Nach der Mitarbeiterbefragung ist vor der Mitarbeiterbefragung
Seit der Fachkräftemangel in deutschen Unternehmen immer deutlicher spürbar wird, nimmt der Wettbewerb um qualifizierte und produktive Mitarbeiter(innen) einen hohen strategischen Stellenwert für Unternehmenslenker ein. In international agierenden Unternehmen sind Mitarbeiterbefragungen (Employee Engagement Reviews) schon seit Jahren ein fest etabliertes Instrument zur Messung der Attraktivität der eigenen Arbeitgebermarke. Die Antwort auf die Frage "Würden Sie unser Unternehmen einem Freund empfehlen?" ist zum kritischen Erfolgsfaktor geworden.
Als Führungskraft in einem Sozialunternehmen ist man vielleicht versucht, dem entgegenzuhalten: "Durch die Prüfungen von Medizinischem Dienst der Krankenkassen (MDK) und Co. sind die Belastungen unserer Mitarbeitenden schon groß genug. Weitere Erhebungen können wir keinem zumuten und außerdem wissen wir ganz gut, wo wir stehen."
Welche Ziele verfolgt eine Mitarbeiterbefragung?
Der Caritasverband für Stuttgart (CVS) hat dennoch im Jahr 2009 seine erste Mitarbeiterbefragung (MAB) durchgeführt. Vom Vorstand initiiert und vom Caritasrat mitgetragen, sollte die MAB in erster Linie folgende Ergebnisse liefern:
1. Aufschluss über die Arbeitssituation der Mitarbeitenden, insbesondere über die gesundheitlichen Belastungen;
2. zielgerichtete Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Mitarbeitenden;
3. Weiterentwicklung der Organisation.
Im Vordergrund stand also nicht nur die Messung der Mitarbeiterzufriedenheit, sondern bewusst auch die Absicht, die MAB als Instrument der Organisationsentwicklung zu nutzen. Schon bei der Grundsatzentscheidung wurde beschlossen, insgesamt drei Mitarbeiterbefragungen im Abstand von jeweils zwei Jahren durchzuführen.
Als externer Partner wurde zunächst die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Baden-Württemberg gewählt. Alle der circa 1200 AVR-Beschäftigten wurden von Vorstand und Mitarbeitervertretung, die von Anfang an eng eingebunden war, persönlich angeschrieben und um Beteiligung gebeten. Die im Januar 2009 verschickten Fragebögen betrafen folgende Themen:
- Arbeitszufriedenheit,
- Arbeitsorganisation,
- Führungsverhalten,
- Beeinträchtigungen von körperlicher und seelischer Gesundheit,
- Identifikation mit dem CVS und seinem Leitbild.
Am Ende der vierwöchigen Beantwortungsfrist lag eine erfreulich hohe Rücklaufquote an auswertbaren Fragebögen von 61,8 Prozent vor. Die Ergebnisse wurden nach Themenblöcken gebündelt.
Die Bewertung der Ergebnisse erfolgte im zweiten Quartal 2009 im Rahmen einer Klausur der Leitungskonferenz. Parallel dazu entwickelten die Bereichsleiter(innen) für ihren Arbeitsbereich jeweils eigene Vorgehensweisen. Zudem wurden die Mitarbeitervertretung und vier Expert(inn)en aus dem Bereich Personal um themenbezogene Analysen gebeten. Zusammen mit der Bewertung des Vorstands wurden diese in einer Sonderausgabe der Mitarbeiterzeitschrift veröffentlicht.
Insgesamt hat die MAB 2009 erstmals ein umfassendes und differenziertes Bild über die Situation der Mitarbeitenden im CVS geliefert. Dies diente als wichtige Orientierung für die Führungsarbeit im Verband. Ebenso wurde eine gute Grundlage geschaffen, um Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Insbesondere wurden dabei die Themen "Feedback an Führungskräfte", "gesundheitliche Belastung" und "Spiritualität im Alltag" als verbesserungswürdig erkannt.
Die erste Befragung zeigte Mängel auf
Im Nachgang zur Befragung hat sich jedoch gezeigt, dass diese die Erwartungen nicht vollständig erfüllt hatte:
- Die Ergebnisse waren zu wenig differenziert, da sie nur bis auf die zweite Hierarchieebene heruntergebrochen wurden. So konnten die operativ tätigen Teams nur bedingt Maßnahmen ableiten.
- Wegen der Orientierung "von oben nach unten (top-down) war die Identifikation der Mitarbeiter mit den Maßnahmen zu niedrig.
- Es fehlte eine klare Zuständigkeit für die Nachbearbeitung (Follow-up-Prozess).
- Es lagen keine Instrumente für ein einheitliches Maßnahmencontrolling vor.
Für die zweite MAB im Jahr 2011 wurden deshalb erhebliche Veränderungen vorgenommen. Zunächst wurde eine klare Projektstruktur mit Lenkungsgruppe, Projektgruppe und Projektleitung vorgegeben. Bei der Besetzung der Lenkungsgruppe wurde darauf geachtet, die Interessen von Vorstand, Bereichsleitungen und Mitarbeitervertretung zu verbinden. Es wurde der Grundsatz entwickelt, die neue MAB so weit wie möglich "von unten nach oben" (bottom-up) zu organisieren und sicherzustellen, dass die Befragungsergebnisse später verantwortlichen Personen zugeordnet werden. Jede Führungskraft auf jeder Hierarchiestufe sollte ihren eigenen Bericht erhalten. Dazu war es erforderlich, für den gesamten Verband erstmals eine eindeutige Personalstruktur (Headcount-Struktur) aufzubauen. Jede nach AVR beschäftigte Person wurde genau einer möglichst kleinen Organisationseinheit und einem/einer Vorgesetzten zugeordnet. Zur Wahrung der Anonymität wurden Einheiten mit weniger als fünf auswertbaren Fragebögen später nicht gesondert, sondern nur als Teil der nächsthöheren Einheit ausgewertet.
Als weitere wesentliche Änderung wurde die externe Begleitung gewechselt. Diese übernahm Karsten Müller, Professor am Institut für Wirtschaftspsychologie an der Universität Mannheim. Er konnte auf Erfahrungen in der Planung und Begleitung von Follow-up-Prozessen zurückgreifen. Der Fragebogen wurde optimiert, dennoch wurde die Vergleichbarkeit mit der vorangegangenen Befragung aufrechterhalten. Der neue Fragebogen umfasste 119 Fragen (2009: 121) mit denselben Themenblöcken wie im Jahr 2009.
Führungskräfte werden eingebunden
Den Führungs- und Leitungskräften kam im neuen Konzept eine aktivere Rolle zu. Wesentliches Element dabei war die Durchführung von Workshops, im Rahmen derer sie ihren Mitarbeitenden die Ergebnisse vorstellen sollten, um gemeinsam Verbesserungspotenziale zu identifizieren und Maßnahmen abzuleiten. Zur Vorbereitung auf diese Aufgabe wurde von der Projektgruppe ein Leitfaden für Führungskräfte erarbeitet. Zudem wurden interne Moderator(inn)en geschult, die zu den Workshops unterstützend hinzugezogen werden konnten.
Zur besseren Übersicht war jedem Einzelbericht ein Schaubild vorangestellt, das die Ergebnisse nach Themenfeld im Koordinatensystem von "Zufriedenheit" und "Verbesserungsbedarf" einordnete. Die Einzelfragen waren so formuliert, dass sich die beiden Dimensionen "Zufriedenheit" und "Verbesserungsbedarf" aus den Antworten errechnen ließen. Dadurch wurde eine Priorisierung ermöglicht.
Nachdem sämtliche Berichte im Mai 2011 ihre Adressat(inn)en erreicht hatten, war bis Ende Juli Zeit, die Ergebnisworkshops in den Teams durchzuführen und Maßnahmen zu erarbeiten. Ein webbasiertes Tool wurde zur Verfügung gestellt, mit dessen Hilfe sowohl das Controlling als auch die Bündelung von Maßnahmen möglich wurden.
"Gemeinsam. Verbessern. Verändern"
Die Beteiligung an der zweiten Befragung war mit 60,3 Prozent erneut hoch. Dabei haben sich das neue Konzept und die verbesserte Steuerung bewährt. Wesentlichen Einfluss auf den Erfolg hatte das interne Marketing. Teil des Kommunikationsplanes waren Plakate mit dem Slogan "Gemeinsam. Verbessern. Verändern", ein Gehaltsbeileger, der von Mitarbeitervertretung und Vorstand gemeinsam erstellt wurde, regelmäßige Informationen in der Mitarbeiterzeitschrift sowie E-Mail-Rundschreiben.
Die Veränderungen für die MAB 2011 bestanden im Wesentlichen darin, dass der Schwerpunkt auf den Nachbereitungsprozess gelegt und die Berichtsstruktur beziehungsweise die Entwicklung von Maßnahmen von unten nach oben ausgerichtet wurden. Dadurch erhielten diese bei den Mitarbeiter(inne)n eine höhere Verbindlichkeit. Die MAB wurde als Instrument der Organisationsentwicklung wirksam.
Die Erhöhung des Budgets von 12.000 Euro auf 68.000 Euro hat sich ausgezahlt. Veränderungen zu erreichen, die positiv wahrgenommen werden und sich dann auch noch in einer signifikant besseren Bewertung in der nächsten MAB niederschlagen, ist ein Ziel, das nicht innerhalb eines Jahres erreicht werden kann. Eine leichte Verbesserung der Werte konnte bei der Frage nach "Spiritualität im Alltag" festgestellt werden, einem Ziel aus dem Leitbild des CVS. Hierfür fanden spezielle Themennachmittage und Klausurtage statt. Auch bei der Frage "Ihr(e) direkte(r) Vorgesetzte(r) reflektiert ihr/sein Verhalten?" hat sich der Wert im Schnitt um 0,48 Prozent verbessert, nachdem 2009 Handlungsbedarf erkannt wurde.
Am Ende des Fragebogens konnten die Mitarbeitenden in der MAB 2011 rückmelden, ob ihrer Einschätzung nach die Maßnahmen aus dem Jahr 2009 zu spürbaren Verbesserungen geführt haben. Die Antworten sind hier noch nicht zufriedenstellend. Immer wieder wird allerdings deutlich, dass einzelne Maßnahmen von den Mitarbeitenden positiv bewertet, aber nicht mit der MAB in Zusammenhang gebracht werden. Daher gilt: "Nach der Mitarbeiterbefragung ist vor der Mitarbeiterbefragung." Der Weg geht weiter und immer wieder muss genau hingesehen werden: zunächst bei der "Check-Befragung" im Frühjahr 2012, bei der per Postkarte bei den Mitarbeitenden kurz abgefragt werden soll, ob der Weg stimmt, und dann bei der nächsten MAB im Jahr 2013.