Kerngeschäft der Betreuungsvereine ist umsatzsteuerfrei
Mit seiner Entscheidung vom 17. Februar 20091 bestätigte der Bundesfinanzhof (BFH) ausdrücklich, dass von Betreuungsvereinen erbrachte Betreuungsleistungen unmittelbar nach der entsprechenden EU-Richtlinie2 von der Umsatzsteuer befreit sind.
Strittig gewesen war zuvor die umsatzsteuerliche Behandlung der durch Vereinsbetreuer(innen) erbrachten Betreuungsleistungen in den Jahren 1994 bis 1999. Während der klagende Verein3 die Ansicht vertrat, die Umsätze aus diesen Betreuungsleistungen seien nach § 4 Nr. 18 UStG (Umsatzsteuergesetz) und im Übrigen unmittelbar nach der sogenannten 6. EU-Richtlinie (EG-RL)4 von der Umsatzsteuer befreit, unterwarf die Finanzverwaltung die Umsätze insgesamt dem ermäßigten Umsatzsteuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8a UStG.
Vorausgegangen waren der aktuellen BFH-Entscheidung ein Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 16. August 20065 sowie ein Gerichtsbescheid vom 3. September 2008, mit dem der BFH die Revision des Finanzamtes als unbegründet zurückwies. Gegen diesen Bescheid stellte das Finanzamt Antrag auf mündliche Verhandlung, und zu deren Beginn beschränkte es die Revision auf Betreuungsleistungen an mittellose Leistungsempfänger im Jahr 1999. Damit haben die im erwähnten Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf und im Gerichtsbescheid des BFH enthaltenen Feststellungen hinsichtlich der 1994 bis 1998 erbrachten Leistungen Rechtskraft.
Das Urteil vom 17. Februar 2009 hat über das Streitjahr 1999 und deutlich über den entschiedenen Sachverhalt hinaus grundsätzliche Bedeutung. Aus einer Gesamtbetrachtung der soeben erwähnten und weiterer Entscheidungen zu § 4 Nr. 18 UStG heraus ergibt sich für die umsatzsteuerliche Behandlung von Betreuungsleistungen die im Folgenden beschriebene Rechtslage.
Umsatzsteuerbefreiung nach deutschem Recht
Streitjahre 1994 bis 1998
In den Jahren 1994 bis 1998 erhielten Vereinsbetreuer(innen) ausschließlich Stundenvergütungen, die von den zuständigen Rechtspfleger(inne)n festgesetzt wurden. Berufsbetreuer(innen) erhielten darüber hinaus Erstattungen für ihre Aufwendungen der allgemeinen Verwaltung und der Versicherung gegen Haftungsschäden.
Für diese Jahre sind die Umsätze aus Betreuungsleistungen nach § 4 Nr. 18 UStG von der Umsatzsteuer befreit.
Neben weiteren Voraussetzungen - deren Vorliegen unstrittig war - verlangt § 4 Nr. 18 UStG die Einhaltung des sogenannten Abstandsgebotes (§ 4 Nr. 18 Buchst. c UStG). Hiernach müssen die Entgelte für die in Betracht kommenden Leistungen hinter den durchschnittlich für gleichartige Leistungen von Erwerbsunternehmen verlangten Entgelten zurückbleiben.
Diese Voraussetzung sahen die Richter für die Jahre 1994 bis 1998 als erfüllt an. Dabei wird in den Urteilsbegründungen ausdrücklich hervorgehoben, dass § 4 Nr. 18 Buchst. c UStG keine Vorgaben hinsichtlich des Umfangs der Preisdifferenz6 enthält.
Streitjahr 1999 (und Folgejahre)
Ab dem Jahr 1999 erhielten aufgrund einer Änderung des BGB Vereins- ebenso wie Berufsbetreuer(innen) für die Betreuung mittelloser Leistungsempfänger(innen) einheitliche Entgelte (§ 1836a BGB). Die Möglichkeit der gesonderten Berechnung von Aufwendungen für Verwaltung und Versicherung durch Berufsbetreuer entfiel. Aufgrund der eingetretenen Änderungen sahen die Richter für das Jahr 1999 (und damit im Ergebnis auch für die Folgejahre bis heute) die Voraussetzungen für eine Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG nicht mehr als erfüllt an, da das erforderliche Merkmal der Entgeltbegrenzung nicht mehr vorlag.
Umsatzsteuerbefreiung nach EU-Recht
Unabhängig von der vorstehend beschriebenen Umsatzsteuerbefreiung nach nationalem Recht sind die Umsätze aus Betreuungsleistungen für alle strittigen Jahre insgesamt unmittelbar nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL (mittlerweile Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der MwStSystRL) von der Umsatzsteuer befreit. Hiernach befreien die Mitgliedstaaten von der Umsatzsteuer die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen - einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere vom jeweiligen Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Institutionen bewirkt werden.
Auch das Gemeinschaftsrecht räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, die Umsatzsteuerbefreiung neben weiteren Voraussetzungen von einem sogenannten "Abstandsgebot" als Bedingung abhängig zu machen. Nach Gemeinschaftsrecht greift das Abstandsgebot aber nur in Fällen frei kalkulierter Preise. Gelangen behördlich genehmigte beziehungsweise kontrollierte Preise zur Anwendung, gilt das Abstandsgebot nach Gemeinschaftsrecht ausdrücklich nicht.
Bei den für die Betreuungsleistungen durch die Gerichte beziehungsweise durch den Gesetzgeber festgesetzten Preisen handelt es sich um eben solche behördlich genehmigte beziehungsweise kontrollierte Preise.
Insgesamt bestätigt der BFH erneut ausdrücklich, dass das Abstandsgebot in § 4 Nr. 18 Buchst. c UStG gemeinschaftsrechtswidrig ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, der insoweit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) folgt, kann sich aber ein Steuerpflichtiger unmittelbar auf das Gemeinschaftsrecht berufen, wenn eine richtlinienkonforme nationale Vorschrift fehlt. Insoweit hat das Gemeinschaftsrecht Vorrang vor dem nationalen Recht. Auch dem aktuellen BFH-Urteil nach kann sich der Steuerpflichtige grundsätzlich unmittelbar auf die für ihn günstigere EU-Richtlinie berufen. Der deutsche Gesetzgeber ist mehr als dreißig Jahre nach dem Inkrafttreten der 6. EU-Richtlinie und nach der ständigen Rechtsprechung des BFH und des EuGH mehr denn je aufgerufen, eine richtlinienkonforme Umsetzung der Vorgaben des Gemeinschaftsrechts herbeizuführen.
Umsatzsteuerbefreiung in der Praxis
Für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der MwStSystRL genügt es, dass zwei Voraussetzungen erfüllt sind, und zwar
- dass es sich um eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen handelt, und
- dass diese Dienstleistungen oder Lieferungen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen, die vom jeweiligen Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannt sind, bewirkt werden.
Das für gemeinschaftsrechtswidrig erklärte Entgeltabstandsgebot des § 4 Nr. 18 Buchst. c UStG ist - sofern überhaupt - ausschließlich bei frei kalkulierten Preisen anzuwenden (unter Vergleich der Nettopreise). Es gilt nicht bei behördlich genehmigten beziehungsweise kontrollierten Preisen.
Einnahmen aus Tätigkeiten, deretwegen eine Einrichtung als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt ist (insbesondere satzungsmäßige soziale Zwecke), sind keine "zusätzlichen Einnahmen" im Sinne von Art. 134 Buchst. b MwStSystRL und führen damit nicht zum Ausschluss von der Umsatzsteuerbefreiung.
Anmerkungen
1. Aktenzeichen: XI R 67/06.
2. Die Richtlinie 77/388/EWG (6. EU-Richtlinie) wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2007 durch die Richtlinie 2006/112/EG (Mehrwertsteuer-System-Richtlinie - MWStSystRL) ersetzt, ohne dass sich hinsichtlich der hier betrachteten Umsatzsteuerbefreiungen inhaltliche Veränderungen ergaben. Kraft ausdrücklicher Vorschrift gelten Verweise auf die Richtlinie 77/388/EWG als Verweise auf die MWStSystRL. Im Weiteren wird in diesem Beitrag ausschließlich auf die aktuelle MwStSystRL verwiesen.
3. Geklagt hatte der Sozialdienst katholischer Frauen e.V.
4. Siehe Fußnote 2.
5. Aktenzeichen: 5 K 5856/02 U.
6. Die von gewerblichen Anbietern gegebenenfalls zusätzlich berechnete Umsatzsteuer gehört nicht zum Entgelt. Es sind also die "Nettopreise" zu vergleichen.