Kriterien für ein würdiges Sterben im Heim
Alten- und Pflegeheime unter dem Dach der Caritas werden öfters angefragt, schwerkranke oder sterbende Menschen für die ihnen verbleibende Lebenszeit aufzunehmen und zu betreuen. Immer mehr Anfragen beziehen sich auf Menschen, die für sich eine künstliche Ernährung abgelehnt haben. Daher - so der Wunsch der Anfragenden - soll diese im Heim auch nicht begonnen beziehungsweise nach der Heimaufnahme eingestellt werden. Welche Kriterien sind in diesen Fällen für eine Aufnahme und Begleitung in Heimen in katholischer Trägerschaft entscheidend?
Mit dieser Fragestellung hat sich der Ethikrat des Caritasverbandes der Erzdiözese München und Freising auseinandergesetzt. Das Gremium wurde Anfang 2009 vom Vorstand des Diözesanverbandes ins Leben gerufen. Es berät Personen und Einrichtungen im Bereich der Caritas der Erzdiözese in ethischen Fragen und gibt Empfehlungen ab.
Eine entsprechende Anfrage eines Altenheims hatte der Ethikrat zum Anlass genommen, Kriterien zu erarbeiten und das Ergebnis den Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Die im Juli 2010 verabschiedeten Kriterien zur Heimaufnahme sollen Einrichtungen Hilfestellung bieten, wenn das Therapieziel palliative Betreuung ohne künstliche Ernährung lautet. Das Gremium sieht seine Positionierung auch durch das am 25. Juni 2010 gefasste Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH), das sogenannte "Sterbehilfe-Urteil", gestützt. Mit diesem hat der BGH bekräftigt, dass der Wille des schwerkranken oder sterbenden Menschen (ob aktuell geäußert, mündlich oder schriftlich vorausverfügt oder als mutmaßlicher Wille gebildet) maßgebend ist für dessen Betreuung und Pflege.
Kriterien für Heimaufnahme
Im folgenden das Ergebnis der Beratung des diözesanen Ethikrats:
Allgemeine Voraussetzungen
Die Änderung des Therapieziels mit der Konsequenz "keine künstliche Ernährung" ist nur möglich, wenn alle gesetzlichen Voraussetzungen und Verfahrensvorschriften eingehalten werden (insbesondere §§ 1901a und b, 1904 BGB).
Der schwerkranke Mensch kann mit seinem Krankheitsbild und den zu erwartenden Symptomen in dem Heim fachlich entsprechend gut versorgt werden durch eine notwendige Palliativpflege und eine fachärztliche Versorgung.
1. Feststellung der ärztlichen Indikation
Gibt es keine ärztliche Indikation für eine künstliche Ernährung (zum Beispiel unmittelbarer Sterbeprozess oder Demenz im Endstadium), bedarf es keiner weiteren Schritte zur Klärung der Veränderung des Therapieziels.
Gibt es eine ärztliche Indikation für eine künstliche Ernährung, gilt es Folgendes zu beachten:
2. Wille des Patienten/Bewohners
Der (erklärte oder mutmaßliche) Wille bezüglich der künstlichen Ernährung der schwer erkrankten Person muss eindeutig vorliegen und dokumentiert worden sein (zum Beispiel in Form einer Patientenverfügung; in Form von aus dem Gedächtnis niedergelegten Aussagen unterschiedlicher Vertrauenspersonen des Patienten). Diese dokumentierte Willensäußerung trifft auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu (zum Beispiel onkologische oder demenzielle Erkrankungen im Endstadium, irreversibles Wachkoma).
3. Entscheidung
Der Patient oder der Bevollmächtigte oder rechtliche Betreuer, der behandelnde Arzt und die Heimleitung mit der Pflegeleitung sind sich über Ziel und Methode einig, schließen eine suizidale, autoaggressive Absicht aus und stimmen der palliativen Pflege und Versorgung zu. Sie vereinbaren eine kontinuierliche Überprüfung der Situation durch das behandelnde multiprofessionelle Team (Arzt, Pflege, Seelsorge…) in Rücksprache mit dem Patienten oder Bevollmächtigten oder rechtlichen Betreuer.
Bei ethisch komplexen und schwierigen Situationen kann der Heimleiter oder die Pflegeleitung den Caritas-Ethikrat anrufen.
4. Geltungsbereich
Diese Kriterien sollten stets beachtet werden, wenn ein Patient "zum Sterben ins Heim" aufgenommen wird. Auch bei Therapiezieländerungen von Heimbewohnern sollten sie handlungsleitend sein. Jedoch darf sich das Pflegepersonal nach der Rechtsprechung des BGH nicht aus Gewissensgründen über den Patientenwillen oder die ärztliche Indikation hinwegsetzen. Die Therapiezieländerung "keine künstliche Ernährung" muss also bei Heimbewohnern auch dann akzeptiert werden, wenn lediglich die rechtlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen.
Mit Grundsätzen der katholischen Kirche vereinbar
Die Kriterien des Caritas-Ethikrats können dazu beitragen, eine würdige Begleitung am Lebensende zu ermöglichen. Manche Einrichtungen hegten bisher Zweifel, ob eine medizinisch indizierte Zufuhr von Nahrung und Flüssigkeit durch eine Sonde unterbleiben darf, wenn der Patient diese Behandlung eindeutig ablehnt. Bei schwerkranken oder sterbenden Menschen muss es dem Pflegepersonal in unseren Pflegeheimen möglich sein, palliativ zu betreuen und würdevolle Lebens- und Sterbebegleitung zu leisten, die der Selbstbestimmung des Menschen Rechnung trägt. Dies hat nichts mit aktiver Sterbehilfe oder der Verweigerung einer irgendwie geschuldeten Basisversorgung zu tun und ist mit dem staatlichen Recht und den Grundsätzen der katholischen Kirche vereinbar, so die Position des Caritas-Ethikrats. Diese Position wird in der im Februar 2011 erschienenen Christlichen Patientenvorsorge der beiden Kirchen in Deutschland unterstrichen: "Die konkreten Entscheidungen über Anwendung oder Nichtanwendung bestimmter Maßnahmen müssen so getroffen werden, dass sie in der Perspektive des Ziels, nämlich des menschenwürdigen Sterbens, erwogen und gewichtet werden." (Christliche Patientenvorsorge, S. 26)
Viele Professionen - ein Ziel
Dem Ethikrat, besetzt mit Vertreter(inne)n der Professionen und Arbeitsfelder Medizin, Seelsorge, Theologie, Recht, Pflege und Soziale Arbeit, gehören elf Mitglieder an. Fallanfragen werden durch den Ethikrat intensiv beraten und die Ergebnisse anonymisiert an die Einrichtungen des Caritasverbandes weitergeleitet. So können auch andere Dienste von der Anfrage eines Mitarbeiters oder einer Einrichtung profitieren. Die Anfragen beziehen sich insbesondere auf Therapieentscheidungen bei schwerkranken und sterbenden Menschen in Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe. Sie behandeln die Einstellung der Ernährung über eine Magensonde im Altenheim, Fragen zur Mitteilung einer schweren Diagnose bei Menschen mit einer geistigen Behinderung und den Widerspruch zwischen Garantenpflicht und Patientenwillen in der ambulanten Pflege.
Mehr Informationen unter: www.caritasmuenchen.de/Page026943.htm