AVR - wohin geht die Reise?
Das Arbeitsrecht der Caritas hat sich in der Vergangenheit stets an den Vereinbarungen des öffentlichen Dienstes orientiert. Abweichungen wurden nur dort vorgenommen, wo sich die Anwender - Dienstnehmer wie Dienstgeber - gemeinsam Vorteile davon versprachen. Durch die Aufhebung des Selbstkostendeckungsprinzips 1993 im Krankenhausbereich und die damit einhergehende Budgetierung war eine Refinanzierung der Tarifsteigerungen nicht mehr möglich. Der Wettbewerb verschärfte sich durch die Übernahme kommunaler Krankenhäuser durch private Klinikkonzerne.
Der TVöD war der Versuch der Tarifpartner, mit einer "Einheitswährung" zum Leitgedanken des BAT zurückzukehren. Heute, fast sieben Jahre nach Vorstellung des TVöD, muss man feststellen, dass dieser Versuch gescheitert ist. Vor allem durch die Krankenhäuser kam das neue System unter Druck. Die Ärzte fühlten sich nicht repräsentiert und die Pflegekräfte in den Krankenhäusern nicht ausreichend differenziert dargestellt. Das Ergebnis war, dass die Ärzte das System verließen, eigene Tarifverträge durch den Marburger Bund schlossen und für die Pflegekräfte in Krankenhäusern Sonderregelungen verabschiedet wurden. Am unteren Ende der Tabelle wurde das System ebenfalls brüchig, weil die öffentlichen Träger im großen Stil Betriebe ausgliederten. Damit war es nicht einmal den unmittelbaren TVöD-Anwendern gelungen, Einheit und Geschlossenheit zu demonstrieren. Eigene Tarife gibt es etwa bei den Rhön-Kliniken oder der Sana AG, beim Deutschen Roten Kreuz gibt es viele individuelle Lösungen und die Diakonie hat einen eigenen Entgelttarif entwickelt. Die vielen privaten Träger der Altenhilfe zahlen vor allem bei den ungelernten oder nicht examinierten Mitarbeitern erheblich niedrigere Vergütungen.
Welche Arbeitsrechtsregelungen braucht die Caritas?
In dieser Situation standen sich in der Caritas zwei Positionen gegenüber. Die einen sagten, wir müssen die Abhängigkeit vom öffentlichen Dienst hinter uns lassen und zu eigenen Arbeitsregelungen in der Caritas finden, die anderen sahen im TVöD nach wie vor die vorherrschende Orientierungsgröße.
Eine reine Orientierung am TVöD greift zu kurz. Es gibt kein geschlossenes System mehr. Neben den Ärzten gibt es weitere Berufsgruppen, die abzuwandern drohen. Der TVöD hat kein Eingruppierungssystem und findet immer weniger Anwender. Die Einrichtungen des öffentlichen Dienstes gliedern große Bereiche aus. Im Osten gibt es so gut wie keine mit der Caritas vergleichbaren Dienstleister, die den TVöD anwenden. Diese Entwicklungen sind ähnlich auch in anderen Regionen zu beobachten. In der Altenhilfe gibt es kaum noch Einrichtungen in öffentlicher Hand. Durch diese Entwicklungen hat der TVöD den Charakter einer Orientierungsgröße verloren. Der TVöD kommt für viele Anwender nicht in Betracht, weil er nicht ihrer Marktsituation entspricht. Die Situation wird sich nicht umkehren, da die Diversifizierung der Anbieter voranschreitet.
Der Caritas muss es gelingen, arbeitsrechtlich vom Reagieren zum Agieren zu gelangen. Sie muss ihre Entscheidungen selbst treffen. Diese sollten nicht losgelöst von äußeren Einflüssen sein, aber mit einem Blick auf die eigenen Bedürfnisse in einem einheitlichen System. Nur so kann sie ihre Identität sichern, den unterschiedlichen Anforderungen begegnen und die wirtschaftlichen Herausforderungen meistern. Eine solche Vorgehensweise ist, obwohl von Kritikern gerne behauptet, keinesfalls eine Aufforderung zu günstigen Löhnen. Durch den Zusammenhalt des Systems wird gerade ein möglichst gutes Lohnniveau angestrebt. Das System kann aber nur bestehen, wenn auch Antworten auf wirtschaftliche Herausforderungen gefunden werden. Die Caritas kann auch auf einen bundesweiten Sozialtarif warten. Doch bis dahin könnten sich die AVR-Anwender in alle Winde verstreut haben. Noch gibt es den Zusammenhalt einer starken Gemeinschaft in der Caritas. Den sollten wir für eine zukunftsorientierte Tarifarbeit nutzen.