Sozialunternehmer gesucht
Eine neue Strömung macht seit einigen Jahren im Bereich der Arbeitsintegration von sich reden: die Sozialfirmen. Es handelt sich um Unternehmen, die mit betriebswirtschaftlichen Mitteln Arbeitsintegration betreiben. Beschäftigung und Betreuung stehen nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Dienst am Kunden, die Wertschöpfung, die Rationalisierung der Abläufe, die Weiterentwicklung der Qualität sowie Wachstum, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen, haben eine ebenso hohe Priorität wie die Integration von langzeitarbeitslosen Menschen.1 Sie finden zuerst in der Sozialfirma Arbeit und dann - wenn möglich - wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt. Für Sozialfirmen sind betriebswirtschaftliche Ziele ebenso wichtig wie soziale Ziele.
Sockelarbeitslosigkeit ist in der Schweiz ein junges Phänomen. Nach Jahrzehnten, in denen die Arbeitslosigkeit nur kurzzeitig spürbar war, stiegen die Sozialhilfezahlen in den 90er Jahren in vielen Städten der Schweiz sprunghaft an. Da die Zahlen nicht mehr nennenswert absanken, sah sich auch die Schweiz mit dem Phänomen der Sockelarbeitslosigkeit und steigenden Sozialhilfezahlen konfrontiert. Man überlegte sich auf politischer Ebene, was zu tun sei. An vielen Orten wurden für teures Geld Arbeitsintegrationsprogramme eingerichtet.
Die Stadt St. Gallen ging einen anderen Weg: Alle politischen Parteien, Vertreter(innen) der Regierung, die Gewerkschaften, die Kirchen und die Ortsbürgergemeinde gründeten gemeinsam die Stiftung für Arbeit, eine Art Sozialfirma für Langzeitarbeitslose. Im Alltag zeigte sich rasch, dass die politisch breit verankerte Organisation dann am meisten politische Zukunftschancen hat, wenn die Arbeitsintegration für die öffentliche Hand möglichst kostenneutral angeboten wird.
Die Geschäftsführung der jungen Sozialfirma sah sich vor die Herausforderung gestellt, möglichst zuschussfrei wertschöpfende Arbeit für möglichst viele Personen anzubieten und dabei mit der heimischen Wirtschaft nicht zu konkurrieren. Die Idee war, Schweizer Firmen dafür zu gewinnen, bereits ins Ausland ausgelagerte manuelle Arbeitsschritte wieder zurückzunehmen und an die junge Sozialfirma zu vergeben.
Nach anfänglichen Qualitätsproblemen bemühte sich die Stiftung für Arbeit sehr, den hohen Anforderungen der Automobilzulieferindustrie zu genügen und das Vertrauen der Kund(inn)en zu gewinnen. Die Qualiltät der geleisteten Arbeit wurde von Jahr zu Jahr besser, der Umsatz stieg und damit auch die Beschäftigtenzahl. Im Jahr 2007 wagte man den Schritt zur Expansion in einen anderen Kanton. Seither sind an sechs weiteren Standorten auf der Achse St. Gallen, Zürich, Luzern neue Betriebe entstanden. Die St. Galler Stiftung verlagerte das operative Geschäft in die Dock Gruppe AG, die sie als Tochterfirma gründete. Diese arbeitet heute im Auftrag von mittelständischen Schweizer Zulieferbetrieben auch für die deutsche Automobilindustrie. Sie beschäftigt heute etwa 1000 Langzeitarbeitslose an sieben Produktionsstandorten.
Nach den Spielregeln des zweiten Arbeitsmarktes
Die Firmen erledigen für das Gewerbe oder die Industrie Aufträge, die im eigenen Land nicht mehr kostendeckend ausgeführt werden können. Sie bewegen sich innerhalb des sogenannten zweiten Arbeitsmarktes. Das heißt: Sie dürfen einheimischen Firmen der freien Wirtschaft keine Konkurrenz machen und beschäftigen zugleich Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keinen Arbeitsplatz finden. Gegenüber Betrieben der freien Wirtschaft haben sie mit zwei Nachteilen zu kämpfen: Erstens müssen sie sich mit Aufträgen begnügen, die einheimische Firmen nicht kostendeckend ausführen können, und zweitens müssen sie dies mit einer Belegschaft tun, die oft nicht voll leistungsfähig ist und die sofort das Weite sucht, wenn sie eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt gefunden hat. Gleichzeitig darf von den Sozialfirmen in der Schweiz erwartet werden, dass sie leistungsgerechte Löhne bezahlen. Wer voll leistungsfähig ist und in einer Sozialfirma arbeitet, soll auch dort einen Minimallohn erwirtschaften und damit seinen Lebensunterhalt bezahlen können. Dies führt dazu, dass auch noch so unternehmerisch geführte Sozialfirmen nie völlig selbsttragend sein können. Sie sind darauf angewiesen, dass sie zur Deckung der Löhne der Belegschaft auch Beiträge der öffentlichen Hand oder einer Sozialversicherung erhalten. Die Infrastruktur, die Kosten für die Investitionen und die Löhne der festangestellten Stammbelegschaft werden durch Kundenaufträge erwirtschaftet.
Noch sind in der Schweiz erst ganz wenige Sozialfirmen auszumachen. Die Idee blüht vor allem in Publikationen, im Internet und in sozialpolitischen Foren. Dies hat nur zu einem kleinen Teil damit zu tun, dass die Gesetzgebung im Bereich der Arbeitslosenversicherung (ALV) und der Invalidenversicherung nicht sozialfirmengerecht ausgestaltet ist. Heute siedeln sich die Sozialfirmen der Schweiz im Bereich der Sozialhilfe an, deren subsidiäres System flexible leistungsgerechte Teillöhne zulässt. Seit der Revision durch die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) von 2005 sind neue Anreize für die Aufnahme einer teils existenzsichernden Erwerbsarbeit geschaffen worden.
Ähnliche Handlungsspielräume wären auch bei der Arbeitslosenversicherung oder der Invalidenversicherung möglich. Die Impulse dafür müssten jedoch auch von sozialunternehmerischer Seite her kommen. Im Moment befinden wir uns in einer Art Umbruchsituation. Die Unzufriedenheit mit dem alten System nimmt zu. Es ist aber noch unklar, wie neue Lösungen konkret aussehen sollen. Sozialunternehmerische Ansätze könnten hilfreich sein. Dazu braucht es aber mehr Sozialunternehmer(innen), die nach innovativen Wegen der Wertschöpfung suchen, und Sozialversicherungen oder -ämter, die verlässliche Partnerschaften mit ihnen eingehen.Interessanterweise wird in der aktuellen Sozialfirmendebatte nie wirklich über Geld gesprochen. Einige Sozialfirmen haben gezeigt, dass es möglich ist, eine wirksame und nahezu kostenneutrale Arbeitsintegration für die Zielgruppe der ausgesteuerten Langzeitarbeitslosen (also ALG II-Empfänger(innen)) anzubieten. Die Frage, ob dies in größerem Stil auch möglich ist für die Zielgruppe der langzeitarbeitslosen Stellensuchenden, die noch Versicherungsschutz der Arbeitslosenversicherung haben, ist noch ungeklärt. Arbeitsintegration günstiger und wirkungsvoller anbieten zu können ist jedoch eine sozialunternehmerische Herausforderung, der sich im Moment auch in anderen Ländern Europas nur sehr wenige stellen wollen.
Unbefristete Arbeitsplätze
Es wäre falsch, in Zukunft keine Angebote der herkömmlichen Arbeitsintegration machen zu wollen, aber vielleicht könnten diese mit weniger pädagogischem Aufwand und mehr unternehmerischem Handeln billiger werden und noch mehr Menschen erreichen. Wenn es für teilleistungsfähige und schwach qualifizierte Menschen kaum Stellen gibt, nützt auch das arbeitspädagogisch modernste Instrumentarium der Integration nichts.
Es stellt sich heute die Frage, ob die hohen Kosten für die Arbeitsintegration noch gerechtfertigt sind oder ob es nicht vielmehr darum gehen könnte, mehr möglichst kostenneutrale und deswegen auch langfristige Arbeitsplätze beispielsweise in Sozialfirmen zu schaffen. Durch diese Maßnahme wird die Sockelarbeitslosigkeit nicht generell sinken. Aber es werden mehr Menschen wieder in Arbeit kommen können und sich in Sozialfirmen wenigstens einen Teil ihres Einkommens wieder durch eigene Arbeit verdienen können.
Anmerkung
1. Blattmann, Lynn; Merz, Daniela: Sozialfirmen : Plädoyer für eine unternehmerische Arbeitsintegration. Zürich : Rüffer & Rub, 2010.