Kids gehen mit Gutschein in den Kindergarten
Eltern in Hamburg erhalten seit fünf Jahren für die Betreuung ihrer Kinder vom Jugendamt einen bedarfsgerechten Kita-Gutschein. Diesen können sie in einer Einrichtung der Kindertagesbetreuung gegen die entsprechende Betreuungsleistung einlösen. Der Gutschein dient dem Träger der Einrichtung zur Abrechnung mit der Behörde auf Grundlage des unterzeichneten Landesrahmenvertrages.
Neue Finanzierung, mehr Flexibilität
Diese neue Art der Finanzierung und Abrechnung im Bereich der Kindertagesbetreuung markierte den Wechsel von einer starren Förderung vorhandener Platzangebote (Objektfinanzierung) auf Grundlage des § 77 SGB VIII sowie der allgemeinen Pflegesatzvereinbarungen auf Landesebene hin zu einem System der Subjektförderung. Dieses trägt Züge des freien Marktes. Im Ergebnis werden nur noch tatsächlich erbrachte Betreuungsleistungen finanziert.
Die bis dahin bestehende zentralistische Angebotsplanung durch das Jugendamt ging mit einem hohen Verwaltungsauf-wand einher. Sie gab den Einrichtungen weitestgehend eine Platzstruktur vor. Die Betreuungsbedarfe der Eltern wurden nur in begrenztem Umfang berücksichtigt. Dadurch entstanden unter- und überversorgte Regionen, aber keine bedarfsgerechten Angebote. Da in diesem Finanzierungssystem nicht vorrangig Betreuungsleistungen, sondern Institutionen finanziert wurden, setzte eine rückläufige Nachfrage bei Einrichtungen keine finanziellen Mittel für einen bedarfsgerechten Ausbau an anderer Stelle frei.
Bedürfnisse der Eltern stehen im Vordergrund
Über eine Richtlinie definiert die zuständige Behörde Kriterien zur Bewilligung eines Kita-Gutscheins. Aufgrund des Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz erhalten Eltern für Kinder vom dritten Lebensjahr an bis zum Schuleintritt grundsätzlich einen Kita-Gutschein für eine täglich fünfstündige Betreuung.
Wünschen Eltern eine Betreuungsleistung vor dem dritten Lebensjahr, nach Schuleintritt oder in größerem Stundenumfang, müssen weitere Kriterien erfüllt sein. Priorität haben Berufstätigkeit oder Berufsausbildung der Eltern. Des Weiteren entsteht ein Anspruch der Eltern auf Betreuung ihres Kindes bei dringlichem sozial bedingtem oder pädagogischem Bedarf des Kindes und im Rahmen einer Teilnahme der Eltern an Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung nach SGB III. Die Anforderungen zur Gewährung eines Kita-Gutscheins aufgrund sozialer und pädagogischer Bedarfe sind sehr eng gefasst.
Verändern sich die Anspruchsvoraussetzungen, haben pädagogische Kriterien wie die Kontinuität und Verlässlichkeit der Betreuung und der sozialen Kontakte der Kinder eine untergeordnete Bedeutung. Im Rahmen der Gutscheinbewilligung werden also primär die Betreuungsbedürfnisse der Eltern und nicht die Bildungsbedarfe der Kinder berücksichtigt.
Beim Start zeigten sich Finanzierungslücken
Der Start des Kita-Gutscheinsystems war von erheblichen Schwierigkeiten gekennzeichnet. Die unerwartet hohe Nachfrage nach Betreuungskapazitäten brachte eine immense öffentliche Unterfinanzierung der Einrichtungen ans Licht. Das Problem wurde über Einsparungen beim pädagogischen Personal gelöst.
Da den Eltern nun nur noch eine Leistung bewilligt, die Auswahl der Kita aber selbst überlassen wurde, erhielten sie eine größere Nachfragemacht. Dies führte zu einem verstärkten Wettbewerb der Anbieter. Konzeptionelle Schwerpunkte und die Ausgestaltung des Angebotes gewannen neben Öffnungszeiten, Wohnortnähe massiv an Bedeutung bei der Wahl des Betreuungsplatzes. Der Konkurrenzdruck erforderte von Trägern und Einrichtungen, zahlreiche Managementaufgaben professionell umzusetzen. Nur so können sie auch ein Angebot gewährleisten, das sich am Bedarf orientiert und auf den wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtet ist. Zu zentralen Elementen wurden dabei ein deutliches Einrichtungsprofil, verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und eine kontinuierlichere Qualitätssicherung und -entwicklung.
Jeder Träger kann heute sein Angebot völlig eigenständig gemäß den Erwartungen der Eltern und nach seinen konzeptionellen Vorstellungen neu schaffen oder weiterentwickeln (Altersgruppen, Öffnungszeiten). Die Anforderungen an die Träger und die Finanzierungsbedingungen sind klar geregelt und somit plan- und kalkulierbar. Fehleinschätzungen im Rahmen der Bedarfsermittlung und der inhaltlichen Ausgestaltung des Angebotes führen zu einer Unterauslastung. Die finanziellen Risiken gehen ganz zulasten des Trägers.
Der wirtschaftliche Erfolgsdruck führte zur Bündelung und Zentralisierung von Trägerstrukturen, zur Spezialisierung der Kita-Bereiche innerhalb der Organisationen und zu einer Zunahme hauptamtlichen Kita-Managements anstelle ehrenamtlichen Engagements. Da das Ausfallrisiko bei einer Unterbelegung allein beim Träger liegt, stiegen befristete Arbeits- oder Teilzeitverträge. Damit lässt sich die Personalstruktur flexibel gestalten.
Debatten zu Profil und Qualität werden geführt
Die höheren Anforderungen von Eltern an die Kindertageseinrichtungen führten zu einer wesentlich stärkeren Kundenorientierung. Als Folge führten Einrichtungen interne Debatten über Profil und Qualität des Angebotes und hinsichtlich der Bedürfnisse der Eltern - auch zur Sicherung ihrer Arbeitsplätze. Diese Entwicklung ist mitverantwortlich für eine gestärkte Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und Erzieherinnen. Ein gewachsenes Selbstbewusstsein und ein professionelleres Bild von der eigenen beruflichen Identität sind ebenfalls hierauf zurückzuführen. Das größere gesellschaftliche Verständnis von Kindertageseinrichtungen als erste Bildungsinstitutionen auf dem Lebensweg und die seit November 2005 verbindlichen Bildungsempfehlungen sind weitere Faktoren. Auch sie haben im beruflichen Alltag zu einem veränderten Aufgabenprofil von Leitungskräften und Erzieher(inne)n geführt. Zwar sind die Anforderungen an die Planung, Reflexion und Dokumentation der täglichen Praxis und die Ansprüche hinsichtlich der individuellen Förderung (zum Beispiel im Bereich Sprachentwicklung) von Kindern gestiegen. Veränderte Öffnungs- und kürzere Betreuungszeiten für die einzelnen Kinder sowie Spargründe führten aber gleichzeitig zu einer Ausdünnung der Personaldecke. Die reduzierten Kernzeiten haben zur Folge, dass Kleingruppen- und Projektarbeit verringert wurden. Dies hat insbesondere in den sozialen Brennpunkten negative Auswirkungen, da die Kinder dort mehr Förderung gerade in kleineren Gruppen benötigen.
Es muss nachgebessert werden
Insgesamt ist das Kita-Gutscheinsystem ein wirkungsvolles Instrument zur nachfrageorientierten Steuerung im Bereich der Kindertagesbetreuung. Es zeigt jedoch noch erhebliche Entwicklungsbedarfe auf. Dass in Hamburg mittlerweile mehr Kinder qualitativ hochwertigere Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungsangebote erfahren, ist auf das außerordentliche Engagement der Beschäftigten zurückzuführen. Die gleichzeitigen Kürzungen bei Personalschlüssel und Gehältern fordern zu dem Hinweis heraus, dass für die Qualität des Systems auch entscheidend ist, welche Ressourcen eingebracht werden. Insbesondere die Personalausstattung im Bereich sozialer Brennpunkte sollte verbessert werden und oberste Priorität haben.
Weniger Bürokratie und mehr Planungssicherheit
Das Beispiel des Berliner Gutscheinmodells zeigt, dass für Träger größere Planungssicherheit und Risikoverminderung, für Eltern, Einrichtungen und öffentliche Verwaltung Entbürokratisierung und für die Mitarbeiter(innen) beständigere Beschäftigungsverhältnisse entstehen können. Insbesondere die gestiegenen gesellschaftlichen Erwartungen an die frühkindliche Bildung und der damit verbundene Aufgabenzuwachs machen aber eine weitere Professionalisierung der Beschäftigten, höhere Qualifikationen und höhere Löhne notwendig.