Bisher tabu - in wenigen Jahren Standard
Künftig ein vertrauter Begleiter des Alltagslebens: das Zeitwertkonto.Fotolia/Digitalpress
Ab 2012 beginnt die stufenweise Anhebung des Regelrentenalters. Viele Arbeitnehmer machen sich erst jetzt Gedanken, wie sie den Übergang ins höhere Rentenalter kompensieren können. Dabei kommen die bisherigen Instrumente für einen sozialverträglichen Übergang in den Ruhestand kaum noch in Betracht. Auch die AVR-Regelung zur Verlängerung der Altersteilzeit bringt nur wenigen Arbeitnehmer(inne)n einen Vorteil. In dieser Situation ist die frühzeitige Einrichtung eines Langzeitkontos (Zeitwertkonto) ein interessanter Versorgungsbaustein. Hierfür wurden jetzt durch die Neuregelung der Anlage 5c AVR die Weichen gestellt.
Bislang war der Aufbau von Zeitwertkonten für die meisten Arbeitgeber ein Tabuthema, denn die arbeitsrechtliche Regelung der AVR stand im Widerspruch zu den gesetzlichen Anforderungen. Nur wenige Arbeitgeber haben sich mittels einer eigenständigen Dienstvereinbarung zum Wohle der Mitarbeitenden über die Regelung der Anlage 5c hinweggesetzt.
Die Lage hat sich geändert: Mit dem Beschluss der Arbeitsrechtlichen Kommission vom 27. Oktober 2011 kann der Dienstgeber mit den Mitarbeitenden die Einrichtung eines Langzeitkontos frei vereinbaren. Das eröffnet neue Perspektiven.
Nach dem Wegfall der staatlichen Förderung zur Altersteilzeit ab 2010 gewinnen Zeitwertkonten zunehmend an Bedeutung. Sie schaffen Freiräume für langfristige Auszeiten während oder am Ende der Erwerbsphase, stärken die Erwerbsfähigkeit der Mitarbeitenden und tragen dazu bei, die Altersstruktur in den Einrichtungen zu steuern. Zusätzlich bieten Zeitwertkonten die Möglichkeit, auch in Fällen teilweiser Freistellungen (Pflegezeiten, Altersteilzeit etc.) die laufenden Bezüge aufzustocken. Was tatsächlich gemacht wird, muss der Arbeitnehmer erst dann entscheiden, wenn er weiß, für welchen Zweck er das Zeitwertkonto einsetzen möchte.
Dienstgeber wenden sich dem Zeitwertkonto derzeit vor allem deshalb zu, weil sie sich einen Vorsprung im Wettbewerb um knappe Fachkräfte verschaffen wollen. Was heute als ins Auge springender Mehrwert eines Beschäftigungsverhältnisses gilt - gerade jüngere Mitarbeitende schätzen die Möglichkeit der zwischenzeitlichen Auszeit ("Sabbatical") -, dürfte in wenigen Jahren Standard sein. Dienstgeber, die jetzt den Anschluss verpassen, könnten später der Entwicklung hinterherlaufen, wenn es darum geht, Fachkräfte zu gewinnen und zu binden.
Wie aus Geld Zeit wird
Das Prinzip der Zeitwertkonten ist einfach und wirkungsvoll: Für die Finanzierung einer späteren Freistellung mittels Zeitwertkonto wird ein Wertguthaben aufgebaut. Der/Die Mitarbeiter(in) bringt Bestandteile des Gehalts, Sonderzahlungen, Überstunden oder Resturlaub, der oberhalb des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs liegt, in ein Wertkonto ein. Den Umfang der Einbringungsmöglichkeiten legt der Dienstgeber fest. Diese nicht
ausgezahlten Vergütungsansprüche werden mit ihrem Bruttowert dem Zeitwertkonto gutgeschrieben. Für jede Einbringung erhält der Arbeitnehmer einen Anspruch auf bezahlte Freizeit, die je nach Gestaltung für unterschiedliche Freistellungszwecke verwendet werden kann: beispielsweise Vorruhestand, Altersteilzeit, Elternzeiten, Weiterbildung oder Sabbatical. Das Wertguthaben wird regelmäßig verzinslich angelegt und in der Freistellungsphase unter Abführung der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge als Gehalt ausbezahlt.
Wertsicherung mittels Kapitalanlage
Die Kapitalanlage ist ein wichtiges Gestaltungselement, denn wenn sich ein Unternehmen für die Einrichtung eines Zeitwertkonten-Modells entscheidet, stellt sich die Frage nach der Entwicklung des Wertguthabens. Die Zinserträge dienen dabei zum Ausgleich von Gehaltsentwicklungen und können zu einer deutlichen Verlängerung des Freistellungszeitraums für den Mitarbeitenden führen.
Über die Form der Kapitalanlage entscheidet der Dienstgeber. Er kann dabei bedingt die Belange der Dienstnehmer(innen) berücksichtigen. Gleichzeitig kann über die Kapitalanlage die Insolvenzsicherung hergestellt werden. Dabei wird die Kapitalanlage über ein Treuhandmodell abgesichert, so dass die Wertguthaben im Interesse der Dienstnehmer(innen) geschützt sind. Diese Anforderungen bestehen auch für bereits vorhandene Langzeitkonten, die gemäß der vorherigen AVR- Regelung aufgebaut wurden.
Arbeitgeber, die nicht der Insolvenzsicherungspflicht unterliegen, nutzen erfahrungsgemäß trotzdem eine externe Kapitalanlage inklusive Treuhandmodell, da dies das Vertrauen der Mitarbeitenden in die Zeitwertkonten-Lösung erhöht. Bei einer ausschließlich innenfinanzierten Variante haben die Mitarbeitenden oft die Befürchtung, dass die vom Arbeitgeber zugeteilte Wertentwicklung hinter der laufenden Gehaltsentwicklung zurückbleibt. Gerade bei der Einbringungsmöglichkeit von zeitlichen Komponenten (Überstunden, Urlaubstage etc.), die nach aktuellem Stundensatz in Geld umgerechnet werden, würden sich die Mitarbeitenden langfristig schlechter stellen, wenn die Wertentwicklung geringer ausfällt als die Gehaltsentwicklung.
Zusätzlich hat die vollständige Rückdeckung der Wertguthaben den Vorteil, dass bei eintretenden Störfällen (zum Beispiel Dienstgeberwechsel) die Liquidität unmittelbar zur Auszahlung an den Dienstnehmer oder zur Übertragung auf einen Dritten zur Verfügung steht. Damit sind unkalkulierbare Leistungsfälle ausgeschlossen. Für die Kapitalanlage kommen versicherungsförmige, fondsorientierte sowie klassische Sparkonten-Modelle infrage. Aufgrund der hohen Flexibilität und der strengen gesetzlichen Anforderungen an die Zeitwertkonten ist die Anzahl der Anbieter geeigneter Kapitalanlageprodukte überschaubar. Auf eine Eignung der Produkte in Hinsicht auf die arbeitsrechtliche Ausgestaltung ist besonders zu achten.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen der sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen (FlexiG II), das am 1. Januar 2009 in Kraft trat, hat der Gesetzgeber die rechtlichen Grundlagen für eine flexible Gestaltung der Arbeitszeit deutlich verbessert. Drei Monate später legten die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger fest, wie Einbringungen in das Zeitwertkonto und deren Verwendung aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht zu behandeln sind. Beide Regelungen wurden von einem Schreiben des Bundesfinanzministers flankiert (17. Juni 2009), das die steuerliche Behandlung der Zeitwertkonten regelt. Dies macht deutlich, dass der Gesetzgeber dem Zeitwertkonto einen hohen Stellenwert zumisst. Die Arbeitgeber haben jetzt die nötige Sicherheit, um zeitgemäße Modelle zur Flexibilisierung der Arbeitszeit auszugestalten.
Fazit
Das Zeitwertkonto ist ein zukunftsorientiertes und höchst wirksames Personalinstrument. Die Vielfalt möglicher Effekte macht es für beinahe jeden Dienstgeber interessant, und Mitarbeitende können die Gestaltung ihrer Lebensarbeitszeit gezielt auf ihre beruflichen und privaten Bedürfnisse abstimmen. Dienstgeber und Mitarbeitende profitieren nicht nur von der gewonnenen Flexibilität, sie haben zudem wirtschaftliche Vorteile: eine klassische "Win-win-Situation".