. Dies zeigt sich vor allem daran, dass sie mit dem verfügbaren Einkommen besser wirtschaften kann. Weiterhin gelingt es besser, "im Haushalt Ordnung zu halten", "die Wohnung zu putzen", "die Post zu bearbeiten", "Termine pünktlich einzuhalten" und "einen festen Tagesablauf für die Kinder einzuhalten".
Worin unterscheidet sich HOT von anderen Hilfen?
Sowohl in den Aussagen der Familien - die häufig bereits Erfahrungen mit anderen Hilfeformen gemacht haben - als auch in den Bewertungen der Jugendamtsmitarbeiter(innen) werden die Spezifika von HOT deutlich. Die befragten Jugendamtsmitarbeiter(innen) schätzen den alltagspraktischen Ansatz des Trainings, ebenso wie die spezifische Fachlichkeit der Familienpflegerinnen mit der Kombination aus Hauswirtschaft, Pflege und Erziehung. Das Haushaltsthema öffnet den Weg zu Eltern, die pädagogische Interventionen eher zurückweisen würden. Hier gibt es Parallelen zur Rolle der Familienhebamme, die junge Mütter über das Thema Säuglingspflege erreicht - und damit ebenfalls eine "Brücke" zu anderen Hilfen bauen kann.
HOT ist in den Augen der Jugendamtsmitarbeiter(innen) eine wichtige Ergänzung zu bestehenden Hilfeformen. Es bietet den Vorteil, schnelle und klar erkennbare Ergebnisse zu erzielen, ohne zur Dauerhilfe zu werden. Der zentrale Verdienst eines erfolgreichen Einsatzes ist die zeitnahe Verbesserung der Lebensumstände der Kinder. "Man kann es ganz einfach messen, indem man sich die Familie vorher und nachher anguckt" (Interview HOT Evaluation, ISS).
Es gibt noch einiges zu tun!
Die Evaluationsergebnisse sind in vieler Hinsicht ermutigend und untermauern die Erfahrungen aus der Praxis. Zum Beispiel, dass der Mitwirkungswille der Familie eine zentrale Voraussetzung für einen erfolgreichen Hilfeverlauf darstellt und dass HOT als Auflage des Jugendamtes schwieriger umzusetzen ist, dass das "matching" zwischen Mutter und Trainerin für den Erfolg eine wichtige Rolle spielen kann, dass Struktur im Alltag und Ordnung der Wohnung kein Selbstzweck sind, sondern sich entlastend auf die gesamte Familiensituation auswirken und Potenziale für weitere Veränderungen eröffnen. Nicht zuletzt stärkt die fachliche Wertschätzung die Trainerinnen. Das ist für die Fachdienste Familienpflege und Dorfhilfe nicht ganz unwichtig, die mit ihrem Leistungsangebot Haushaltshilfen im Krankheitsfall fachlich dauerhaft unterschätzt (und auch deswegen: unterfinanziert) sind.
Diese affirmative Wirkung der Forschungsergebnisse bildet aber nur einen Teil des Forschungsertrages. In der nächsten Zeit wird es darum gehen, die Ergebnisse innerverbandlich mit den Diözesanvertreter(inne)n und den Trägern von HOT zu diskutieren und auszuwerten. Dabei wird es zwei Zielrichtungen geben: Die Ebene der Kommunikation nach außen in Richtung der politischen Akteure auf kommunaler Ebene, Landes- und Bundesebene sowie die Kommunikation und die Qualitätsentwicklung nach innen in den Verband und die Träger von HOT. Leitende Fragestellungen dabei sind: Welche Entwicklungsaufgaben ergeben sich aus der Evaluation beispielsweise für die zertifizierten Fortbildungen der Fachkräfte und für die Erweiterung der Qualitätsstandards? Wie können wir erreichen, dass Familien in schwierigen Lebenssituationen ein solches Angebot erhalten, bevor sich Problemlagen verfestigen? Und schließlich: Gibt es Hinweise, wonach die Zusammenarbeit zwischen den Trägern von HOT und anderen familienunterstützenden Hilfen noch entwicklungsfähig ist? Insofern erweist sich die Evaluation für den DCV als wichtiges Instrument für die eigene Qualitätsentwicklung und die politische Arbeit. Die Evaluation von HOT wird auf dem Caritaskongress im April 2013 im Rahmen eines Workshops vorgestellt.5
Anmerkungen
1. Markeninhaber von HOT ist der DCV.
2. Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik ISS in Frankfurt. www.iss-ffm.de
3. Die Evaluationsergebnisse wurden am 25. September 2012 in Köln der Fachöffentlichkeit präsentiert. Die Kurzfassung der Evaluation ist unter: www.haushaltsorganisationstraining.de zu finden. Der ausführliche Forschungsbericht kann beim ISS bezogen werden.
4. Gesellschaft für Organisation und Entscheidung: Wirksame Wege für Familien mit geringem Einkommen im Braunschweiger Land gestalten. Braunschweig, 2011. www.goe-bielefeld.de/projekte.html
5. Mehr Information zu HOT unter: www.haushaltsorganisationstraining.de