Wer handelt für mich, wenn ich nicht mehr kann?
Die Katholische und die evangelische Seite ziehen an einem Strang: Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK), die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) haben Ende Januar gemeinsam eine Broschüre mit dem Titel "Christliche Patientenvorsorge" herausgebracht. Sie löst die seit 1999 bestehende Handreichung "Christliche Patientenverfügung" ab, von der mehr als 2,9 Millionen Exemplare ausgegeben wurden. Im Unterschied zum Vorgängerdokument ist die "Christliche Patientenvorsorge" nicht mehr auf die eigentliche Patientenverfügung fixiert. Sie umfasst Erläuterungen und vorgedruckte Formulare für eine Vorsorgevollmacht, für eine Betreuungsverfügung, für eine Patientenverfügung und für Äußerungen von Behandlungswünschen (siehe Kasten in neue caritas Heft 05/2011 auf Seite 14).
Die neue Broschüre zur Patientenvorsorge wurde aufgrund des am 1. September 2009 in Kraft getretenen "Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts"1 notwendig. In diesem werden die Rechtslage der Patientenverfügung, ihre Bindungswirkung und Reichweite gesetzlich geregelt.
Von Vorteil: Patientenwille plus Vorsorgevollmacht
Der in einer Patientenverfügung dokumentierte Wille ist danach für Ärzte rechtlich bindend. Voraussetzung dafür ist, dass die Willenserklärung eindeutig in Bezug zur aktuellen Situation und zur medizinischen Behandlung gesetzt werden kann. Wird der Patientenwille missachtet, kann dies als Körperverletzung strafrechtlich verfolgt werden. Der/die Betreuer(in) beziehungsweise der/die Bevollmächtigte ist verpflichtet, die Patientenverfügung zu prüfen, den ihr zugrundeliegenden Behandlungswillen festzustellen und ihm Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Er/sie darf nicht seinen/ihren Willen an die Stelle des Patientenwillens setzen.
Dennoch kann die Form der Patientenverfügung nur begrenzt garantieren, dass die ihr zugrundeliegende Intention später auch tatsächlich umgesetzt wird. Die Erfahrung zeigt, dass sich das Lebensende auch durch eine Patientenverfügung nicht detailliert planen und in allen Einzelheiten rechtlich regeln lässt. Gerade zum Lebensende hin sind Krankheitszustände und -diagnosen von hochkomplexer Natur. Zudem muss die einmal geäußerte Willensbekundung nicht unbedingt mit dem aktuellen Willen des Patienten zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufnahme oder den Abbruch einer medizinischen Behandlung entsprechen. So kann sich der Wille eines Patienten im Krankheitsverlauf ändern.
Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Deutsche Caritasverband, "die Patientenverfügung mit einer Vorsorgevollmacht zu kombinieren, in der man eine Person des Vertrauens mit der Vertretung für den Fall beauftragt, dass man selbst nicht mehr einwilligungsfähig ist"2. Die Verfasser der Broschüre teilen diese Einschätzung. Optimal ist es, wenn es im engeren Umfeld einen Menschen gibt, mit dem die betroffene Person über Einstellungen und Wünsche sprechen, dem er/sie eine Vorsorgevollmacht ausstellen kann und der diese Vertretung übernehmen will. Als Bevollmächtigte(r) wird er/sie später dafür sorgen, dass die Behandlungswünsche oder Patientenverfügung nicht übergangen oder anders interpretiert werden. So gesehen ist die Bestellung eines Bevollmächtigten vorrangig. Eine Patientenverfügung sollte immer mit einer Vorsorgevollmacht verbunden sein.
Wichtig: möglichst präzise formulieren
Deshalb bildet die Vorsorgevollmacht Teil A des Formulars der "Christlichen Patientenvorsorge". Sie kann allein oder auch ergänzend zur Patientenverfügung erteilt werden (und ist unabhängig davon gültig). Die Vorsorgevollmacht sollte - genau wie die Patientenverfügung - so präzise wie möglich formuliert werden. Deswegen ist sie im Formular bereits vorformuliert, und zwar für die Bereiche Gesundheits- und Aufenthaltsangelegenheiten. Demnach hat eine Vertrauensperson sowohl die Befugnis, einer medizinischen Behandlung zuzustimmen oder sie zu untersagen als auch die Ermächtigung, eine Unterbringung mit freiheitsentziehender Wirkung in einem Heim anzuordnen. Allgemeine Regelungen zu Vermögensangelegenheiten fehlen in der "Christlichen Patientenvorsorge".
In Teil B des Formulars können "Bestimmungen für meine künftige medizinische Behandlung" getroffen werden. Diese Bestimmungen können entweder in Form einer Patientenverfügung oder in Form von Behandlungswünschen geschehen. Letztere sind verbindliche Vorgabe für die Bevollmächtigten oder Betreuer(innen). In einer Patientenverfügung sollen die ärztlichen Maßnahmen und Situationen so präzise wie möglich beschrieben werden. Aussagen wie "Ich möchte nicht an Schläuche angeschlossen sein" sind dagegen wenig hilfreich. Aus diesem Grunde sind im Formular bereits Entscheidungsvorschläge vorformuliert. Zusätzlich gibt es im Teil B einen "Raum für ergänzende Verfügungen". Hier besteht die Möglichkeit, weitere Wünsche zu formulieren.
Gesetzlich ist weder eine rechtliche noch eine ärztliche Beratung vorgeschrieben - sie wird aber empfohlen. Sich mit einem fachkundigen Arzt zu beraten, verschafft Klarheit über Krankheitszustände und Behandlungsmethoden, vermeidet Widersprüche zwischen einzelnen Festlegungen und garantiert eine hinreichende Genauigkeit in den Formulierungen.
Wie weit eine Patientenverfügung reicht
Das im Jahr 2009 in Kraft getretene Gesetz zur Patientenverfügung betont das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und macht Patientenverfügungen - unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung - ohne Einschränkung verbindlich.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Erzbischof Robert Zollitsch, betont, dass die ethische und rechtliche Grundlage aller Vorsorgeverfügungen das Selbstbestimmungsrecht ist. Der Wille des Patienten ist die Grundlage jeder Behandlung. Dennoch dürfen aus christlicher Sicht die Menschen über ihr eigenes Leben nicht grenzenlos verfügen. Daher sind der inhaltlichen Gestaltung der Patientenverfügung sowohl durch die Rechtsordnung in Deutschland als auch aus christlicher Verantwortung heraus Grenzen gesetzt. Wie in der bereits erwähnten Stellungnahme des DCV3 treten die Verfasser der "Christlichen Patientenvorsorge" für eine Reichweitenbegrenzung auf die Sterbephase ein.
Über die Grenzen des Verfügungsrechts des Einzelnen über sein Leben ist während der Arbeit an der Broschüre lange diskutiert worden. Einen Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen etwa bei schwerer Demenz oder bei Wachkoma lehnt die katholische Kirche ab. Hingegen gibt es innerhalb der EKD zu dieser Frage unterschiedliche Positionen. Eine einheitliche Position zur Reichweitenbegrenzung bei Wachkomapatient(inn)en war nicht zu erzielen. Die EKD respektierte, dass im "Formular der Christlichen Patientenvorsorge" die Verfügung auf den unabwendbaren und unmittelbaren Sterbeprozess präzisiert wurde. Dennoch ermöglicht die "Christliche Patientenvorsorge", den weiten gesetzlichen Rahmen auszuschöpfen. So verweist Hermann Barth (ehemaliger Präsident des Kirchenamts der EKD) auf den im Formular enthaltenen "Raum für ergänzende Verfügungen". Dieser Raum sei gerade deshalb geschaffen worden, damit "die Möglichkeit besteht, weitere Wünsche zu formulieren. Man ist bei der Benutzung des Formulars nicht gezwungen, die Behandlungswünsche nur auf den Sterbeprozess oder die Endphase einer tödlichen Krankheit zu begrenzen."4 Und weiter: "Im Falle des Wachkomas ist bis in die Einzelformulierung hinein ausgeführt, wie alternative Wünsche nach Behandlungsbeendigungen außerhalb von Sterbephasen formuliert werden könnten (vgl. Christliche Patientenvorsorge, Handreichung, S. 21f.)."
Barth weist damit den Vorwurf des Journalisten Matthias Kamann von "Die Welt" zurück, dass die "Christliche Patientenvorsorge" nur eine eingeschränkte Wahrnehmung der tatsächlich gegebenen Patientenrechte zulasse. Kamann ist der Ansicht, dass " ... weder in den Erläuterungen zu dem Formular noch in diesem selbst Hinweise gegeben (werden), wie und unter Berücksichtigung welcher Probleme man Wünsche nach Behandlungsbeendigungen außerhalb von Sterbephasen formulieren könnte"5.
Im Unterschied dazu kann Barth gut nachvollziehen, dass es als Lücke empfunden wird, wenn Erörterungen zur Demenz in der "Christlichen Patientenvorsorge" fehlen.
Ein starkes ökumenisches Zeichen
Eine Bemerkung zum Schluss darf nicht fehlen: Die gemeinsam erstellte Handreichung zur christlichen Patientenvorsorge ist ein starkes ökumenisches Zeichen. Sie zeigt, dass trotz unterschiedlicher Positionen zu bestimmten ethischen Fragen eine Zusammenarbeit gelingen kann. Dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen, Friedrich Weber, zufolge hat die Zusammenarbeit gut funktioniert: "Es ist den Kirchen in der jetzt vorliegenden Christlichen Patientenvorsorge erneut gelungen, den christlichen Glauben und die von ihm ausgehenden ethischen Orientierungen gemeinsam zu formulieren."6 Die Broschüre "Christliche Patientenversorgung" kann im Internet direkt heruntergeladen oder bestellt werden: www.dbk.de/ themen/christliche-patientenvorsorge
Anmerkungen
1. Bundesrat: Drucksache 593/09; 19. Juni 2009; Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages, Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts.
2. Gemeinsame Stellungnahme des Deutschen Caritasverbandes (DCV), des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und des Kommissariats der deutschen Bischöfe - Katholisches Büro in Berlin - zu den Gesetzentwürfen eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts (BT-Drs. 16/8442), Freiburg, Bonn, Berlin, den 3. März 2009, S. 4.
3. Ebd., S. 3.
4. Barth, Hermann: Warum die Kritik an der neuen Christlichen Patientenvorsorge unberechtigt ist. In: "Die Welt", 1. Februar 2011.
5. Kamann, Matthias: Kirchen raten zu Verzicht auf Patientenrechte. In: "Die Welt", 26. Januar 2011.
6. Pressekonferenz zur Veröffentlichung der "Christlichen Patientenvorsorge" am 26. Januar 2011 im Domforum Köln.