Die Rechte der Mitarbeiter werden gestärkt
Die Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands (VDD), der alle Diözesanbischöfe angehören, hat am 22. November 2010 die jüngsten Änderungen in der Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung (nachfolgend: MAVO) beschlossen. In einem fast zweijährigen Gesetzgebungsverfahren zur Novellierung des katholischen Betriebsverfassungsrechts wurde damit die vorletzte Etappe eingeläutet. Da die Rahmen-MAVO keine unmittelbare Gesetzeskraft entfaltet, sondern nur empfehlenden Charakter besitzt, ist der Schlussakkord in dieser Gesetzgebungspartitur den 27 Ortsbischöfen vorbehalten, die derzeit dabei sind, die rechtlich verbindlichen Fassungen der diözesanen Mitarbeitervertretungsordnungen mit den entsprechenden Änderungen in Kraft zu setzen.
Den ursprünglichen Anlass für die nunmehr verabschiedete Novelle bildeten Änderungswünsche, die von verschiedenen Seiten bereits in der letzten Novellierungsrunde im Jahre 2007 eingebracht wurden. Diese konnten jedoch im Rahmen des seinerzeitigen, sachlich eingeschränkten Novellierungsauftrags nicht behandelt werden. Im schriftlichen Anhörungsverfahren von 2008 sind weitere Vorschläge und Anregungen dazu gekommen. Von den insgesamt etwa 120 Änderungs- und Ergänzungswünschen haben die Mitglieder einer Arbeitsgruppe, die von der Personalwesenkommission des VDD benannt wurden, nach intensiven Beratungen eine Reihe von Modifikationen als sinnvoll und/oder notwendig erachtet und sie in einem ersten Gesetzesentwurf zusammengefasst und begründet.
Dieser erste Entwurf war Gegenstand einer öffentlichen Anhörung, die am 5. November 2009 in Würzburg stattgefunden hatte. Die verschiedenen Mitarbeitervertreter1 im kirchlichen Dienst (wie BAG-MAV, Mitarbeiterseite der Zentral-KODA und der Arbeitsrechtlichen Kommission oder der Katholischen Arbeitnehmerbewegung Deutschlands), die Vertreter der Dienstgeber, die Diözesen, der Deutsche Caritasverband (DCV) sowie mehrere Professoren des Arbeitsrechts2 hatten Gelegenheit, zu dem geplanten Gesetzgebungsvorhaben Stellung zu beziehen. Das Ergebnis dieser Beratungen fand Eingang in einen zweiten Gesetzesentwurf der Arbeitsgruppe, der in der Personalwesenkommission zur Diskussion gestellt und in der Sitzung vom 22./23. Juni 2010 ohne Gegenstimme verabschiedet wurde.
Insgesamt enthält die nunmehr beschlossene Ordnung 39 Änderungen. Weil in diesem Beitrag schon aus Platzgründen nicht alle Neuerungen beleuchtet werden können, sollen nachfolgend beispielhaft vier der meistdiskutierten Änderungen einer näheren Betrachtung unterzogen werden.
Auch bei Leiharbeitnehmern muss die MAV zustimmen
Die wohl interessanteste Änderung betrifft die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 MAVO ist der Dienstgeber verpflichtet, vor der Einstellung von Zeitarbeitnehmern die Zustimmung der MAV einzuholen. Soll der Leiharbeitnehmer länger als sechs Monate in der kirchlichen Einrichtung beschäftigt werden, kann die MAV ihre Zustimmung nach § 34 Abs. 2 Nr. 3 MAVO verweigern. Indem er das Mitbestimmungsrecht stärkt, zeigt der kirchliche Ordnungsgeber einerseits, dass er bestimmte Fehlentwicklungen, die durch die Liberalisierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes entstanden sind, nicht tolerieren will: beispielsweise die dauerhafte Ersetzung von Stammarbeitnehmern durch Leiharbeitskräfte oder die missbräuchliche Entlassung von Mitarbeitern und deren anschließende Wiedereinstellung als Leiharbeitnehmer in ihrem ehemaligen Unternehmen oder einem anderen Unternehmen desselben Konzerns (sogenannter "Drehtür-Effekt"). In der Grundintention greift er damit dem staatlichen Gesetzgeber vor, der derzeit ebenfalls plant, das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in diese Richtung zu modifizieren (vgl. Gesetzesentwurf zur Verhinderung von Missbrauch bei der Arbeitnehmerüberlassung vom 2. September 2010; www.aus-portal.de/gesetzgebung_16931.htm).
Andererseits bringt der kirchliche Ordnungsgeber mit der Regelung zum Ausdruck, dass das Institut der Leiharbeit den kirchlichen Einrichtungen nicht per se verschlossen ist. Zur Überbrückung kurzzeitigen Beschäftigungsbedarfs kann von diesem Instrument weiterhin Gebrauch gemacht werden, zum Beispiel im Rahmen von Urlaubs- oder Krankheitsvertretungen oder bei zeitlich befristeten Projekten. Das Zustimmungsverweigerungsrecht und die klare Fristenregelung geben der MAV wirksame und praktikable rechtliche Werkzeuge an die Hand, um die auf Dauer angelegte Beschäftigung von Leiharbeitnehmern in kirchlichen Einrichtungen und den eventuellen Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung zu verhindern.
Bei konfliktiven Gesprächen kann die MAV dabei sein
Eine Neuerung enthält auch die Vorschrift des § 26 Abs. 3a. Danach sind kirchliche Mitarbeiter künftig berechtigt, ein beliebiges Mitglied der MAV zu einem Gespräch mit dem Dienstgeber hinzuzuziehen, wenn es dabei um personen-, verhaltens- oder betriebsbedingte Schwierigkeiten geht, die zur Gefährdung des Arbeitsverhältnisses führen können oder wenn ein Änderungs- oder Aufhebungsvertrag vereinbart werden soll. Wichtig: Wie im Betriebsverfassungsgesetz (vgl. §§ 81 bis 84 BetrVG) gibt es auch in der MAVO kein generelles arbeitnehmerseitiges Recht auf Hinzuziehung eines Mitglieds der MAV zu Personalgesprächen. Über die gesetzlich geregelten Tatbestände hinaus besteht - gegen den Willen des Dienstgebers - kein Anspruch des Mitarbeiters auf Hinzuziehung des MAV-Mitglieds. Geht es bei den Personalgesprächen zum Beispiel um die Vereinbarung von Zielen oder um die Konkretisierung der Arbeitsleistung, kann der Mitarbeiter nicht verlangen, dass ein MAV-Mitglied am Personalgespräch teilnimmt. Das Hinzuziehungsrecht ist ein Recht des einzelnen Mitarbeiters, nicht der Mitarbeitervertretung. Daher kann ein Mitglied der MAV nur auf ausdrücklichen Wunsch des betroffenen Mitarbeiters zu einem Personalgespräch hinzugezogen werden. Damit der Mitarbeiter im Einzelfall in die Lage versetzt werden kann, das Bestehen oder Nichtbestehen des Hinzuziehungsrechts zu beurteilen, ist der Dienstgeber verpflichtet, dem Mitarbeiter auf Nachfrage das avisierte Gesprächsthema zumindest grob zu umreißen.
Rechte der Mitarbeitervertreter werden gestärkt
Viele Neuregelungen verbessern die Rechtsstellung der Mitarbeitervertreter. Beispielhaft hierfür sind zwei Änderungen in § 16 MAVO. Abs. 1 Satz 3 regelt, dass teilzeitbeschäftigten Mitgliedern der Mitarbeitervertretung, deren Teilnahme an Schulungsveranstaltungen außerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit liegt, ein Anspruch auf Freizeitausgleich pro Schulungstag zusteht, jedoch höchstens bis zur Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Mitglieds der Mitarbeitervertretung. Diese Vorschrift bezweckt eine Angleichung der Rechtslage an das Betriebsverfassungsgesetz. Die bisherige Gesetzesfassung führte dazu, dass teilzeitbeschäftigte Mitglieder einer MAV, die an ganztägigen Schulungen teilnahmen, einen Teil ihrer Freizeit für die Schulung opfern mussten. Die Neuregelung stellt nunmehr klar, dass einem
teilzeitbeschäftigten MAV-Mitglied ein Anspruch auf Freizeitausgleich zusteht, wenn es an erforderlichen Schulungsveranstaltungen teilnimmt, die außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit liegen. Als Mitarbeitervertreter mit gleichen Rechten und Pflichten benötigen teilzeitbeschäftigte MAV-Mitglieder den gleichen Informations- und Wissensstand wie die vollzeitbeschäftigten Kollegen. Es ist nach neuer Rechtslage deshalb nicht mehr gerechtfertigt, von ihnen zur Erlangung dieser Kenntnisse ein größeres Freizeitopfer zu verlangen. Der Anspruch auf Freizeitausgleich ist allerdings gedeckelt. Der Umfang ist pro Schulungstag auf die Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Mitglieds der MAV begrenzt.
Nach neuem Recht hat auch das mit der höchsten Stimmenzahl gewählte Ersatzmitglied einen Schulungsanspruch, wenn wegen ständiger Heranziehung, häufiger Vertretung eines Mitglieds der Mitarbeitervertretung für längere Zeit oder absehbaren Nachrückens in das Amt als Mitglied der Mitarbeitervertretung in kurzer Frist die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen erforderlich ist (§ 16 Abs. 1a). Die Regelung orientiert sich an der Formulierung in § 96 Abs. 4 Satz 4 SGB IX. Im staatlichen Betriebsverfassungs- beziehungsweise Personalvertretungsrecht zählen Ersatzmitglieder - vor einem dauerhaften Nachrücken in die betriebliche Interessenvertretung - grundsätzlich nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis für eine Schulung, denn nach dem Wortlaut des § 37 Abs. 6 und 7 BetrVG ist der Schulungsanspruch auf Mitglieder des Betriebsrats beschränkt. Allerdings ist dieser Grundsatz durch die Rechtsprechung vielfach durchbrochen worden. Ein Schulungsanspruch für ein Ersatzmitglied wurde vom BAG zum Beispiel zuerkannt, wenn das Ersatzmitglied häufig für längere Zeit ein Betriebsratsmitglied vertreten muss.3
Ähnlich ist die Rechtslage im Personalvertretungsrecht: Der Schulungsanspruch für Ersatzmitglieder wird ausnahmsweise bejaht, wenn sicher angenommen werden kann, dass das Ersatzmitglied zumindest vorübergehend als Vertreter wird fungieren müssen. Weitere Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung, dass der Erwerb der zu vermittelnden Kenntnisse für die Gewährleistung der Arbeitsfähigkeit des Betriebsrats erforderlich ist. Ein solcher Fall einer häufigen Inanspruchnahme wurde zum Beispiel vom Landesarbeitsgericht Köln bejaht, wenn Ersatzmitglieder über einen längeren Zeitraum hinweg bei circa 50 Prozent der Betriebsratssitzungen herangezogen wurden und auch künftig mit ihrer Heranziehung zu rechnen ist.4 Nach dem Arbeitsgericht Mannheim ist der Schulungsanspruch gegeben, wenn das Ersatzmitglied in den vergangenen fünf Jahren regelmäßig an mehr als einem Viertel der Betriebsratssitzungen teilgenommen hat und wenn damit gerechnet werden darf, dass auch in Zukunft ein entsprechender Vertretungsbedarf besteht.5
Durch die Fassung des Abs. 1a sind einige Aspekte dieser staatlichen Rechtsprechung in Gesetzesform gegossen und damit in den kirchlichen Rechtskreis transformiert worden. Der Schulungsanspruch setzt - im Einklang mit der staatlichen Judikatur - den ständigen (Nr. 1) oder zumindest den häufigen (Nr. 2) Einsatz des Ersatzmitglieds für längere Zeit, das heißt innerhalb einer Amtsperiode, voraus. Bevor der Anspruch geltend gemacht werden kann, wird man erwarten können, dass das Ersatzmitglied mindestens an einem Viertel der MAV-Sitzungen teilgenommen hat. Für die Annahme der 3. Alternative (Nr. 3) genügt die absehbare Möglichkeit des Vertretungsfalles in allernächster Zeit. In allen drei Fällen besteht der Schulungsanspruch allerdings nur dann, wenn mit einiger Sicherheit angenommen werden kann, dass das mit der höchsten Stimmenzahl gewählte Ersatzmitglied auch in Zukunft - etwa bei längerer krankheitsbedingter Verhinderung des ordentlichen MAV-Mitglieds - als Vertreter herangezogen wird. Andernfalls ist die Teilnahme an der Schulungsveranstaltung nicht erforderlich. Die durchzuführende Prognose wird nicht zuletzt davon abhängen, wie lang die verbleibende Amtszeit noch dauert. Rückt das Ersatzmitglied endgültig in die MAV nach, steht ihm ein Schulungsanspruch nach Maßgabe des Absatzes 1 zu.
Umfassendste Änderung der letzten 15 Jahre
Als Resümee dieses kleinen, keineswegs vollständigen Aufrisses ist festzuhalten: Die jüngste MAVO-Reform stellt wohl die umfassendste Änderung des kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts der letzten 15 Jahre dar. Gewiss: Einige Modifikationen sind eher redaktioneller Art. Andere dienen vornehmlich der Klarstellung. Zu bedenken ist, dass der Gesetzgeber nicht alle offenen Fragen und jede strittige Fallkonstellation des Mitarbeitervertretungsrechts klären kann. Dort, wo Gesetzeslücken bestehen oder wo unbestimmte Rechtsbegriffe die Rechtsanwendung erschweren, wird man auch in Zukunft auf die praxisorientierte Rechtsprechung der kirchlichen Arbeitsgerichte vertrauen müssen. Die meisten Änderungen haben gemeinsam, dass sie die Mitbestimmungsrechte der Mitarbeitervertretung und der Mitarbeitenden im kirchlichen Dienst in substanzieller Art und Weise erweitern. Auch wenn der kirchliche Gesetzgeber nicht alle Änderungswünsche aufgegriffen hat, gewährleistet das novellierte Betriebsverfassungsrecht der katholischen Kirche weiterhin ein dem weltlichen Personalvertretungs- und Betriebsverfassungsrecht vergleichbares Mitbestimmungsniveau. Das ist gut so, denn die Verfassungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts bezweckt nicht die Schaffung eines rechtsfreien Raumes, sondern die Bildung von Recht entsprechend dem Bekenntnis der Kirche. Wollen die Kirchen den vom Staat anerkannten Raum zur eigenverantwortlichen Gestaltung der kirchlichen Betriebsverfassung ausfüllen, sind sie gut beraten, wenn sie die Übereinstimmung mit der staatlichen Ordnung nicht aus dem Blick verlieren.
Anmerkungen
1. Wenn im nachfolgenden Text ausschließlich die männliche Schreibweise benutzt wird, geschieht dies ausschließlich mit Blick auf die Lesbarkeit des Textes. Selbstverständlich gilt die weibliche Bezeichnung sinngemäß.
2. Wilhelm Dütz, Richard Giesen, Jacob Joussen, Renate Oxenknecht-Witzsch und Gregor Thüsing.
3. BAG, 15.5.1986 - 6 ABR 64/83, NZA 1986, 803.
4. LAG Köln, 10.2.2000 - 5 TaBV 63/99, NZA-RR 2001, 142.
5. ArbG Mannheim, 19.1.2000 - 8 BV 18/99, AiB 2000, 506.