Wertvoll, aber nicht geschätzt - der Altenpflegeberuf
"Berufe im Schatten" - unter dieser wenig glanzvollen Bezeichnung nimmt ein Forschungsprojekt der Technischen Universität Dortmund den Beruf der Altenpflege in den Blick.1 Das Anliegen der Studie ist es, den Unterschied zwischen angesehenen und weniger angesehenen Berufen zu verstehen. Woher rührt eine Differenz der Wertschätzung etwa zwischen der Krankenpflege und der Altenpflege? Worauf kann sich Wertschätzung stützen und wie wäre sie zu erhöhen? Solche Fragen stehen im Mittelpunkt der Untersuchung einer Reihe von Projekten, die im Förderschwerpunkt "Dienstleistungsqualität" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung mit Wertschätzungs- und Pflegethemen2 beschäftigt sind.
Hoher gesellschaftlicher Wert - niedrige Einkommen
Soziale Dienstleistungen - wie etwa Erziehung oder Pflege - sind basale Tätigkeiten, ohne die der Zusammenhalt und das Funktionieren der Gesellschaft nur schwer möglich wären. Ihre gesellschaftliche Bedeutung ist hoch. Man könnte auch sagen: Sie haben einen hohen Gebrauchswert. Ein hoher Tauschwert geht damit aber nicht einher: Die Beschäftigten in diesen Bereichen erzielen geringe Einkommen, die Institutionen als Anbieter dieser Leistungen erzielen geringe Preise. Das liegt in der Natur der Sache des "öffentlichen Gutes" soziale Dienstleistung. Die Gesellschaft braucht sie, aber die Betroffenen können sie selbst nicht finanzieren. Daher muss die öffentliche Hand diese bereitstellen und damit werden sie Gegenstand von Zielkonflikten in der angespannten Haushaltslage.
Doch nicht nur am Einkommen und Preis zeigt sich geringe Wertschätzung, sondern auch am öffentlichen Ansehen der Berufe. Auf dieses Image haben verschiedene Akteure und Entscheidungen Einfluss. Die Signale, die zum Beispiel eine Ausrichtung der sozialen Dienste an betriebswirtschaftlichen Kriterien der Effizienzsteigerung und Kostensenkung sendet, lauten: Die Arbeit, die hier geleistet wird, ist dem Gemeinwesen keine höheren Kosten wert. Damit wird ihre Bedeutung abgewertet. Diesen unbeabsichtigten Effekt können auch arbeitsmarktpolitisch motivierte Maßnahmen haben, die etwa Langzeitarbeitslose oder "benachteiligte Jugendliche" (die neue caritas berichtete in Heft 18/2010 darüber) in pflegenahe Helfertätigkeiten umschulen und einsetzen wollen. Ihre Botschaft an die Öffentlichkeit heißt: Pflegen kann jeder. Sogenannte Jedermann-Tätigkeiten gelten aber als Hilfsarbeiten, die wenig Qualifikation und Leistung bedürfen und daher auch eine geringe Wertschätzung verdienen. Weit gefehlt und doch getroffen mit verheerender Wirkung.
Mangelnde Wertschätzung führt in einen Teufelskreis
Die fehlende Wertschätzung von Berufsgruppen und ihren Angehörigen ist gesellschaftlich, betrieblich und individuell relevant. Bereits heute wird insbesondere in den Pflegeberufen ein Fachkräftemangel sichtbar, bei absehbar steigendem Bedarf an Pflegekräften.3 Doch nicht nur quantitativ, auch auf die Qualität der Arbeit ist eine negative Wirkung mangelnder Anerkennung zu vermuten. Werden Leistungen nicht anerkannt, sinken Arbeitszufriedenheit und Motivation und schließlich auch die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit. Fehlende Wertschätzung führt zu Unsicherheit über die Güte und Bedeutung der eigenen Arbeit, zu innerem Rückzug, zu sinkender Qualität und damit wiederum zu sinkender Wertschätzung.
Diese Annahmen bilden den Ausgangspunkt der Forschung über den Zusammenhang zwischen Professionalität, Wertschätzung und Qualität der Dienstleistung, aber auch der Attraktivität des Berufsfeldes für potenzielle Pflegekräfte. Methodisch basiert die Forschung auf sowohl problembezogenen Interviews als auch standardisierten Befragungen, um das Berufshandeln sowie Bewertungsmuster zu analysieren und im Dialog mit den Praxispartnern Ansatzpunkte zur Steigerung der Wertschätzung zu identifizieren.
Hohe Kompetenz ist gefordert und nötig
Die Wertschätzung des beruflichen Handelns muss sich auf seinen Gegenstand beziehen, wenn sie über eine beschönigende Rhetorik und reines Marketing hinausgehen soll.4 Betrachtet man die Pflegetätigkeiten genauer, fällt auf, dass sowohl die Kranken- als auch die Altenpflege hohe Kompetenzanforderungen zu bewältigen haben. Mit einem Professionalitätsmodell lässt sich die Vielfalt der Kompetenzen sichtbar machen. Pflegearbeit als Intervention bei krankheits- oder altersbedingten Beeinträchtigungen, bedarf der Professionalisierung. Sie braucht ein Arbeitsbündnis zwischen Pflegekraft und Patient, um die asymmetrische Beziehung zwischen beiden so zu gestalten, dass die Autonomie des Pflegebedürftigen möglichst geschützt wird. Die Professionalität der Pflegearbeit lässt sich in drei Dimensionen ausdifferenzieren: Fachqualifikation, Interaktions- und Strukturkompetenz.
Die Fachqualifikation dient dazu, problem- und situationsbezogen angemessen zu handeln. Hier unterscheidet sich die Alten- von der Krankenpflege hinsichtlich der spezifischen Aufgaben. Umfang und Qualität der Fachkenntnisse sind jedoch gleichwertig seit der reformierten Ausbildungsverordnung der letzten Jahre.
Die Interaktionskompetenz gewährleistet ein personen- und fallspezifisch angemessenes Handeln. Dazu ist es nötig, das Fachwissen auf die Besonderheit des Pflegebedürftigen zu übertragen. Es wird also eine Übersetzungsarbeit geleistet. Deutendes Fallverstehen und Rollenklarheit für die speziellen Interaktionssituationen sind hier zentral.
Die Strukturkompetenz sichert die Vermittlungsarbeit zwischen widersprüchlichen Anforderungen wie etwa zwischen der Logik der ökonomischen Effizienz der Arbeit und der Logik der Berufsethik des Helfens. Gestaltungsfähigkeiten beruhen auf dem Bewusstsein der Pflegekräfte für förderliche Rahmenbedingungen in Organisation und Unternehmen und ermöglichen erst eine aktive Veränderung hinderlicher Pflegebedingungen.
Kompetenz wird durch Ökonomisierung untergraben
Gerade die fallangemessene Anwendung der Fachkompetenzen erfordert Gestaltungsspielräume, die sich nicht in standardisierte Abläufe fügen. Aus Gründen der nötigen Kostendämpfung wird aber einer Standardisierung der Vorrang eingeräumt, wie es sich insbesondere im verrichtungsorientierten Abrechnungsmodell der kassenfinanzierten Leistungen zeigt. Dadurch wird die professionelle Basis der Pflegearbeit untergraben und der Sinngehalt der Arbeit für die Berufsangehörigen schwindet. Mangelnde Identifikation der Pflegekräfte mit ihrer Aufgabe und steigende Unzufriedenheit begünstigen wiederum Ansehenseinbußen und Fachkräftemangel.
Der Berufsvergleich machte das hohe und vergleichbare Niveau der Anforderungen beider Pflegeberufe deutlich, Unterschiede finden sich aber in der öffentlichen Wahrnehmung der nötigen Kompetenzen. Das komplexe Kompetenzprofil der Altenpflege wird nicht erkannt und daher auch nicht wertgeschätzt. Der "Verdacht auf Minderwertigkeit" der Schattenberufe wird genährt durch Vorurteile. Sie heften sich an Kennzeichen, die sich wie selbstverständlich für negative Assoziationen anbieten. Angstbesetzte Themen etwa - wie der Umgang mit Alter und Tod - werden nicht nur verdrängt, sondern die Berufsgruppe, die sich diese Aufgabe zu eigen gemacht hat, wird gleich mit in den Schatten gestellt und Kompetenzen übersehen.
Kompetenzen müssen sichtbar gemacht werden
Das entwickelte Kompetenzmodell erlaubt, die Vielfalt vorhandener Fähigkeiten und Fertigkeiten sichtbar zu machen. Damit stellt es eine Basis für eine echte, das heißt der erbrachten Leistung angemessene Wertschätzung, der Anerkennung der Professionalität dar. Zudem ist das Professionalisierungsmodell eine Grundlage für Curricula zur Aus- und Weiterbildung. Um das professionelle Selbstverständnis zu fördern, wurden speziell für Beschäftigte der Altenpflege ein Weiterbildungskonzept sowie Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen entworfen und interessierten Einrichtungen angeboten.
Mehr Anerkennung hilft gegen den Fachkräftemangel
Zum Angebot gehören ferner Innovationszirkel zum Thema Kompetenzkommunikation in Bezug auf eine veränderte, wertschätzende Unternehmenskultur. Neben Planungsgesprächen werden "Fallwerkstätten" angeboten, also Kurse zum Fallverstehen und zur Gestaltung des Arbeitsbündnisses. Schließlich lässt sich das Modell für die Weiterentwicklung der Abrechnungssysteme einsetzen, indem Gütekriterien für die Bewertungsanstrengungen der Pflegeverrichtungen daraus hergeleitet werden. Diese helfen, das gesamte Kompetenzprofil zu berücksichtigen.
Die Qualität sozialer Berufe beruht auf der hohen Kompetenz ihrer Berufsangehörigen. Die enormen Anforderungen in Interaktionsberufen verdienen Wertschätzung. Ihre Steigerung kann positive Entwicklungen in Gang setzen: Auf individueller Ebene führt größere Wertschätzung zu einer stärkeren Überzeugung von der eigenen Kompetenz, zu größerer Arbeitszufriedenheit und damit zu besserer Arbeitsleistung. Betrieblich stellt dies die Basis für höhere Wertschöpfung dar und sichert über klarere Kompetenzvermutungen auch die Attraktivität der Berufsfelder für den Fachkräftenachwuchs. Auf diese Weise kann auch zukünftig hochwertige Pflegearbeit geleistet werden.
Anmerkungen
1. Partner in diesem Verbundprojekt sind die Polizeihochschule in Münster und die gaus Gmbh - medien bildung politikberatung in Dortmund. Für weitere Ergebnisse und Informationen siehe die Projekthomepage: www.berufe-im-schatten.de
2. Siehe zu den weiteren Themen des Schwerpunkts auch Fuchs-Frohnhofen, Paul u.a. (Hrsg.):"Wertschätzung, Stolz und Professionalisierung in der Dienstleistungsarbeit "Pflege", Marburg : Tectum Verlag, 2010.
3. Hackmann, Tobias: Arbeitsmarkt Pflege: Bestimmung der künftigen Altenpflegekräfte unter Berücksichtigung der Berufsverweildauer. In: Diskussionsbeiträge des Forschungszentrums Generationenverträge, Universität Freiburg, No. 40, 2009.
4. Die Ergebnisse sind ausführlicher dargestellt in Fischer, Ute Luise: Der Bäcker backt, der Maler malt, der Pfleger … - Soziologische Überlegungen zum Zusammenhang von Professionalität und Wertschätzung in der Kranken- und Altenpflege. In: ARBEIT, Zeitschrift für Arbeitsforschung, Arbeitsgestaltung und Arbeitspolitik Heft 4/2010, S. 239-252.