Mehr Geld und Kapazität für die Tarifarbeit
Das Arbeitsrecht sollte auch die 11. Delegiertenversammlung des Deutschen Caritasverbandes Ende Oktober in Würzburg einmal mehr beschäftigen. Bereits im Herbst 2010 hatten die Delegierten in Trier dafür votiert, dass eine Arbeitsgruppe an einem Modell weiterarbeiten soll, wonach die Regelungskompetenz für den Rahmen zur Tarifgestaltung (Arbeitszeit, Vergütung, Urlaub) bei der Bundeskommission der Arbeitsrechtlichen Kommission (AK) liegen solle. Und bei einer Sonderdelegiertenversammlung im Februar 2011 in Fulda hatten die Delegierten dann dieses Modell beschlossen. Zudem war ein Beschluss über die Zahl der Mitglieder in den AK-Kommissionen gefasst worden.
Vertagt worden waren im Februar ein Beschluss über das künftige Budget der AK sowie ein Antrag der Ostdirektoren, die Regelungskompetenz für die Regionalkommission Ost zu erweitern. Dieser Antrag kam nun in Würzburg zur Wiedervorlage. Ihm geht bereits eine Geschichte voraus. Denn im Herbst 2010 hatten die Ostdirektoren in der Diskussion das Modell der Tarifpolitik auf Bundesebene deutlich abgelehnt (siehe neue caritas Heft 19/2010, S. 5 und 25). Sie verwiesen auf die finanziell schwierigen Bedingungen im Osten und die Tatsache, dass die AVR Caritas-Ost der deutlich teuerste Tarif am Markt sei. Die Caritas könne im Wettbewerb nicht mithalten. Eine befristete Sonderregelung für die Regionalkommission Ost zu beantragen schien daher für die Ostdirektoren eine Alternative, solange die Lebensverhältnisse in Ost und West nicht angeglichen sind. "Denn", so der Dresdner Direktor Matthias Mitzscherlich nochmals zur Verdeutlichung bei der Wiedervorlage in Würzburg, "der Bundesmittelwert ist ein Mittelwert West. Im Osten muss immer runterverhandelt werden."
In der Zeit zwischen Februar- und Oktoberdelegiertenversammlung hatte die Arbeitsgruppe geprüft, ob die Ost-West-Verhältnisse so stark divergieren, dass sie eine Sonderregelung für den Osten eindeutig empfehlen könnte. Dem war aber nicht so. Als ein negativ belastendes Element wurde in der Würzburger Diskussion gewertet, dass nur die Dienstgeber in der RK Ost für eine Sonderregelung seien, die Dienstnehmer jedoch dagegen.
Kein Sonderweg im Osten
Dienstnehmervertreter Thomas Schwendele verwies darauf, dass momentan in der Regionalkommission Ost nach dem Scheitern sämtlicher Tarifverhandlungen die Zwangsschlichtung anstehe, und auch Dompropst Norbert Feldhoff spielte auf die Situation in der RK Ost an, als er betonte, dass das Verhandlungsgeschick in der Kommission selbst steigen und die Transparenz der Argumente anstelle der AK-Ordnung geändert werden müsse. Generalsekretär Georg Cremer stieß ins selbe Horn und verdeutlichte, dass in der RK Ost der Konsens fehle. Die Situation im Osten könne nur gemeinsam von Dienstgeber- und Mitarbeiterseite gelöst werden, unabhängig von einer erweiterten Kompetenzübertragung. Bei 42 Gegenstimmen und 14 Enthaltungen lehnten es 113 Delegierte ab, der Regionalkommission Ost erweiterte Kompetenzen einzuräumen.
Noch mehr Gegenstimmen (54) und Enthaltungen (10) erhielt der nächste Beschluss zum Arbeitsrecht. 99 Delegierte stimmten für einen veränderten Freistellungsumfang für die Arbeit in den arbeitsrechtlichen Kommissionen:
- RK von 15 auf 30 Prozent,
- BK von 10 auf 20 Prozent,
- Leitung von 50 auf 25 Prozent,
so dass eine gesamte Freistellung bei Ämterkombinationen von 75 Prozent möglich ist. Die Gegner der Vorlage äußerten insbesondere Zweifel an der Erhebung des Freistellungsbedarfs durch das Prognos-Institut. Dieses habe in diesem Bereich keine Vorerfahrung und nicht alle angeführten Posten seien nachvollziehbar.
Vorstand Niko Roth hatte zuvor für den Freistellungsumfang argumentiert. Es bedürfe in den Kommissionen auch der Zeit, um eine moderne Tarifgestaltung zu betreiben und nicht nur beim TVöD abzuschreiben. Die AK müsse jetzt gute Voraussetzungen schaffen, um auch AVR-Abweichler wieder zurückzuholen. Die Alternative sei sonst der Zweite Weg mit Streikrecht. In Anspielung auf die langen Streiks im öffentlichen Nahverkehr fragte Roth: "Können wir uns das bei uns vorstellen?" Die Freistellungen und das dafür notwendige Budget sieht Roth "vielleicht als letzten Vertrauensvorschuss an die AK".
Sein mulmiges Gefühl bei der Diskussion um die Höhe der finanziellen Mittel für das Arbeitsrecht fasste der Osnabrücker Direktor Franz Loth in Worte: "Wir bestellen hier eine Musik, die von anderen bezahlt werden muss." Er fahre mit einer schweren Hypothek belastet zurück. Denn tatsächlich wird das Arbeitsrecht per Umlage je Mitarbeiter von den Ortsverbänden beziehungsweise Trägern vor Ort geschultert. Auch Peter Spannenkrebs, Geschäftsführer des Caritasverbandes Gelsenkirchen, warnte: "Der Verband kämpft jetzt schon um jeden Euro. Da wird die Umlagenerhöhung eine enorme Belastung sein."
Tatsächlich geht es um 3,54 Millionen Euro, die 2012 erbracht werden müssen; 2013 sind es 4,9 Millionen, die dann bis 2016 auf 5,98 Millionen ansteigen sollen. Geschuldet ist diese enorme Teuerung dem erhöhten Freistellungsumfang und der Tatsache, dass Dienstgebern wie Dienstnehmern jeweils in Geschäftsstellen professionelle Bratung und Organisation zur Seite gestellt werden sollen. Die Verantwortung für das Budget geht dann allerdings vom DCV auf die beiden Tarifpartner über. Wenn die Jahresbudgets nicht in vollem Umfang gebraucht werden, sollen sie auf das nächste Jahr übertragen werden. Mit 100 Ja- und 32 Neinstimmen und 24 Enthaltungen wurde das Budget für das Arbeitsrecht für die Jahre 2012 bis 2016 entsprechend der Vorlage beschlossen.
"Das Arbeitsrecht polarisiert uns hier in der Delegiertenversammlung zu einer Zweidrittel- und Eindrittelgesellschaft", führte Franz Loth weiter aus und knüpfte damit an die vorangegangenen Abstimmungsergebnisse an, wo insbesondere die Delegierten aus dem Osten nicht mithalten konnten. Es drängte sich der Eindruck auf, dass die Angleichung von Ost und West wirtschaftlich und damit auch tarifpolitisch eher auseinanderläuft als zusammenzukommen. Generalsekretär Cremer konnte diese Sorge teilen und appellierte dafür, dass man in der Delegiertenversammlung auch weiterhin in einem fairen Ringen und mit gegenseitigem Respekt zu gemeinsam getragenen Beschlüssen kommen solle.
Erstaunlich deutliche Worte fielen in der aktuellen Stunde von Caritas-Präsident Peter Neher. Hintergrund war, dass infolge des Urteils des Apostolischen Stuhls Artikel 2 der kirchlichen Grundordnung geändert wurde und nun bis Ende 2013 alle direkten kirchlichen Rechtsträger die Grundordnung in ihre Statuten aufnehmen müssen, falls sie die AVR anwenden wollen. "Der Dritte Weg ist das richtige Modell. Im Zweiten Weg werden die Probleme nicht kleiner, aber teurer", so Neher. Diözesan-Caritasdirektor Hans-Jürgen Marcus aus Hildesheim kritisierte, dass zu binnenkirchlich geschaut werde. "Der DCV behütet den Dritten Weg und die Diakonie zerschießt ihn."
In der Diskussion wurde immer wieder betont, dass Caritas und Diakonie medial in Sippenhaft genommen werden, obwohl sich die Situation bei der Caritas völlig anders darstelle. Doch Niko Roth goss Wasser ins Feuer: "Wir müssen erst einmal bei uns hinschauen. Es ist vielleicht noch nicht alles bekannt. Wir müssen auch bei uns klar sein."