Wie mehr Frauen bei der Caritas in Führung gehen
Am 19. März 2011 jährte sich der Weltfrauentag zum 100. Mal. Doch in der Arbeitswelt sind Frauen in Bezug auf ihren Anteil in Führungspositionen noch weit von der Gleichstellung entfernt: In der Wirtschaft sind nach wie vor nur etwa 30 Prozent der Führungspositionen mit Frauen besetzt, obwohl Mädchen und Frauen inzwischen, statistisch gesehen, häufiger und besser ihr Abitur machen und ein Hochschulstudium häufiger erfolgreich abschließen als Männer.1 In den Vorständen der deutschen Spitzenunternehmen sind sogar nur etwa 13 Prozent Frauen.2
Für die Caritas oder die freie Wohlfahrtspflege sind derzeit keine spezifischen Erhebungen zum Anteil von Frauen in Führungspositionen bekannt. Die Geschlechterverteilung in den Direktionen der Diözesan-Caritasverbände, die traditionell noch immer zu fast 100 Prozent von Männern besetzt sind, zeigt jedoch, dass auch in der Caritas Frauen in Führungspositionen noch lange nicht paritätisch vertreten sind.
Die gesamtgesellschaftliche Situation von Frauen in Führungspositionen, insbesondere in Wirtschaft und Politik, scheint sich trotz politischer Absichtserklärungen und Gleichstellungsstrategien faktisch kaum zu verändern. Auch der Deutsche Caritasverband (DCV) hat in seinen Leitlinien für unternehmerisches Handeln bereits im Jahr 2008 das Ziel formuliert, 50 Prozent der Führungspositionen mit Frauen zu besetzen.3 Auf der 11. Delegiertenversammlung in Würzburg wurde dieses Ziel bekräftigt (siehe Nachricht in neue caritas Heft 19/2011, S. 5).
Seit einiger Zeit kommt wieder Bewegung in das Thema. Die Politik diskutiert eine Frauenquote für Parteien und Unternehmen. Einzelne Unternehmen profilieren sich, indem sie sich selbst die Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen verordnen. Medien widmen dem Thema ganze Ausgaben und Sendungen. Denn, auch wenn die paritätische Vertretung von Frauen und Männern in Führungspositionen und Entscheidungsprozessen auf dem Grundrecht der Gleichstellung basiert, sind es nun die wirtschaftlichen Argumente, die Veränderungsprozesse anstoßen: Die Gleichstellung von Frauen und Männern sorgt für eine Steigerung der Beschäftigungsquote von Frauen, erhöht ihren Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) und zum Steueraufkommen und gewährleistet nachhaltige Geburtenraten.4 Insbesondere in Anbetracht des für die Zukunft erwarteten Fachkräftemangels ist die Nutzung des weiblichen Arbeitskräftepotenzials von Bedeutung. Angesichts der Tatsache, dass Frauen heute mindestens ebenso qualifiziert sind wie ihre männlichen Kollegen, ist es weder wirtschaftlich noch politisch hinnehmbar, dass Frauen in Führungspositionen weit unterrepräsentiert sind.5
Auch die Caritas, die in einer Branche beheimatet ist, in der 75 Prozent der Beschäftigten weiblich sind6, muss sich der Aufgabe stellen, Frauen verstärkt in Führungspositionen zu bringen. Wenn die Sozialwirtschaft zukunftsfähig bleiben wolle, müsse das Potenzial von weiblichen Führungskräften verstärkt genutzt werden, wie Gerhard Timm, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW), es einmal formulierte. Diese Aussage gewinnt an Bedeutung, wenn man das Werben anderer, traditionell männlich dominierter Branchen um weibliche Arbeitskräfte beobachtet.
Europa will Gleichstellung
Die Europäische Union (EU) verfolgt seit vielen Jahren (nunmehr im Rahmen der Gleichstellungsstrategie, die an den Fahrplan für die Gleichstellung von Frauen und Männern anschließt und fester Bestandteil der EU-Strategie 2020 ist), die gleichberechtigte Besetzung von Führungspositionen mit Frauen und Männern in Bereichen wie Politik, Verwaltung, Wirtschaft oder Justiz. Damit kommt die EU ihrer Aufgabe nach, das Grundrecht auf Gleichstellung durchzusetzen. Fünfzehn Jahre nach der Pekinger Aktionsplattform steht für die EU nun auch die Beurteilung der in den unterschiedlichen Aktionsbereichen erzielten Fortschritte, und damit des Anteils von Frauen in Führungspositionen an.7
Heute kreist die öffentliche Diskussion nicht mehr darum, dass Frauen in Führungspositionen zu gleichen Teilen vertreten sein sollen, sondern um die Frage, wie dieses Ziel gesellschaftlich erreicht werden kann und welche Ursachen der langsamen Veränderung zugrunde liegen.
Mit diesen Fragen haben sich von 2008 bis 2010 Caritasverbände aus Deutschland, Österreich und Frankreich8 im Rahmen der EU-Lernpartnerschaft "Female Leadership in Social Service Organisations" ("Flisso") innerhalb der Caritas auseinandergesetzt. Dabei haben die beteiligten Verbände Frauen und Männer zu Führungsstilen und Karrierebiografien interviewt, sich über die Situation in den verschiedenen Ländern und Verbänden ausgetauscht, die Gründe für die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen in der Caritas analysiert, Beispiele guter Interventionsmaßnahmen gesichtet und das Aufstellbuch "Empowering Women for Leadership" als Mittel zur Bewusstseinsbildung entwickelt.
Wie kann eine Veränderung in Deutschland, insbesondere innerhalb der Caritas, hin zu einer paritätischen Vertretung von Frauen und Männern in Führungspositionen und Entscheidungsprozessen gelingen? Die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte hat ja gezeigt, dass sich das Problem nicht von alleine mit dem steigenden Qualifikationsniveau von Frauen löst.
Veränderung muss gewollt sein
Der Wille zur Veränderung bei allen Beteiligten ist die Grundlage für das Gelingen, die Geschlechterverteilung hier anzugleichen. Hängt die Veränderung von einer Gemeinschaft ab, muss die Mehrheit, vor allem die Mehrheit der Entscheidungsträger(innen), den Willen zur Neuerung teilen. Je schwächer der gemeinsame Wunsch nach Veränderung ist beziehungsweise je stärker die Widerstände dagegen sind, umso verpflichtender müssen die Ziele formuliert werden. In Bezug auf Frauen in Führungspositionen ist die gesetzliche Quote dabei am wirkungsvollsten, wie Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen. Freiwillige Selbstverpflichtungen mit messbaren Zielvorgaben können unter Umständen auch ein hohes Maß an Verbindlichkeit erzeugen.
Als Good-Practice-Beispiel hat die Lernpartnerschaft das Management-Instrument "Equality Check" der Caritas in Oberösterreich kennengelernt, mit Hilfe dessen ein Verband organisationsbezogene Indikatoren zur Förderung von Frauen in Führungspositionen dokumentieren und in regelmäßigen Abständen auswerten kann, zum Beispiel das Geschlecht bei Neueinstellungen oder das Verhältnis von Rednerinnen und Rednern bei großen Veranstaltungen.
Ein Richtungswechsel beginnt in den Köpfen
In jedem Fall braucht es für einen Wandel in einem großen System, wie es die Caritas ist, eine Bewusstseinsbildung hinsichtlich Frauen in Führungspositionen auf allen Ebenen, damit die Veränderung von möglichst vielen mitgetragen und von möglichst wenigen behindert wird. Hier setzt das Aufstellbuch "Empowering Women for Leadership" der Lernpartnerschaft an, das mit Bildern und Zitaten zum Nachdenken anregt und über die Lernpartnerschaft und ihre Ergebnisse informiert.9 Alles, was der Information, der Aufklärung und dem Dialog dient, wie zum Beispiel Fachtagungen, Analysen des Ist-Zustandes, Statistiken, Interviews, Kampagnen, Broschüren und Ähnliches, befördert in kleinen Schritten die Bewusstseinsbildung.
Besonders überzeugend und einprägsam ist eine Darstellung der Geschlechterverhältnisse in Führungspositionen in Zahlen. Leider fehlen hierzu bislang Daten. Eine verbandsinterne Erhebung und ein im Anschluss gut gepflegtes Datenmaterial wäre für die Caritas ein wichtiger Meilenstein im Veränderungsprozess. In diesem Sinne unterhält die Europäische Kommission im Rahmen ihrer Bemühungen zur Frauenförderung beispielsweise eine Datenbank zur Verteilung von Frauen und Männern in wichtigen Entscheidungspositionen.10
Veränderungsprozesse müssen an den Ursachen ansetzen, die die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen bedingen. Die Lernpartnerschaft "Flisso" hat verschiedene Gründe in der allgemeinen Arbeitswelt ausfindig gemacht. Sie reichen von fehlendem Selbstvertrauen von Frauen (individuelle Ebene) über diskriminierende Arbeitsstrukturen (organisatorische Ebene) bis hin zu gesellschaftlichen und kulturellen Normen in Bezug auf Arbeitsbedingungen und Führungspositionen (gesellschaftliche Ebene). So vielschichtig die Ursachen sind, auf so unterschiedlichen Ebenen müssen die Interventionsstrategien ansetzen.
Mentorenprogramme sind erfolgreich
Auf der individuellen Ebene haben sich Mentorenprogramme von Frauen für Frauen bewährt, wie zum Beispiel das Zentrum für angewandte Kompetenz und Mentoring der Frauenakademie München.11 Auf der Ebene der Organisationsentwicklung befördert beispielsweise das Audit "Beruf und Familie" der Hertie-Stiftung eine familienbewusste Personalpolitik in Unternehmen, mit Hilfe derer es Beschäftigten leichter gelingt, Familie und Beruf miteinander zu verbinden. Das Projekt "EFF - effizient familienbewusst führen" bietet in einem interaktiven Portal für Führungskräfte sowie mit Hilfe von Schulungen und Beratungen verschiedene Instrumente, die die Familienfreundlichkeit fördern.12 Aktivitäten wie diese, gegründet auf dem erklärten Willen eines Verbandes oder eines Unternehmens und gestützt von einer familienfreundlichen Arbeitsmarktpolitik beziehungsweise einer arbeitsmarktfreundlichen Familienpolitik auf Landes- und Bundesebene, werden den Frauenanteil in Führungspositionen heben.
Dennoch, wenn trotz aller gut gemeinter Instrumente von Frauen erwartet wird, sich wie männliche Klone zu verhalten, um in Führungspositionen zu kommen beziehungsweise in Führungspositionen zu bleiben, werden die meisten Frauen von dieser Karriereoption aller Wahrscheinlichkeit nach Abstand nehmen. Die Lernpartnerschaft "Flisso" hat ihre Erfahrungen durch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigt gefunden, dass sich Frauen und Männer zum Beispiel in Entscheidungsprozessen, in der Kommunikation und in der Einschätzung von Risiko und Wettbewerb unterschiedlich verhalten.13 All dies sind Faktoren, die unsere Vorstellung von Führung prägen - und in dieser Hinsicht gelten derzeit immer noch eher die männlichen Verhaltensmuster. Geschlechtsspezifischen Unterschieden in Führungsverhalten, Erwerbsbiografien, Kommunikationsstilen oder Entscheidungsprozessen muss bei der Konzeptionierung von Führungspositionen Rechnung getragen werden. Damit Frauen gleichermaßen in Entscheidungspositionen vertreten sind, haben sich deshalb in erster Linie nicht Frauen den Arbeitsbedingungen anzupassen, sondern die Arbeitsbedingungen müssen sich den Bedürfnissen von Frauen anpassen. Dazu braucht es eine Arbeitswelt, in der es zum Beispiel selbstverständlich ist, eine berufliche Karriere und zugleich parallele Ziele oder Zwecke im Leben zu verfolgen, zum Beispiel familiäre Verpflichtungen (Kindererziehung, Pflege älterer Menschen), soziales Engagement und Persönlichkeitsentwicklung. Führungspositionen in Teilzeit sind eine mögliche Lösung.
Eine kulturelle Veränderung unserer Arbeitswelt und unserer Vorstellung von Führungspositionen dient nicht nur den Frauen, sondern sie birgt auch Vorteile für Männer. Frauen sind tendenziell gesünder und zufriedener im Beruf.14 Wenn dies am Verhältnis der Frauen zur Arbeit liegen sollte und Frauen in Führungspositionen die Arbeitswelt in diesem Sinne verändern würden, würden Männer und Familien im Gesamten davon profitieren.
Auch Männer haben was davon
Die Lernpartnerschaft hat von ihrem Partner, der Caritas Oberösterreich, folgenden Impuls für Veränderung mitgenommen: "Die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Vorgehensweisen von Männern und Frauen erleben wir als Bereicherung unserer Arbeit. Wir erkennen in der Unterschiedlichkeit der Geschlechter und Nationen einen hohen Wert für die Caritas und setzen uns zum Ziel, Chancengleichheit und Integration zu leben."15
Anmerkungen
1. Warum Deutschland die Frauen-Quote braucht. In: Der Spiegel, 5/2011, Hamburg.
2. Europäische Kommission: Bericht zur Gleichstellung von Frauen und Männern 2010. Luxemburg, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, 2010.
3. Siehe neue caritas Heft 20/2008, S. 37.
4. Smith, Mark; Bettio, Francesca: Analysis Note. The economic case for gender equality. EGGE, 2008.
5. www.eff-portal.de
6. Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Bayern: Sozialwirtschaft Bayern, Umfang und wirtschaftliche Bedeutung. Nürnberg, 2010.
7. Europäische Kommission: Bericht zur Gleichstellung von Frauen und Männern 2010. Luxemburg, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, 2010.
8. Landes-Caritasverband Bayern e.V., Caritasverband für die Diözese Trier e.V., Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V., Sécours Catholique Réseau mondial Caritas, Caritas in Oberösterreich.
9. Kostenlos zu bestellen beim Landes-Caritasverband Bayern unter ulrike.achmann@caritas-bayern.de oder Tel. 089/54497-149.
10. www.db-decision.de/Index_D.htm
11. www.frauenakademie-zak.de
12.. www.eff-portal.de
13. Pinker, Susan: The Sexual Paradox. Scribner, New York, 2008.
14. Ebd.
15. Caritas Oberösterreich, www.caritas-linz.at/ueber-uns/leitbild