Eine Polin kocht und die Sozialstation pflegt
In der aktuellen Pflegestatistik veröffentlichte Zahlen der Pflegeversicherung1 weisen aus, dass es im Jahr 2007 rund 2,25 Millionen Pflegebedürftige in der Bundesrepublik gab. Darüber hinaus gehen Studien davon aus, dass es zusätzlich drei Millionen Menschen gibt, die hilfebedürftig sind und durch andere unterstützt werden müssen.2 Von den gesetzlich als "pflegebedürftig" eingestuften Menschen wurden Ende 2007 rund 1,03 Millionen Personen zu Hause nur durch Angehörige oder Nachbarn betreut. Insgesamt konnten mit Unterstützung professioneller Pflegedienste sogar rund 1,54 Millionen Menschen in den eigenen vier Wänden versorgt werden.
Bedarf an 24-Stunden-Betreuung wächst
In den letzten Jahren haben unterstützende Angebote von mittel- und osteuropäischen Haushaltshilfen an Bedeutung gewonnen. Insbesondere der wachsende Bedarf einer 24-Stunden-Betreuung scheint hierfür ausschlaggebend zu sein. Schätzungen gehen davon aus, dass rund 100.0003 Personen in Deutschland diese Tätigkeit ausüben. Diese Schätzungen wurden durch Berechnungen des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip) bestätigt. Neben irregulären Angeboten im Bereich der "Schattenwirtschaft" ist dabei auch eine wachsende Zahl von Anbietern zu beobachten, die Haushaltshilfen vermitteln und koordinieren. Auf Basis der Daten der vom dip erstellten Studie "Situation und Bedarfe von Familien mit mittel- und osteuropäischen Haushaltshilfen" konnten die möglichen Nutzerhaushalte eingegrenzt werden. Insgesamt können in Deutschland derzeit rund 145.000 Haushalte bestimmt werden, die die wesentlichen der im Folgenden beschriebenen Merkmale der Nutzergruppe aufweisen.
In der Gesamtentwicklung betrachtet ist der Trend hin zur professionellen Versorgung eindeutig. So sank der Anteil der Personen, die ausschließlich über Angehörige versorgt werden, zwischen 1999 und 2007 um 4,6 Prozent. Demgegenüber steht ein wachsender Anteil an Personen, die im vollstationären Bereich versorgt werden (23,7 Prozent). Korrespondierend stieg auch die Zahl der Heime zwischen 1999 und 2007 um insgesamt 23,6 Prozent an.4
Ziele der Untersuchung
Der Deutsche Caritasverband hat 2007 das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung beauftragt, die Bedarfe von Familien mit mittel- und osteuropäischen Haushaltshilfen zu untersuchen. Mit der vom dip durchgeführten Studie wurde erstmals ein umfassender empirischer Zugang zu dem Themenfeld erschlossen. Insgesamt wurden 154 Familien, 261 ambulante Dienste, 15 Agenturen von Vermittlungsleistungen sowie Expert(inn)en von Sozial- und Berufsverbänden mit in die Betrachtung einbezogen. Die Herausforderung an diese Studie war, über die Beschreibung und Zusammenführung der politischen Perspektiven hinaus die pflegerische und haushälterische Versorgung in soziologische Betrachtungen einzubetten. So ist das Thema der "Hausarbeit" nicht losgelöst von Fragen der Frauenarbeit (Genderaspekte), der Migration, der unterschiedlichen Lohnniveaus auf den europäischen Arbeitsmärkten und der grenzüberschreitenden Mobilität im Dienstleistungsbereich (Arbeitsmarktpolitik) zu diskutieren.
Im Fokus dieses Artikels stehen insbesondere Fragen der Zusammenarbeit von ambulanten Pflegediensten und mittel- und osteuropäischen Haushaltshilfen. Der vollständige Studienbericht kann auf den Internetseiten des dip (www.dip.de) kostenlos abgerufen werden.
Drei von vier Unterstützten sind Frauen
Die Auswertungen ergaben, dass die Nutzer(innen) von mittel- und osteuropäischen Haushaltshilfen überwiegend alleinlebende, hochaltrige, weibliche Pflegebedürftige sind. 88 Prozent der Personen in den Nutzerhaushalten sind mindestens 80 Jahre alt. Drei von vier der unterstützten Personen sind Frauen. In neun von zehn Haushalten werden Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch genommen. In drei von vier Haushalten (76 Prozent) wird eine, in jedem siebten Haushalt (14,3 Prozent) sogar eine zweite pflegebedürftige Person durch eine Haushaltshilfe unterstützt. Dabei ist es vor allem die körperliche Einschränkung, die zur Entscheidung für diese Hilfeform führt. Zwei von drei (64 Prozent) der Befragten geben an, dass eine körperliche Einschränkung oder ein Handicap voll oder teilweise vorliegen. Das spiegelt sich auch in den als notwendig beschriebenen Hilfeleistungen wider. Wie erwartet dominiert der Unterstützungsbedarf bei der Hausarbeit. Drei von vier der befragten Nutzerhaushalte geben an, dass in diesem Bereich alles von der Haushaltshilfe gemacht werden muss. Genauso viele Nutzerhaushalte geben an, dass für alle Besorgungen und Einkäufe die Haushaltshilfe benötigt wird (76 Prozent). In vier von fünf Haushalten muss das Essen komplett von der Haushaltshilfe zubereitet werden. Hohe Unterstützungsbedarfe sind aber auch bei anderen Aktivitäten des täglichen Lebens wie beispielsweise der Körperpflege und dem An- und Auskleiden nötig. Das Waschen, Baden oder Duschen muss bei der Hälfte der befragten Nutzerhaushalte vollständig und bei 27,3 Prozent teilweise durch Helfer(innen) übernommen werden. Hier zeigt sich eine Schnittmenge zu Leistungen, die auch durch ambulante Pflegedienste erbracht werden.
Konkurrenz für die Pflegedienste
In der Versorgungsrealität in den Familien ist es offensichtlich nicht möglich, die gesetzlichen Leistungsbereiche der Grund- und Behandlungspflege (SGB V/ SGB XI) stringent zu trennen. Denn die Leistungen werden sowohl in Familien erbracht, die zusätzlich einen ambulanten Pflegedienst haben als auch in jenen ohne. Das Meistern des Alltags ergibt sich in der familiären Situation auf der Basis sinnvoll ausgeführter umfassender Tätigkeitsketten und nicht durch aneinandergereihte einzelne Tätigkeiten, die von unterschiedlichen Personen erledigt werden. Das Waschen sowie An- und Auskleiden geht oft einher mit einem vorherigen Toilettengang, der Einnahme der Frühmedikation und der Mobilisation zum Tisch. Dies sind unterschiedlich abzurechnende Einzelleistungen. In dieser unzureichenden Trennung liegt eine Sorge der ambulanten Pflegedienste begründet. Indem ihre Leistungsprofile teilweise übernommen werden, fürchten die Pflegedienste, dass eine Konkurrenz entsteht, gegen die sie aufgrund des verpflichtenden Lohnniveaus kein wirtschaftlich sinnvolles Gegenangebot machen können.
Ambulanter Dienst und Haushaltshilfe ergänzen sich
Bedeutend für die Studie war, dass auch ambulante Pflegedienste zu ihren Erfahrungen und Einschätzungen befragt wurden. Das skizzierte Problem einer möglichen Konkurrenz durch mittel- und osteuropäische Haushaltshilfen wurde dabei mehrheitlich beschrieben. Wenn man alle Informationen hinzuzieht, ergibt sich indessen kein vollständig kongruentes Bild. Einerseits gaben zwei von drei ambulanten Pflegediensten an, dass sie durch die Anstellung von mittel- und osteuropäischen Haushaltshilfen Klient(inn)en im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung verloren haben. Andererseits gaben mehr als zwei von drei Diensten an, dass der wirtschaftlich interessante Bereich für ambulante Pflegedienste nicht die haushaltsnahen Leistungen sind. 59,4 Prozent der ambulanten Dienste haben aber darüber hinaus auch Klient(inn)en im Bereich der grundpflegerischen Versorgung verloren. Jeder zweite Dienst äußert in der Konsequenz, dass die mittel- und osteuropäischen Haushaltshilfen eine ernsthafte und wirtschaftlich bedrohliche Konkurrenz darstellen. Fakt ist jedoch auch, dass 60 Prozent der Nutzerhaushalte sowohl eine Haushaltshilfe als auch einen ambulanten Pflegedienst beschäftigen. 43,5 Prozent der Nutzerhaushalte sehen in der Versorgung durch einen ambulanten Dienst und eine Haushaltshilfe eine ideale Ergänzung. Nur jeder siebte Nutzerhaushalt plant, den ambulanten Dienst aufgrund der Betreuung und Versorgung durch eine Haushaltshilfe zukünftig wahrscheinlich nicht mehr zu nutzen.
Hilfeformen sinnvoll koppeln
Die Einschätzungen aus der Untersuchung zeigen den Weg auf, wie Hilfeformen verzahnt werden können. Das wird derzeit teilweise noch zögerlich gesehen. Nur 20 Prozent der befragten Dienste geben an, dass durch eine Kooperation neue Kund(inn)en gewonnen werden könnten. Demgegenüber meinen aber 84,7 Prozent, dass die Leistungen der Haushaltshilfen wesentlich zur Stabilisierung der Situation des Pflegebedürftigen und somit letztlich zu dessen Verbleib zu Hause beitragen. Dies muss im Zusammenhang mit dem Unterstützungsbedarf in den Familien betrachtet werden. Fast ein Drittel der Nutzer(innen) kann nicht selbstständig stehen und gehen. Diese eingeschränkte Mobilität wirkt sich auf alle anderen Lebensaktivitäten aus. Es bedarf einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Pflegerische und unterstützende Maßnahmen können für diesen Personenkreis von den ambulanten Diensten nicht mehr vernünftig geplant und terminiert werden (wie etwa eine morgendliche Grundpflege). Hilfe ist auch nötig, wenn kein ambulanter Dienst in der Nähe ist (zum Beispiel bei Toilettengängen). Eine solch umfangreiche Begleitung und Versorgung kann aber von den ambulanten Diensten derzeit nicht oder nicht entsprechend preiswert angeboten werden. Nur einer von vier Diensten bietet 24-Stunden-Versorgungen auch tatsächlich als Regelleistung an. Hier werden die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Dienste und der Finanzierbarkeit für die Familien erkennbar.
Akzeptiert man die Versorgungsrealität der doppelten Unterstützung durch Haushaltshilfen und ambulante Dienste, so werden synergetische Potenziale für beide Anbieter deutlich. Praktische Lösungsmöglichkeiten könnten daher kooperative Modelle der Zusammenarbeit von professionellen Pflegeanbietern und niedrigschwelligen Angeboten und/oder Haushaltshilfen sein. Wie die ambulanten Pflegedienste die Bedarfsentwicklung einschätzen, wird in der Abbildung oben deutlich.
Der rechtliche Status muss geklärt werden
Aus den Umfrageergebnissen ergibt sich, dass zukünftig stärker als bisher ein gemeinsamer Weg von ambulanten Diensten und Agenturen eingeschlagen werden müsste. Nicht zuletzt, weil ab 2011 mit der EU-weiten Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Dienstleistungsfreiheit die bisherigen Reglementierungen und Schutzklauseln weitestgehend wegfallen und die mittel- und osteuropäischen Haushaltshilfen als niederschwellige Angebote in der Versorgungslandschaft einen festen Platz einnehmen werden. Die ambulanten Dienste müssen sich spätestens dann mehr auf das Kerngeschäft der medizinisch-pflegerischen Leistungen konzentrieren und die häusliche Versorgung in Kooperation mit einer 24-Stunden-Betreuung stabilisieren. Nur so kann ein Heimeinzug und damit der komplette Verlust des/der Klienten/in für die Versorgungsangebote der ambulanten Dienste verhindert werden. Dafür müssen aber die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden. Ambulante Dienste werden nur mit Agenturen kooperieren können, wenn die rechtlichen Bedingungen und der rechtliche Status der Vermittlung geklärt ist. Werden irreguläre Beschäftigungen in Kooperation mit den Diensten vorgenommen, so sind haftungsrechtliche Probleme zu erwarten oder nicht komplett auszuschließen. Da viele der ambulanten Dienste die komplexe Gemengelage der juristischen Fragen nicht selbst klären können, sollte eine politische Lösung und Einflussnahme durch die Trägerverbände angestrebt werden. Nur so lassen sich die in der Makroperspektive eindeutigen Befunde der Studie auch in den Einrichtungen vor Ort realisieren.
Anmerkungen
1. Statistisches Bundesamt: Pflegestatistik 2007. Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung. Deutschlandergebnisse. Herausgegeben von Statistisches Bundesamt. Wiesbaden, 10. Dezember 2007.
2. Schneekloth, Ulrich: Hilfe- und Pflegebedürftige in Privathaushalten in Deutschland 2002 : Schnellbericht; Menschen in privaten Haushalten (MuG 3). Erste Ergebnisse der Repräsentativbefragung im Rahmen des Forschungsprojekts "Möglichkeiten und Grenzen einer selbständigen Lebensführung Hilfe- und Pflegebedürftiger. Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Infratest Sozialforschung, München, 2003.
3. Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (BPA) 2006. Südwestfunk: Dossier: Pflege im Alter - der Überblick - Ratgeber. Die Zeit (2007): Pflege: Im Netz der Schwarzarbeit.
4. Vgl. Statistisches Bundesamt: Pflegestatistik 2007.