Der Streit um das kirchliche Arbeitsrecht ist politisch
Die Debatte um die Zukunft des Dritten Weges ist in der Politik angekommen. Der Deutsche Bundestag befasst sich mit einem Antrag der Fraktion "Die Linke" zur Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechts.
Gewerkschaften, Politiker, nationale und europäische Gerichte stellen zunehmend das Recht der Kirchen infrage, die Arbeitsverhältnisse in ihrem Bereich entsprechend des kirchlichen Sendungsauftrages selbst zu gestalten. Ende März hat vor dem Ausschuss für Arbeit und Soziales des Bundestages eine Anhörung stattgefunden zu einem Antrag "Grundrechte der Beschäftigten von Kirchen und kirchlichen Einrichtungen stärken" der Fraktion Die Linke (Bundestagsdrucksache 17/5523). Folgende Themen werden in diesem Zusammenhang derzeit politisch diskutiert:
- Einrichtungen von Caritas und Diakonie lagern Dienstleistungen aus und es gibt in kirchlich-caritativen Einrichtungen Leiharbeit. Sowohl die Mitarbeitenden dieser ausgelagerten Bereiche als auch die Leiharbeiter werden nach anderen, niedrigeren Tarifen entlohnt.
- Diesen Nachteilen, so wird besonders von der Gewerkschaft Verdi massiv kritisiert, können die Mitarbeitenden von Caritas nicht adäquat entgegentreten, da ein Streik im Dritten Weg nicht vorgesehen ist.
- Die Frage über sogenannte Loyalitätsobliegenheiten, die beispielsweise bei der Beschäftigung geschieden wiederverheirateter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Tragen kommen: Bei gerichtlichen Auseinandersetzungen wurde in den zurückliegenden Monaten auf nationaler und europäischer Ebene immer wieder zugunsten von Mitarbeitenden entschieden.
Im Zuge der Anhörung zum Antrag der Linken wurde deutlich, dass Kirche und Caritas zunehmend in ein grundlegendes Dilemma geraten: Als kirchliche Einrichtungen sind sie auf den kirchlichen Auftrag der gelebten Nächstenliebe hin ausgerichtet. Sie können sich als Akteur auf dem Sozialmarkt auf der einen Seite dem staatlich verordneten Wettbewerb um die Lohnkosten nicht entziehen. Andererseits können sie sich diesem Wettbewerb aber auch nicht einfach im Geiste betriebswirtschaftlicher Optimierung anpassen, ohne ihre eigenen ideellen Grundlagen zu gefährden.
Grundlage der Regelung des kirchlichen Arbeitsrechtes ist das Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft. In dieser Dienstgemeinschaft werden Dienstnehmer und Dienstgeber als Einheit betrachtet, in der alle den gleichen Anteil haben an der Erfüllung des kirchlichen Auftrages zum geschwisterlichen Dienst am Nächsten - unabhängig von ihrer beruflichen Position. Diese Auslegung erfolgt im Lichte des Evangeliums und schafft so eine religiöse Dimension, die nur von den Kirchen selbst vollzogen werden kann. In der Anhörung wurde ausgeführt, dass das kirchliche Arbeitsrecht über das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in der Verfassung verankert ist und daher nicht durch eine einfache Gesetzesänderung relativiert werden kann.
Gleiches gilt für die Loyalitätspflichten. Auf der Grundlage des verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrechts der Kirchen können diese von ihren Beschäftigten Verbundenheit und Treue bezüglich ihrer religiösen Ziele und Wertvorstellungen verlangen. Dies muss die staatliche Rechtsordnung wegen der verfassungsrechtlichen Autonomie der Kirchen akzeptieren und Gesetze entsprechend auslegen. "Das gilt auch dann, wenn die betreffenden Auffassungen einer Bevölkerungsmehrheit unplausibel, rückwärtsgerichtet oder irrational erscheinen mögen" (BAG vom 8. September 2011, 2 AZR 543/10). Es bleibt, so die Rechtsprechung, der alleinigen Entscheidung der Kirche selbst überlassen, inwieweit sie den Rufen nach Reformen in einer zunehmenden Welt der Säkularisierung begegnen und damit Lebenserfahrungen und -empfindungen der Menschen mit kirchlichen Positionen zusammenführen will.
Für die Funktionsfähigkeit des Dritten Weges und seine politische Akzeptanz ist eine gleichberechtigte und gleichgewichtige Vertretung von Dienstnehmern und Dienstgebern im Sinne einer Parität unabdingbar, und zwar sowohl zahlenmäßig als auch strukturell. Zur Sicherung der materiellen Parität stellt der DCV derzeit 3,5 Millionen Euro im Jahr für die Arbeit der Arbeitsrechtlichen Kommission zur Verfügung und wird diesen Betrag bis 2016 auf sechs Millionen Euro steigern. Arbeitskampfmaßnahmen sind bei der Austragung von Interessenkonflikten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus sozialethischer Perspektive ein legitimes Mittel. Allerdings erwächst aus der Zugehörigkeit zur kirchlichen Dienstgemeinschaft eine gemeinsame Verantwortung von Dienstnehmern und -gebern zur Umsetzung des Leitbildes durch die Wahrung eines "geschwisterlichen" Umgangs miteinander, so dass Arbeitskampfinstrumente wie Streik und Aussperrung per se ausscheiden.
Die tatsächlichen Verhältnisse zählen
Entscheidend ist, so hat die bisherige politische Debatte gezeigt, dass die Dienstgemeinschaft nicht nur formal postuliert, sondern auch tatsächlich gelebt wird. Jede Verwerfung zwischen dem formalen Bekenntnis zur Dienstgemeinschaft und dem tatsächlichen Handeln in den Diensten und Einrichtungen gefährdet die Glaubwürdigkeit des Dritten Weges und stellt seine Legitimation sowohl vor dem Gesetzgeber als auch vor den Gerichten massiv infrage. Die Sicherung der Arbeit in der Dienstgemeinschaft hängt daher erheblich vom den tatsächlichen Verhältnissen in den kirchlichen Diensten und Einrichtungen ab!
Ob die im Rahmen der aktuellen Diskussion aus den Reihen der CDU ins Gespräch gebrachte Idee, ein "kirchliches" Streikrecht zu schaffen, tragfähig ist, muss von der Kirche selbst bewertet werden. Nur sie kann entscheiden, ob dadurch das Institut der Dienstgemeinschaft insgesamt infrage gestellt wird. Die Grundordnung sieht im Konfliktfall als Ultima Ratio ein Schlichtungsverfahren vor, das unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien zu einem Verhandlungsergebnis führt. Damit ist ein Mittel des Interessenausgleichs geschaffen, das einen Streik zur Durchsetzung von Forderungen ausscheiden lässt.
Verfassungsklage droht
Eine Mitwirkung der Gewerkschaften ist dabei durchaus möglich, doch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi will mehr: Es soll der Abschluss von Tarifverträgen und damit das Ende des Dritten Weges erzwungen werden. Das Landesarbeitsgericht Hamm gab diesem Anliegen der Gewerkschaft 2011 teilweise statt, nun wird das Bundesarbeitsgericht voraussichtlich im Sommer hierüber entscheiden. Dass die unterlegene Seite dann das Bundesverfassungsgericht anrufen wird, kann als sicher gelten. Vor diesem Hintergrund ist mit einem kurzfristigen Ende der Debatte um das Streikrecht bei Kirche und Caritas nicht zu rechnen.
Die tiefere Ursache des Konfliktes um den Dritten Weg, nämlich der politisch gewollte ökonomische Wettbewerb in der Sozialbranche, der wesentlich über die Lohnkosten ausgetragen wird, spielt in der aktuellen Auseinandersetzung eine wichtige Rolle. Es bleibt die Grundfrage: Wie viel Geld sind die sozialen Dienste unserer Gesellschaft wert? Und daran anschließend: Wie viel kostensenkende Lohnkonkurrenz soll es im sozialen Bereich geben? In der teilweise extrem harten Wettbewerbssituation, in der sich viele Dienste und Einrichtungen der Caritas befinden, ist es oftmals kaum möglich, auf dem Vergütungsniveau der AVR ein konkurrenzfähiges Angebot zu machen. Dass Geschäftsführungen in solchen Situationen im weltlichen Bereich übliche Instrumente wie Auslagerung oder Ausgliederung zumindest in Erwägung ziehen, um ihre Einrichtungen wirtschaftlich zu halten, verdeutlicht das Dilemma, in dem sich die Caritas als Akteur auf dem Sozialmarkt befindet. Vor diesem Hintergrund gilt es aufseiten der Politik Farbe zu bekennen. SPD und Grüne wollen einen allgemeinverbindlichen Tarif für den Sozialbereich etablieren und auf diese Art und Weise dem Wettbewerb über den Faktor Lohn einen Riegel vorschieben. Ob dies ein gangbarer Weg ist, bleibt abzuwarten, denn seit geraumer Zeit geht die Tarifbindung in Deutschland wegen anhaltender Tarifflucht der Arbeitgeber und sinkender Mitgliederzahlen der Gewerkschaften zurück. Es gibt derzeit kaum noch für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge. Ein Grund hierfür ist die Voraussetzung, dass eine Allgemeinverbindlichkeit nur festgestellt werden kann, wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber mindestens 50 Prozent der in der Branche Beschäftigten repräsentieren, die SPD will das Kriterium der Repräsentativität anstelle des 50-Prozent-Quorums setzen.
Für die Akzeptanz des Dritten Weges in Politik und Gesellschaft bleibt entscheidend, wie das grundlegende Dilemma zwischen der Treue zu den theologischen Grundeinsichten und deren Verwirklichung in der Praxis gelöst wird. Die Kirche und ihre Einrichtungen müssen sich selbst an ihren Maßstäben messen lassen und missbräuchlichen Auswüchsen konsequent entgegenwirken. Hier haben die Bischöfe ein deutliches Zeichen gesetzt (s. Beitrag Kessmann in neue caritas Heft 09/2012, S. 12). Die Anwendung der Grundordnung ist nun konsequent zu überwachen und mögliche Abweichungen müssen für die betroffenen Einrichtungen spürbare Folgen haben.