Gemeinsam unterwegs Richtung Inklusion
Was genau sind die Aufgaben des Integrationsfachdienstes (IFD)? Wer soll wohin integriert werden? Immer wieder stößt man auf das Verständnis von Bürger(inne)n, dass es sich beim IFD wohl um ein Angebot für Migrant(inn)en handele. Das trifft so aber nicht zu. Das Beratungsangebot bezieht sich auf Menschen mit drohender oder bereits festgestellter Behinderung und hat die Integration ins Arbeitsleben zum Ziel. Da die Klientel des IFD aber faktisch bis zu einem Prozentanteil von 30 Prozent einen Migrationshintergrund aufweist, ist es wichtig, die Arbeit - hier den Arbeitsschwerpunkt "Übergang Schule - Beruf" - unter kulturspezifischen Aspekten zu reflektieren.
Der IFD arbeitet mit den Sonderschulen zusammen
Nach dem Sozialgesetzbuch IX, das die Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung regelt, sind die Integrationsfachdienste dafür zuständig, sich am Prozess der Teilhabe behinderter Schulabgänger(innen) zu beteiligen. Seit dem Jahr 2005 arbeiten Fachberater(innen) des IFD Freiburg institutionell mit allen Sonderschulen zusammen, deren Förderschwerpunkt im Bereich geistiger Entwicklung liegt. Das Konzept hat zum Ziel, die Jugendlichen durch individuelle Förderung auf ein möglichst selbstständiges Leben vorzubereiten. Die Förderung von Berufsreife und Teilhabe am allgemeinen Arbeitsmarkt ist dabei nur ein Thema von vielen.
Die Zahlen zeigen, dass die Gruppe der Schüler(innen) mit Ausländerstatus (nicht Migrationshintergrund, diese Zahlen wären noch höher) in dieser Schulform überproportional vertreten ist. Der Anteil lag laut Statistischem Landesamt Baden-Württemberg für 2010/2011 bei 19,6 Prozent in Sonderschulen (alle Formen) gegenüber zehn Prozent in Regelschulen (www.statistik.baden-wuerttemberg.de, "Bildung, Kultur," "Landesdaten", "Allgemeinbildende Schulen").
Zunächst eine für die Arbeit wesentliche Begriffsklärung: Bei den Schüler(inne)n der Sonderschule, die der IFD in den Abschlussklassen kennenlernt, ist lediglich der sonderpädagogische Förderbedarf abgeklärt. Daraus lässt sich ein vorübergehender oder dauerhafter Schwerbehindertenstatus, wie er in Baden-Württemberg von den Landratsämtern im Sinne eines Nachteilsausgleichs festgestellt wird, nicht ableiten. Der Erfahrung des IFD nach ist insbesondere bei den Schüler(inne)n mit Migrationshintergrund dieser mögliche Status noch nicht geklärt. Unabhängig davon sagt das nichts aus über eine zu erwartende Erwerbsfähigkeit im Sinne des Rentenrechts. Und auch das ist wichtig im Blick auf die Möglichkeiten auf Teilhabe am Arbeitsmarkt.
Nicht nur beim Einzelnen setzt die Arbeit des IFD an, sondern in den familiären, schulischen und strukturellen Systemen. Jetzt gilt es, gemeinsam Brücken zu bauen und Übergänge zu schaffen. Migrantenfamilien sind oft als benachteiligtes System zu verstehen: formal benachteiligt beispielsweise durch Sprach- und Informationsdefizite, die den Zugang zu staatlichen Hilfesystemen erschweren. Informell benachteiligt sind sie, wenn die Vernetzung im sozialen Raum (noch) nicht gut entwickelt ist. Die Unerfahrenheit im Umgang mit staatlichen und kulturellen Hilfssystemen führt dazu, dass sie eher auf eigene Ressourcen, soweit vorhanden, setzen und sich an ihrem kulturspezifischen Wertesystem orientieren.
Speziell in der Auseinandersetzung mit dem Begriff Behinderung erfahren die Mitarbeiter(innen) häufig, dass dieser ihnen in seinen fachlichen Facetten so vertraute Begriff sehr genau kommuniziert werden muss. Den Fachkräften begegnet oft ein schicksalhaftes oder krankheitsbedingtes Verständnis von Beeinträchtigungen. Die Familien sehen die Unterstützung der Betroffenen hier vorrangig in der Verantwortung der Familie verortet. Auch und gerade im Hinblick auf Existenzsicherung und Erwerbsarbeit existiert die selbstverständliche Haltung, dass die Familie als Wirtschaftsgemeinschaft gesehen wird, in der jeder für den anderen einsteht - eine bemerkenswert inklusive Werthaltung im Hinblick auf Gemeinsinn und Solidarität. Diese Haltung ist möglicherweise aber auch dadurch bedingt, dass sich die Familien, wie in vielen Heimatländern üblich, durch selbstständige Tätigkeit absichern mussten. Manchmal wird beim Kennenlernen des familiären Hintergrunds deutlich, dass mehrere Familienmitglieder Unterstützungsbedarf haben, zum Beispiel Elternteile, die durch Traumatisierung beeinträchtigt oder erwerbslos sind.
Praktika helfen beim Eintritt ins Erwerbsleben
Alle Kooperationspartner im Teilhabeprozess - das sind die Schulämter, Arbeitsagenturen, Eingliederungshilfeträger und Integrationsämter - haben sich darauf verständigt, mit dem Instrument der Kompetenzanalyse zu arbeiten, die sämtliche lebenspraktischen und berufsrelevanten Kernkompetenzen erfasst. Anhand der vorhandenen Fähigkeiten werden berufsorientierende Praktika gesucht. Der IFD unterstützt die Schule dabei, die Schüler(innen) im Hinblick auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes einzuschätzen. Er akquiriert Erprobungsfelder und wertet Praktika aus.
Bei den Schüler(inne)n mit Migrationshintergrund fällt auf, dass ihre Fähigkeiten in den einzelnen Bereichen sehr unterschiedlich sind. Mitunter liegt beispielsweise eine relativ hohe kognitive Kompetenz vor, aber es kommt zu Fehlzeiten, weil die Schüler(innen) innerhalb der Familie Aufgaben wahrnehmen, oder die Motivation ist mitbestimmt durch die Lebensentwürfe der Herkunftsfamilie. Es ist deshalb wichtig, das Wertesystem der Familie zu verstehen, dem Gesamtsystem Unterstützung zu erschließen und eine kultursensible berufsorientierte und auf Integration ausgerichtete Hilfeplanung auf den Weg zu bringen.
Eine besondere Bedeutung kommt der Ausweisberatung zu. Der Zugang zu Fördermitteln und -maßnahmen ist in der Regel zwingend an den Status der Schwerbehinderung gebunden. Nun begegnen die Mitarbeiter(innen) des IFD einerseits einer ablehnenden Haltung gegenüber dieser Zuschreibung, die durchaus verständlich ist. Andererseits liegen möglicherweise faktisch Formen der Beeinträchtigung vor, die jenseits des formalen Status Schwerbehinderung angesiedelt sind und deren Nachteilsausgleich (noch) nicht in gesetzlich verankerten Strukturen geregelt ist, zum Beispiel Traumatisierungsfolgen. So bewegt sich die Berufsorientierung von Schüler(inne)n der Sonderschule G mit Migrationshintergrund zwischen Überforderung, Unterforderung und Schnittstellenarbeit, um Struktur- und Wertesysteme kooperativ zu verbinden.
Die UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen zur gleichberechtigten Teilhabe wurde ratifiziert, ebenso wie die Sonderschulpflicht an deutschen Schulen aufgehoben wurde. Die Initiative "Inklusion" der Bundesregierung setzt einen Schwerpunkt im Bereich Berufsorientierung im Übergang von Schule in den Beruf. Es geht nicht nur um die Entwicklung eines differenzierteren Unterstützungssystems. Es geht vielmehr um einen durchgreifenden Paradigmenwechsel.
Die Aufgabe der Integrationsfachberater(innen) besteht darin, für jeden Einzelnen den passenden Weg ins Erwerbsleben zu finden. Ob dabei eine weitere schulische oder berufliche Maßnahme, ein Integrationsprojekt, die Werkstatt für behinderte Menschen oder der allgemeine Arbeitsmarkt ein guter erster Schritt ist, gilt es mit allen Beteiligten zu klären. Wir wollen das Motto des baden-württembergischen IDF "Gemeinsam Wege finden" ernst nehmen und dem Ziel Inklusion ein Stück näherkommen.