Am Ball bleiben
Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres haben insgesamt 19.500 Frauen im Zusammenhang mit Erkrankungen, psychosozialer Belastung und Überforderung das Beratungsangebot der Caritas genutzt. 8100 Mütter und ihre Kinder konnten in diesem Zeitraum von der speziellen Vorsorge und Rehabilitation der Müttergenesung, beraten und vermittelt durch Caritas-Stellen, profitieren.
Umgangssprachlich hat sich der Begriff der Kur gehalten. Allerdings unterscheiden sich die Erwartungen nicht nur der Kostenträger und verordnenden Mediziner(innen) an eine stationäre Maßnahme zwischenzeitlich erheblich von den eher passiven Therapieanwendungen anno dazumal. Auch Mütter und Väter haben - neben dem verständlichen Anliegen nach Abstand und Auftanken - komplexe Zielsetzungen und den Wunsch nach einer umfassenden Veränderung, wenn sie eine Mütter-, Mutter-Kind- oder Vater-Kind-Reha beantragen. Nicht nur eigene gesundheitliche Störungen und Erkrankungen (wie typischerweise Überlastungs- und Erschöpfungszustände, psychosomatische Störungen, Erkrankungen des Bewegungsapparates oder Ernährungsstörungen) sollen behandelt werden. Auch Einschränkungen in den alltäglichen Aktivitäten oder die gesundheitliche Situation der Kinder sollen sich verbessern. Vor allem aber erhoffen sich Mütter und Väter Unterstützung durch psychologische Beratung und Betreuung, Erziehungs- und Lebensberatung, Hilfe und Problemlösung auch für die Kinder, Stressbewältigung und das Erlernen von Entspannungsmöglichkeiten.1
Diese Erwartungshaltung und Zielvorstellungen machen deutlich, dass sich Mütter und auch Väter während der Reha intensiv mit ihren rollen- und alltagsspezifischen Belastungen und Risikofaktoren auseinandersetzen möchten. Als psychosoziale Belastungen werden vor allem Zeitdruck und das ständige "Dasein" für die Familie genannt; außerdem Erziehungs-, Partnerschafts- und finanzielle Probleme.2 Eltern erziehen, bilden und versorgen ihre Kinder. Oft kommt auch die Pflege eines älteren Menschen dazu. Diese Anforderungen stellen sich jeden Tag aufs Neue.
Der Anteil der Mütter, die neben körperlichen Erkrankungen wie orthopädischen Beschwerden, Herz-Kreislauf-Störungen oder Atemwegserkrankungen, mit Erschöpfungssyndrom bis hin zum Burnout, mit Schlafstörungen oder akuten Belastungsreaktionen in die Müttergenesungskliniken kommen, hat sich nach Erhebungen des Müttergenesungswerkes in den letzten Jahren um mehr als 30 Prozent erhöht. Markant ist ein überproportionaler und stetig steigender Anteil von Alleinerziehenden mit 34,4 Prozent.3
Müttergenesung bietet breites therapeutisches Konzept
Die Kliniken in der Katholischen Arbeitsgemeinschaft (KAG) für Müttergenesung haben ihre Konzepte der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation für Mütter und Väter stetig weiterentwickelt. Mit einem interdisziplinären Team aus Ärzt(inn)en, Psycholog(inn)en, Sozialpädagog(inn)en, Physiotherapeut(inn)en und anderen Fachkräften wird ein breit angelegtes therapeutisches Konzept umgesetzt. Charakteristikum ist, dass parallel zu der indikationsbezogenen Therapie, die die somatischen und psychosomatischen Störungen im Blick hat, zielgruppenspezifische Behandlungsangebote ansetzen:?Sie richten sich auf eine Reflexion und Unterstützung in Fragen der familiären Rolle und familiären Konflikte.4
Während bei der somatischen und psychosomatischen Rehabilitation in der Regel der Erhalt der Erwerbsfähigkeit im Vordergrund steht, zielen Mütter-/Mutter-Kind- oder Vater-Kind-Kuren auf den Erhalt der Leistungsfähigkeit in Familie und Beruf.
Sie verbessern, wie verschiedenste Studien der letzten Jahre zeigen, die gesundheitliche Verfassung nicht nur kurzfristig, "sondern führen auch mittelfristig zu einer klinisch bedeutsamen Reduzierung der Belastungen und Beschwerden"5.
Entscheidende Einflussfaktoren dafür, ob Mütter und Väter für sich eine deutliche Besserung ihres Gesundheitszustandes registrieren, ist unter anderem "der bei sich selbst wahrgenommene bessere Umgang mit Stress, eine bessere Alltagsorganisation und bessere Zeiteinteilung "6.
Wieder zu Hause den Alltag meistern
Entscheidend ist also, dass sich Einstellungs- und Verhaltensänderungen und auch das gesundheitliche Selbstmanagement im Alltag verfestigen. Darüber hinaus sollten psychosoziale Konfliktlagen nachhaltig weiterbearbeitet werden. Hier kann die Nachsorge eine wichtige Brücke in den Alltag bauen. Diese setzt bereits vor der Entlassung an. Auftrag der Klinikmitarbeiter(innen) ist es, frühzeitig "Alltagsnetzwerke" mit den Patient(inn)en zu besprechen und sie unter anderem zu einer Kontaktaufnahme mit der zuvor beratenden Caritas-Stelle zu motivieren. Bei psychosozialem Beratungs- und Unterstützungsbedarf werden den Patient(inn)en Kontaktdaten von Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen an die Hand gegeben und bedarfsweise Termine zur Nachbetreuung für sie vereinbart: beispielsweise bei der Erziehungsberatung, der Pflegeberatung oder der ambulanten Suchthilfe. Aber auch der Rat, die Schuldnerberatung einzuschalten, ebenso wie Informationen zu fortführenden Ernährungs- oder Sportprogrammen zu Hause gehören zur Nachsorge. Neben den Empfehlungen im Abschlussbericht an den behandelnden Arzt soll so vor allem die Eigeninitiative der Patient(inn)en weiter gestärkt werden.
Sofern eine Mutter oder ein Vater schon im Vorfeld der stationären Maßnahme von einer Mitarbeiter(in) der Müttergenesung beraten wurde, sollte das Angebot eines erneuten Gesprächs obligatorisch sein. Hier können die Ziele und Erfahrungen sowie weiterführende Schritte für Eltern oder Kinder analysiert und besprochen werden.
In vielen Regionen gibt es ein erweitertes Angebot mit offenen Treffs, Gruppenangeboten, Seminaren oder eigenen Kursen zur Gesundheitsförderung. Auch Kliniken bieten Wochenendseminare für ehemalige Patient(inn)en. Im Rahmen eines Arbeitsprojektes in der KAG Müttergenesung wurden präventive Programme vor allem zu den Themen Entspannung und Bewegung entwickelt. Außerdem können sich Interessierte in der bundesweiten Online-Datenbank der KAG Müttergenesung zu Nachsorgeangeboten im Bereich der Caritas informieren (www.kag-muettergenesung.de).
Nachsorge-Angebote müssen sich ausweiten
Die Mütter-/Mutter-Kind- beziehungsweise Vater-Kind-Maßnahmen nach §§ 24, 41 SGB V stellen eine zielgruppenspezifische Form der stationären medizinischen Vorsorge beziehungsweise Rehabilitation im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung dar. Zielgruppe sind Mütter und Väter in aktueller Erziehungsverantwortung. Im Gegensatz beispielsweise zur Reha der Rentenversicherung sind regelhafte Konzepte und die Förderung einer Nachsorge nach stationärer Vorsorge oder Reha im Rechtsrahmen der Krankenversicherung nicht vorgesehen. Um sich von den eher funktionsorientierten Konzepten der Rentenversicherung zu unterscheiden, müssten die Konzepte zur Nachsorge im Anschluss an Mutter-/Mutter-Kind oder Vater-Kind-Kuren zudem eine starke psychosoziale Komponente beinhalten. Hier besteht sozialrechtlich ein Nachholbedarf. Die Verstetigung von Verhaltensänderungen im Alltag und die Gesundheit von Familien könnte so nachhaltig unterstützt werden.
In der fehlenden Regelförderung liegt begründet, dass die Nachsorge-Angebote heute noch einem Flickenteppich gleichen und nicht alle interessierten Familien von einem solchen Angebot profitieren können. Gleichwohl leistet die Caritas hier wirksame Familienhilfe und auch eine wichtige Pionierarbeit, die die sozialpolitische Forderung nach einer abgesicherten Nachsorge auch im Recht der Krankenversicherung wirksam stärkt.
Anmerkungen
1. Faßmann, Hendrik u.a.: Bedarfs- und Bestandsanalyse von Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen für Mütter und Väter in Einrichtungen des Deutschen Müttergenesungswerkes (MGW). Abschlussbericht zu einem Forschungsprojekt des BMFSFJ. Institut für empirische Soziologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, 2008. Online unter www.ifes.uni-erlangen.de, "Publikationen", "Heft1/2008", S. 132.
2. Otto, Friederike: Effekte stationärer Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen für Mütter und Kinder: Eine kontrollierte Vergleichsstudie. In: Online-Publikation: Rehabilitation 2012. Online abrufbar unter www.thieme-connect.com
3. Siehe auch MGW Pressemeldung vom 10. Juli 2007; online verfügbar unter www.muettergenesungswerk.de
4. KAG Müttergenesung: Stationäre medizinische Vorsorge und Rehabilitation für Mütter/Mutter-Kind/Vater-Kind. Freiburg, 2012.
5. Otto, Friederike: Effekte stationärer Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen für Mütter und Kinder. A.a.O.
6. HKK: Aspekte der Versorgungsforschung: 2011, Teil 2. Mutter-/Vater-Kind-Kuren: Erfahrungen der HKK Versicherten. 2011, S. 54; online verfügbar www.hkk.de, "Broschüren und mehr", "Forschungsberichte".